"Dossier"-Datenjournalist Peter Sim.

Foto: Dossier/Privat

Wien – Mit der Botschaft "'Dossier' ist unter Druck" ist die Rechercheplattform vor rund drei Wochen an die Öffentlichkeit gegangen, um auf ihre prekäre wirtschaftliche Situation aufmerksam zu machen. Der Grund: Das Aus der Recherchen für Peter Kliens ORF-Late-Night-Show "Gute Nacht Österreich" hat ein Loch in das Budget gerissen.

Wenn sich die Zahl der Mitglieder bis Ende April nicht von 2.000 auf mindestens 3.000 erhöhe, drohe "Dossier" das Aus, erklärte Chefredakteur Florian Skrabal Mitte April– der STANDARD berichtete. Das Team lieferte 18 Gründe, warum es sich lohnt, "Dossier" zu unterstützen. Nach dem Ende der Crowdfunding-Kampagne ist klar: Die Existenz von "Dossier" ist gesichert.

Die Zahl der Mitglieder konnte von 2.000 auf über 5.000 katapultiert und somit mehr als verdoppelt werden. Eine Jahresmitgliedschaft kostet 52 Euro und bringt künftig vier Hefte pro Jahr. "Dossier"-Journalist Peter Sim zieht im Interview Bilanz über die Kampagne, erklärt, welche Rolle die angekündigte und mittlerweile zurückgezogene, 130.000 Euro schwere Schadenersatzklage der OMV gespielt hat, und berichtet, welche Pläne "Dossier" jetzt hat.

STANDARD: 3.000 Mitgliedschaften waren das deklarierte Ziel der Crowdfunding-Kampagne, jetzt sind es über 5.000, und der Fortbestand von "Dossier" ist mehr als gesichert. Wie fällt die Bilanz aus, und mit welchem Budget können Sie jetzt planen?

Sim: Positiv, sehr positiv! Klar, denn das ausgerufene Ziel haben wir weit übertroffen. Aber wie Sie sagen: Das Ziel war es, den Fortbestand von "Dossier" zu sichern, und nicht, uns für die kommenden Jahre auszufinanzieren.

Dass wir nun über 5.000 Mitglieder haben, ist überwältigend. Das gibt uns ein wenig Luft, ausruhen können wir uns aber nicht. Die Rechnung ist einfach: 5.000 Mitglieder finanzieren fünf – wirklich nicht überbezahlte – journalistische Arbeitsplätze. Für die geplanten vier statt bisher zwei "Dossier"-Magazine im Jahr ist das von der benötigten Man- und Womanpower noch immer am unteren Rand. Wir brauchen weiterhin die Einnahmen der Dossier Academy, gute Verkaufszahlen der kommenden Magazine und neue Abonnentinnen und Abonnenten mit jeder Veröffentlichung. Aber wenn wir die Qualität der bisherigen Magazine halten können, und das war ohnehin der Plan, mache ich mir da wenige Sorgen.

STANDARD: Welche neuen Projekte sind in Planung? Und soll es künftig keine Auftragsarbeiten mehr für andere Medien geben?

Sim: Das wichtigste neue Projekt: vier statt zwei Magazine im Jahr. Intensive Recherche braucht Zeit. Um weiterhin so tief und umfassend recherchieren und berichten zu können, werden wir in Zukunft an zwei Themen, also zwei Magazinen, parallel arbeiten. Dazu braucht es zusätzliches Personal. Für neue Angestellte wird es aber noch ein paar mehr Mitglieder brauchen. Rechercheaufträge lehnen wir auch weiterhin nicht von vornherein ab. Es gibt so viele schöne Möglichkeiten, investigativen Journalismus unters Volk zu bringen – Theaterstücke, Satiresendungen, Lieder –, diesen Möglichkeiten stehen wir weiterhin sehr positiv gegenüber. Was uns aber die brenzlige Situation gelehrt hat: Wir wollen in Zukunft nicht von Auftragsarbeiten abhängig sein, sondern nur von unseren Leserinnen und Lesern, die Auftragsarbeiten müssen ein Extra sein.

STANDARD: Wie will man die zusätzlichen Mitglieder langfristig bei der Stange halten?

Sim: Zuallererst durch unsere Magazine, sie sind unsere Visitenkarte und Leistungsschau. Tausende Menschen haben gerade das erste Mal unsere Red-Bull-, Supermarkt- oder Korruptionsnummer in der Hand. Selbst wenn die Motivation von einigen neuen Mitgliedern die Rettung von "Dossier" gewesen sein dürfte, gehen wir davon aus, dass sie in Zukunft "Dossier"-Mitglieder sind, weil sie unseren Journalismus schätzen. Zusätzlich gibt es exklusive Geschichten auf unserer Website – wie zum Beispiel zur OMV – und jede Menge anderer Goodies, etwa Einladungen zum "Dossier"-Hinterzimmer, unserer Mitgliederveranstaltung im Roten Salon des Volkstheaters.

STANDARD: Print, also das Heft, ist und bleibt die Plattform für die Recherchen?

Sim: Ja. Ich bin davon überzeugt, dass gedruckte Magazine die richtige Form für unsere Art des Journalismus sind. Zehn bis 20 teils lange Geschichten zu einem Thema online zu lesen ist kein Vergnügen. In einem aufwendig produzierten und auch künstlerisch wertvollen Magazin ist es genau das. Unsere Website wird aber keinesfalls verwaisen. Dort werden wir weiterhin exklusive Geschichten bringen, die für Gesprächsstoff sorgen.

STANDARD: Die Leserinnen und Leser sind anscheinend bereit, für Qualitätsjournalismus zu zahlen, wenn man ihnen klarmacht, dass er etwas kostet. Haben Sie mit diesem Zuspruch gerechnet?

Sim: Erträumt ja, gerechnet nein – vor allem nicht in der kurzen Zeit. Mit jedem neuen Magazin sind auch schon bisher jede Menge Mitglieder dazugekommen. Mit dem bisherigen Wachstum und zwei bis drei Magazinen im Jahr wären wir wohl Ende 2022 dorthin gekommen, wo wir jetzt sind. Dann wären wir auch von Rechercheaufträgen unabhängig gewesen. Dank des Drucks und der Unterstützung der Menschen haben wir einen kleinen Zeitsprung gemacht. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass es noch ein paar Zehntausend in unserem Land gibt, die noch nie von "Dossier" gehört haben, uns aber sehr gerne abonnieren wollen. Ich habe immer ein "Dossier"-Magazin in meiner Tasche. Wenn mich am Würstelstand wer fragt, was ich so mache, bekommt er oder sie ein Magazin in die Hand – und "Dossier" meistens ein neues Mitglied. Seit der Pandemie ist diese Form der Mitgliederakquise leider ein wenig eingeschlafen, ich will die finanzielle Zwickmühle von vor drei Wochen jetzt nicht auf Corona schieben, aber fünf Mitglieder mehr hätten wir wohl ohne das Virus schon gehabt.

STANDARD: Kompensieren die zusätzlichen Einnahmen den Wegfall von Peter Kliens "Gute Nacht Österreich" komplett?

Sim: Es ist knapp, ich schätze, ja. Geben Sie mir bitte ein paar Tage, um das auszurechnen. In den letzten zwei Wochen habe ich erfreulicherweise wenig gerechnet, sondern viel Magazine verschickt.

STANDARD: Welche Rolle hat die Klage der OMV gespielt? Sie hat ja auch zu einer Welle der Solidarität geführt.

Sim: Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich auf solche Einschüchterungsklagen gerne verzichten. Auch wenn wir dem Ausgang des Verfahrens durchaus optimistisch entgegengeblickt haben: Wenn wir verloren hätten, wäre das finanziell nicht stemmbar gewesen. Ich denke, das und die Absurdität der Klage haben die Menschen da draußen wahrgenommen und solidarisiert. Man muss vielleicht dazusagen, dass so hohe Schadenersatzforderungen sehr ungewöhnlich sind und wohl damit zu tun hatten, dass sie bei uns tatsächlich existenzbedrohend sind. Bis wir dagegen immun sind, wird es noch ein paar Tausend Mitglieder mehr brauchen. Bis dahin werden wir weiter sauber und sorgfältig berichten – das ist unsere Lebensversicherung. Weniger kritisch werden wir deshalb nicht.

STANDARD: Die OMV-Recherchen erscheinen trotzdem im "Falter". Warum nicht exklusiv auf der eigenen Webseite?

Sim: Für uns ist das eine Möglichkeit, ein noch größeres Publikum zu erreichen und "Dossier" einer Leserschaft näherzubringen, die wir vielleicht auch überzeugen können, "Dossier"-Mitglied zu werden. Simpel gesagt ist es eine Möglichkeit, Werbung für "Dossier" zu machen. Noch haben wir nicht die Reichweite des "Falter", und bevor wir Geld in Inserate investieren, publizieren wir lieber in einem von uns sehr geschätzten Medium. (Oliver Mark, 3.5.2021)