Schloss einen nationalen Alleingang in Sachen Sputnik V zunächst nicht aus: Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

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"Wir sind auf den letzten Metern", twitterte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) noch am 31. März. Davor tauschte er sich mit dem russischen Botschafter Dmitri Ljubinski über Lieferungen des Impfstoffs Sputnik V aus. Diesem Treffen sollen wochenlange Gespräche vorangegangen sein – auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin will Kurz deshalb telefoniert haben. Man lotete auch eine heimische Produktion des Sputnik-Impfstoffs aus. Nun schien in den Augen des Kanzlers ein Erfolg greifbar nahe. Er freute sich über "die verbindliche Lieferzusage" und garnierte sie mit Details. "Wenn wir Sputnik V bestellen, dann werden wir noch im April 300.000 Dosen, im Mai 500.000 Dosen und 200.000 Dosen Anfang Juni erhalten", tippte Kurz damals ins das soziale Netzwerk.

Der türkise Parteichef verkaufte seinen Verhandlungsausritt mit Russland als Erfolg. Doch dieser tritt nun nicht ein. Im April kam keine einzige Dosis des Impfstoffs in Österreich an.

Europäische Zulassung "absolute Bedingung"

"Die Verhandlungen dazu laufen", heißt aus dem Gesundheitsministerium. "Bis dato wurde kein Impfstoff von Sputnik V bestellt oder gekauft." Für das Ressort von Neo-Minister Wolfgang Mückstein (Grüne) müsse "jedenfalls klar sein, dass der Impfstoff ausreichend geprüft ist, und daher ist eine Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) absolute Bedingung". Genau diese Bedingung ist der Grund dafür, warum Sputnik V nicht wie geplant im April in Österreich landen wird.

In der Bundesregierung einigte man sich nämlich in der Zwischenzeit darauf, Sputnik V erst nach einer EMA-Zulassung erwerben zu wollen. Auch für Kurz war das bei den Verhandlungen mit Russland zwar schon eine Voraussetzung. Doch einen Alleingang Österreichs über eine Notfallzulassung wie Ungarn schloss der Kanzler Anfang April nicht aus. Dies machte Kurz vor Journalisten davon abhängig, wie lange der europäische Zulassungsprozess dauert und aus welchen Gründen er sich in die Länge zieht. Das Gesundheitsministerium ließ eine Notfallzulassung zunächst offen, hielt eine "umfassende Qualitätssicherung" vor der Verimpfung aber für unabdingbar.

Verunsichernde Berichtslage

Das Risiko ging man am Ende aber nicht ein. Wenige Tage nachdem Kurz die Verhandlungen mit Russland am 10. April als "de facto am Ende angelangt" bezeichnete, wurde bekannt, dass das Impfprogramm durch die überraschende frühere Lieferung von einer Million Biontech/Pfizer-Dosen im zweiten Quartal wohl stärker anziehen wird. Dadurch könne man bis zum Sommer ohnehin jeden impfen, meinte Mückstein dann am 19. April. Da verkündete der Gesundheitsminister auch, dass Sputnik V zwar "gut", aber ihm eine EMA-Zulassung "wichtig" sei. Durch die frühere Lieferung von Biontech/Pfizer soll es der Regierung auch leichter gefallen sein, eine mögliche Zulassung von Sputnik V abzuwarten, heißt es. ÖVP und Grüne einigten sich darauf, eine Million Dosen ankaufen zu wollen.

Es war aber auch die Berichtslage über Sputnik V, die für Unsicherheit sorgte. Das Staatliche Institut für Arzneimittelkontrolle in der Slowakei gab die 200.000 Dosen des russischen Impfstoffs Anfang April nicht frei – und wiederholte dieses Vorgehen am Freitag: Die gelieferten Impfstoffe seien nicht in allen Details identisch mit den zuvor in der Fachzeitschrift "Lancet" beschriebenen, kritisierte das Institut. Vorwürfe, gegen die sich die russischen Vertreter wehren. In dem Blatt wurde dem Impfstoff jedenfalls eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent attestiert.

Auch die Gesundheitsbehörde in Brasilien untersagte kürzlich vorläufig den Import von Sputnik V. Es gebe "nur unzureichende Daten zur Qualitätskontrolle, Sicherheit und Wirksamkeit".

Sputnik V würde man derzeit nur lagern

Wann und ob Sputnik V von der EMA genehmigt wird, ist unklar. Laut Regierungskreisen kann das noch Monate dauern. Aber den Aufwand, Sputnik V eigenhändig in Österreich zu prüfen und auf den Weg zu bringen, schätzt man in Teilen der Koalition als möglicherweise sogar größer ein, da die EMA für solche Verfahren auch strukturell besser darauf ausgerichtet sei.

Da man nun auf die Zulassung setzt, sollen sich auch mögliche Lieferungen des Vertragspartners, der Russland in diesen Verhandlungen vertritt, der Russian Direct Investment Fund, nach hinten verschieben. Denn das ursprüngliche Angebot hätte gekauft und sofort verimpft werden sollen. Durch die neuen Umstände wäre zumindest einmal die Charge von 300.000 Sputnik-Dosen für April bis auf Weiteres nur gelagert worden.

Je später die EMA-Zulassung stattfinde, desto weniger gebe es Notwendigkeit für Sputnik, sagte Kurz am Freitag bei einer Pressekonferenz. Die Verhandlungen seien jedenfalls "de facto fertig".

In einem früheren Stadium der Verhandlungen des Kanzlers mit Russland wurde die verkorkste Impfstoffbeschaffung Österreichs bekannt. Kurz sorgte daraufhin mit seiner Kritik an der Vakzinverteilung der EU für Verärgerung in Brüssel. Ganz knapp vor dem Ende des darauffolgenden europäischen Impfstoffstreits, im Zuge dessen Österreich rund 200.000 Biontech/Pfizer-Dosen abzwackte, wurden auch die Details für einen möglichen Sputnik-Deal des Kanzlers öffentlich. Davor kritisierte Kurz Lieferengpässe der Pharmaunternehmen sowie dass die EU zu langsam bei der Zulassung der Impfstoffe sei, und strebte eine Kooperation mit Israel und Dänemark bei der Impfstoffproduktion an. (Jan Michael Marchart, 30.4.2020)