Robin Dunnigan, Geschäftsträgerin an der US-Botschaft in Wien, ist davon überzeugt, dass Joe Biden die Vorzüge des demokratischen Systems wieder überzeugend herausstreichen kann.

Foto: ASlabihoud/US-Botschaft

STANDARD: Seit 100 Tagen residiert Joe Biden jetzt im Weißen Haus. Im Wahlkampf hatte er versprochen, Amerikas traditionellen Allianzen neues Leben einzuhauchen. Nun soll ihn seine erste Auslandsreise als US-Präsident nach Europa führen. Was hat sich geändert in Bezug auf das Verhältnis der USA zu Europa, seitdem Donald Trump nicht mehr im Amt ist?

Dunnigan: Der Präsident hat gesagt, dass die USA die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht allein meistern können und dass man daher jetzt die Allianzen reparieren müsse, vor allem jene zu unseren wichtigsten Partnern, den Europäern. Er hat auch schon ganz konkrete Schritte unternommen, etwa, indem die USA gleich am ersten Tag seiner Amtszeit dem Pariser Klimaabkommen wieder beigetreten sind oder indem er 40 Staats- und Regierungschefs zu einem Klimagipfel versammelt hat. Aber auch die Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die vier Milliarden Dollar (3,3 Milliarden Euro, Anm.), die die USA für Covax (Impfstoff-Initiative für bedürftige Länder, Anm.) bereitstellen, sind wichtige Schritte. Die Verlängerung des New-Start-Vertrags zur nuklearen Abrüstung mit Russland um fünf Jahre und die Wiederaufnahme der Atomgespräche mit dem Iran gehören ebenso zu diesen konkreten Schritten.

STANDARD: Bidens Vorgänger Trump hat mehr oder weniger offen die "starken Männer" in der Weltpolitik bewundert, etwa Russlands Präsident Wladimir Putin. Wie werden die USA denn ihren Kurs gegenüber den autoritären Herrschern dieser Welt verändern, jetzt wo Biden im Amt ist?

Dunnigan: Sowohl Biden als auch Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Antony Blinken haben regelmäßig erklärt, dass die USA schlechtes Benehmen nicht mehr tolerieren werden. Im Falle Russlands haben wir wegen der Einmischung in unsere Wahlen und der Vergiftung Alexej Nawalnys neue Sanktionen verhängt. Man kann aber andererseits nicht nur gegenüber Partnern und Verbündeten Diplomatie walten lassen, sondern muss das auch gegenüber Gegnern und autoritären Regimes tun. Wir müssen mit Ländern wie Russland und China zusammenarbeiten, wo immer es geht, aber auch reagieren, wenn diese uns bedrohen.

STANDARD: Wo sind denn die roten Linien der neuen US-Regierung, was das iranische Atomprogramm betrifft?

Dunnigan: Ich kann nur sagen, was unser Ziel ist, nämlich dass sich alle Parteien wieder an den JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action, Atomabkommen mit dem Iran, Anm.) halten. Unser Unterhändler Robert Malley, der gerade in Wien ist, hat klargestellt, dass sich in dem Moment, in dem sich der Iran wieder voll an seine Verpflichtungen hält, auch die USA an ihre Verpflichtungen im JCPOA, also die Aufhebung der Sanktionen, halten werden. Der Präsident hat erklärt, dass die USA dem Iran nicht erlauben werden, eine einsatzfähige Atombombe zu besitzen. Er hat aber auch betont, dass wir in gutem Willen verhandeln wollen.

STANDARD: In welcher Form werden sich die USA in nächster Zeit denn im Nahen Osten engagieren?

Dunnigan: Ich kann nicht für die Zukunft sprechen, aber schon jetzt ist Präsident Biden entschlossen, den Jemenkrieg zu beenden, und hat mit Tim Lenderking einen Sonderbeauftragten ernannt. Klar ist aber, dass der Nahe Osten etwa mit den Problemen zwischen Israel und den Palästinensern ein großes außenpolitisches Thema ist. Ich kann aber noch nicht sagen, wie Präsident Bidens Zugang da sein wird.

STANDARD: Aber was wird Biden tun, damit sich Israel sicher fühlt?

Dunnigan: Der Präsident hat klargestellt, dass Israel ein treuer Partner und dass seine Sicherheit ein zentraler Punkt für die Sicherheit im Nahen Osten ist. Die Iran-Verhandlungen sind ein Teil davon. Ein konstruktives Verhältnis zu Israels Nachbarn gehört auch dazu.

STANDARD: Biden hat in seiner Rede im Kongress am Mittwoch seinen "American Families Plan" vorgestellt, der für amerikanische Verhältnisse geradezu revolutionäre Reformen umfasst, etwa bezahlten Mutterschaftsurlaub oder Zuschüsse für Kinderbetreuung. Hat die Welt den Reformeifer des 78 Jahre alten Präsidenten unterschätzt?

Dunnigan: Wie auch immer man ihn vorher eingeschätzt hat, fest steht, dass Präsident Bidens erste 100 Tage enorm produktiv und erfolgreich waren. Erst der Plan zur Wirtschaftsankurbelung, dann der Infrastrukturplan, nun der Familienplan. Das sind kraftvolle, ehrgeizige Pläne, nicht zu vergessen auch die Impfkampagne, dank der mehr als die Hälfte der Erwachsenen in den USA zumindest einen Stich erhalten haben. Präsident Biden hat da die ganze Kraft der Bundesregierung genutzt, um das Impfen zu beschleunigen und eine Erfolgsgeschichte daraus zu machen.

STANDARD: Natürlich gibt es auch Kritik, der republikanische Abgeordnete Tom Scott etwa meinte in seiner Replik auf Bidens Rede, der Präsident spalte das Land mit seinen Reformen nur noch weiter, anstatt es zu einen. Geht Biden zu weit mit seiner Agenda?

Dunnigan: Ich glaube nicht, dass der Präsident Dinge wie Infrastruktur, die Unterstützung für einkommensschwache Familien oder Impfungen als parteipolitische Angelegenheiten betrachtet, sondern als amerikanische Angelegenheiten. Es ist doch überraschend, dass solche Themen als spalterisch betrachtet werden.

STANDARD: Biden sagte mit Blick auf China auch, dass sich das demokratische System der USA im Vergleich mit autoritären Staaten neu beweisen müsse. Wird es ihm gelingen, die Stärke der Demokratie herauszustreichen?

Dunnigan: Wir arbeiten in dieser Frage stark mit der österreichischen Regierung zusammen, weil wir beide fest daran glauben, dass unser Bekenntnis zur Demokratie, zur Freiheit der Meinungsäußerung und zu den Menschenrechten einen fundamentalen Unterschied zu Chinas Umgang mit der eigenen Bevölkerung darstellt. Schlussendlich haben uns diese westlichen Werte so wohlhabend gemacht, wie wir heute sind. Ich glaube schon, dass es dem Präsidenten gelingen wird aufzuzeigen, dass unser Weg der bessere ist als jener Chinas, wo man eingesperrt werden kann, wenn man die Regierung kritisiert oder wenn man, so wie die Uiguren, eine andere Religion hat. Diese Auffassung teilen wir mit Österreich und Europa.

STANDARD: Wird sich Biden in Zukunft noch stärker für die Belange der verfolgten Uiguren einsetzen?

Dunnigan: Dieses Thema wird weder für Präsident Biden noch für Außenminister Blinken so schnell an Bedeutung verlieren. (Florian Niederndorfer, 30.4.2021)