Die Spätberufene: Ihre Vergangenheit als Bühnenbildnerin hat Hausner für die Malerei Anfang der 1990er-Jahre hinter sich gelassen.
Foto: Robert Rieger / Egon Zehnder

Entschlossen schaut uns die Frau entgegen, die Pistole an die linke Schläfe gepresst. Die Geste in Xenia Hausners Kopfschuss lässt sofort an Maria Lassnigs Du oder ich denken. Zwar ist dieses Bild mit der zusätzlich auf den Betrachter fixierten Waffe radikaler, dennoch scheint die Referenz eindeutig. Dabei ist es genau umgekehrt: Ihr Selbstporträt schuf Hausner zwischen 2002 und 2004, Lassnigs Bild entstand ein Jahr später. Diese soll es sogar gekannt haben, sagt Hausner. "Aber ich möchte nichts unterstellen", schmunzelt die Malerin, die im Jänner 70 Jahre alt geworden ist.

Mit Händen voll Acrylfarbe blickt sie sich kritisch um. Noch ein paar Kleinigkeiten musste sie ausbessern. Mit 42 Werken füllt die Retrospektive True Lies, die am Montag eröffnet, das gesamte Untergeschoß der Albertina. Genau ein Jahr nach der geplanten Eröffnung laden die großformatigen Gemälde der Künstlerin nun zu einer intensiven Beschauung ein. Diese findet bei Hausners Werken nämlich vice versa statt, aber dazu später mehr.

Fiktive Fragmente

Ganz zu Beginn sei die Malerei für Hausner eher eine Spielerei gewesen, erzählt sie. Sie arbeitete fünfzehn Jahre lang als Bühnenbildnerin und wechselte erst Anfang der 1990er-Jahre zur Malerei. Die Arbeit an der Bühne verlangte ihr zunehmend Disziplin ab, die Malerei begann ihr mehr Spaß zu machen. "Und ich bin sehr undiszipliniert", sagt Hausner. Da war sie 41 Jahre alt. Heute zählt sie zu den bekanntesten Gegenwartsmalerinnen Österreichs, ihre Werke werden weltweit ausgestellt.

Referenz auf Maria Lassnig? Eher umgekehrt: "Kopfschuss" von Xenia Hausner entstand ein Jahr früher.
Foto: Bildrecht

Aus einer Künstlerfamilie stammend – ihr Vater war der Phantastische Realist Rudolf Hausner, ihre Schwestern sind die Filmregisseurin Jessica Hausner und Kostümbildnerin Tanja Hausner – studierte sie nach einem abgebrochenen Jus-Studium Bühnenbild an der Akademie der bildenden Künste Wien und später an der Royal Academy of Dramatic Art in London. Sie gestaltete Ausstattungen für Theater und Opern, unter anderem für das Wiener Burgtheater, die Salzburger Festspiele sowie Häuser in Brüssel und London. 2020 fertigte sie das Bühnenbild für den Rosenkavalier in der Inszenierung von André Heller an der Berliner Staatsoper an. Eine Ausnahme, seit 1992 ist sie nur als Malerin tätig.

Dass immer wieder ein direkter Bezug zwischen ihrer Bühnenvergangenheit und der Malerei gesucht wird, ruft bei Hausner vehementen Widerspruch hervor. Ihrer Ansicht nach haben die Größe ihrer Bilder und die inszenierten Settings nichts mit der Bühnenarbeit gemein. Ganz so weit entfernt scheinen ihre starken Figuren in Übergröße, die intensiven und knalligen Farbflächen und vor allem die unheimlich präsenten Blicke ihrer Modelle davon dennoch nicht zu sein. Kleinformate würden diese gebannte Dichte kaum tragen, sie brauchen den großen Auftritt.

Tableau vivants: Hausners Szenen geben nur einen Ausschnitt wieder, Erklärungen bleibt sie dem Betrachter schuldig. Hier "Exile 1".
Foto: courtesy of xenia hausner / bildrecht wien 2021

Fast als Tableau vivants beschreibt die Kuratorin Elsy Lahner die von Personen, oft paarweise oder gruppiert, bevölkerten Bilder von Hausner. Filmstills gleich geben diese einen Einblick in eine Szene, einen Ausschnitt aus dem Leben der Figuren. "Wir als Betrachter bleiben mit Fragmenten zurück, eine eindeutige Erklärung bleibt uns die Malerin schuldig", erklärt Lahner. True Lies weise darauf hin: Jeder könne darin seine eigene Wahrheit finden.

Diese Fiktion erschafft Hausner in einem längeren Prozedere: Ihren Ideen gemäß baut sie Szenen in ihren Ateliers nach – sie arbeitet in Wien, Berlin und am Traunsee –, sichtet Modelle und inszeniert diese dann darin. Diese Settings fotografiert sie und legt anschließend ein grobes Bild an. In mehreren Sitzungen malt sie die Figuren dann nach den Modellen, die in unterschiedliche Rollen schlüpfen. Meist sind es Kunststudenten oder Schauspielerinnen. Bekannte Personen wie Elfriede Jelinek oder Frank Castorf hat Hausner auch schon porträtiert.

Keine Huren und keine Heiligen: Xenia Hausners Frauenfiguren sind stark und komplex, begehren gegen den männlich geprägten Blick auf – und starren zurück.
Foto: APA / ROBERT JAEGER

Umgedrehter Spieß

Zieht man beispielsweise Hausners 2017 entstandenen Zyklus Exiles 1–3 heran, auf dem sich Menschen aus offenen Zugfenstern zum Abschied herauswinden oder ihre Hände verzweifelt in diese hineinstrecken, so hat sie dafür ein ganzes Zugabteil aus Karton nachgebaut, ihre Modelle darin "ausprobiert": Zwar gebe es immer einen Plan für ihre Kompositionen, vieles ändere sich aber noch innerhalb des Prozesses – insbesondere durch die Zusammenarbeit mit den Modellen. "Ich fliege auf bestimmte Typen", sagt sie. "Gute Schauspieler müssen es aber nicht sein." Vielmehr sucht sie nach ausdrucksstarken Frauengesichtern. Zentral in ihren Bildern sind vor allem weibliche Figuren. Zwar treten darin auch Männer auf, allerdings sind diese in der Unterzahl. Lieb sei sie trotzdem zu ihnen.

In Interviews betonte Hausner bereits öfter, dass sie Frauen "komplizierter und vielschichtiger" finde. Diese übernehmen bei ihr alle Rollen, auch die der Männer. "Weder male ich sexy Busenwunder, noch sind es brave Lämmchen", sagt sie. Eher alles dazwischen: eigenwillige, schräge, starke Persönlichkeiten. Anders als in der vom männlichen Blick geprägten Kunstgeschichte dreht Hausner den Spieß um: In ihren Bildern erheben sich die Frauen – sie werden nicht betrachtet, sondern starren zurück.

Im Hintergrund tobt sich Hausner mit abstrakten Flächen aus. Die Malerei sei der Kern ihrer Arbeit. "Zum Schluss interessiert mich das Spiel mit den flächigen Stellen." Versucht man, ihre Kunst konzeptionell zu betrachten, greift Hausner sofort ein: Am Ende bleibe da nicht mehr als "orange, blau, grün, geil". (Katharina Rustler, 29.4.2021)