Wien – Angesichts der jüngsten Tötung einer Frau in Wien-Brigittenau reagieren Politikerinnen quer durch alle Parteien erschüttert: Donnerstagnacht erlag eine 35-Jährige ihren Schussverletzungen, als Tatverdächtiger gilt ihr 42-jähriger Ex-Lebensgefährte. An dem Fall besonders brisant: Bei dem Festgenommenen soll es sich um den berüchtigten "Bierwirt" handeln, der seit Frühjahr 2018 immer wieder mit seiner Klage gegen die grüne Klubchefin Sigrid Maurer wegen übler Nachrede für Aufsehen gesorgt hat – auch dem STANDARD liegen entsprechende Informationen aus dem Umfeld des Mannes vor. Eine offizielle Bestätigung der Polizei ist jedoch noch ausständig.

Meldeten sich am Donnerstag zur typischen Spirale der Gewalt gegen Frauen zu Wort: Justizministerin Zadić und Klubchefin Maurer.
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Auf Twitter schrieb Maurer in einer ersten Reaktion: "Dass es sich beim Täter offenbar um den Bierwirt handelt, schockiert mich persönlich, ist in der Sache aber unerheblich. Wir kennen die Mechanismen hinter der Gewalt: Frauenverachtung, Unfähigkeit Konflikte gewaltfrei zu lösen, die Wahrnehmung, Männer wären Frauen übergeordnet. Wir haben die gesellschaftliche & politische Verantwortung, die gefährlichen Männlichkeitsbilder zu brechen. Von Beginn an." Nachsatz: Für den Bierwirt gelte freilich die Unschuldsvermutung, twitterte Maurer auch, bisher bestehe nur ein Tatverdacht.

Auch Maurers Anwältin Maria Windhager, die auch den STANDARD in medienrechtlichen Angelegenheiten vertritt, hält im Gespräch zur Tötung der Frau fest: Es fange "mit verbaler Gewalt an" und ende oft in solchen Taten – "die Gesellschaft sollte daher jede Gewalt gegen Frauen nicht unterschätzen".

Ebenfalls über Twitter zu Wort meldete sich Justizministerin Alma Zadić (Grüne): "Ein Frauenmord geschieht nicht plötzlich, sondern baut sich in kleinen Schritten auf – von Alltagssexismus über angriffige Nachrichten und Übergriffe bis hin zum Mord. Wir müssen bei der Gewaltprävention ansetzen." Die Serie an Femiziden müsse ein Ende haben.

Ein erstes Statement aus den Reihen der Regierung gab es schon am Freitagvormittag durch Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Sie unterbrach ihr Statement während einer gemeinsamen Pressekonferenz zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP), um zu den aktuellen Geschehnissen Stellung zu nehmen: Sie wolle als Frau in diesem Land ein paar Sätze dazu sagen, bevor sie zur Tagesordnung übergehe, sagte die Ministerin. Nach dem mutmaßlichen Mord wolle sie die Möglichkeit nutzen, um "ihr tief empfundenes Beileid" auszudrücken. "Es ist die neunte Frau, die dieses Jahr ermordet wurde. Da müssen wir etwas tun."

Van der Bellen meldete sich via Twitter

Wenig später erklärte auch Neos-Frauensprecherin Henrike Brandstötter: "Es ist schrecklich und erschüttert jedes Mal aufs Neue bis ins Mark. Wir können nicht länger dabei zusehen, wie mittlerweile nahezu wöchentlich eine Frau getötet wird. Wir müssen endlich Maßnahmen zum Schutz von Frauen setzen, die auch greifen." Dringend brauche es mehr Budget für Gewaltschutz und mehr Hilfseinrichtungen für Gewaltopfer. "Vor allem Frauen mit Behinderungen, Asylwerberinnen und auch Kinder, die Zeugen von häuslicher Gewalt werden, bekommen nicht die notwendige Unterstützung und Betreuung."

Erschüttert zeigte sich auch SPÖ-Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek. "Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren und müssen den Schutz von Frauen rasch verbessern." Die SPÖ-Frauen drängen auf eine sofortige Umsetzung eines Gewaltschutzgipfels mit allen in diesem Bereich tätigen Organisationen. Heinisch-Hosek wies in diesem Zusammenhang auf die Notwenigkeit bundesweiter Hochrisikofallkonferenzen und den Ausbau von Antigewalttrainings hin.

Am Freitagabend meldete sich dann auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf Twitter zu Wort. "Frauenhass und Gewalt gegen Frauen und Mädchen dürfen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben", schrieb er im zweiten Teil seines Twitter-Threads. "Mein Mitgefühl gehört den Angehörigen der Opfer, aber auch allen Frauen und Mädchen, die Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt wurden."

Nur Spitze des Eisberg der Männergewalt

Für Viktoria Spielmann, Gemeinderätin und Frauensprecherin der Grünen Wien, sind die Frauenmorde "die Spitze des misogynen und patriarchalen Eisbergs der Männergewalt gegen Frauen". "Die patriarchale, geschlechtshierarchische Struktur unserer Gesellschaft vermittelt die Vorstellung der Überlegenheit von Männern und der Unterordnung von Frauen. Solche Vorstellungen haben zur Folge, dass viele Männer es für selbstverständlich ansehen, Frauen zu demütigen, zu bedrohen, ihnen sexuelle Gewalt anzutun, sie zu schlagen. Oder sogar sie zu ermorden", ergänzte Meri Disoski, Frauensprecherin im grünen Parlamentsklub.

Am Samstagvormittag meldete sich FPÖ-Frauensprecherin Rosa Ecker zu Wort. Sie fordert Schutzmechanismen, "dass bei der Entscheidung zu einer Trennung Frauen unterstützt werden, wenn sie befürchten, dass der Mann ausrastet". Die Einschätzungen der Frauen müssen maßgeblich sein, denn sie "kennen ihren Partner, fürchten sich vor ihm und fürchten sich um das Sorgerecht der Kinder und auch um deren Leben". "Wut, Fassungslosigkeit, Sprachlosigkeit und Traurigkeit helfen keinem Opfer und dessen Angehörigen."

Der Tenor all der politischen Appelle: Es müsse verstärkt in die Prävention investiert werden. Erst am Mittwoch vergangener Woche hatte ein 65-Jähriger in Neulengbach im Bezirk St. Pölten-Land seine 64-jährige Lebensgefährtin getötet. Der Mann ist geständig und in Untersuchungshaft.

Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) versicherte zudem: "Der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt ist der gesamten Bundesregierung ein wichtiges Anliegen." Daher fließe ein großer Teil des Frauenbudgets in Gewaltschutzmaßnahmen, wie beispielsweise in die Finanzierung von Gewaltschutzzentren oder Frauenberatungsstellen als erste Anlaufstelle für betroffene Frauen und Mädchen. Zudem habe Türkis-Grün letztes Jahr auch 3,25 Millionen Euro für Gewaltschutzprojekte in ganz Österreich zur Verfügung gestellt.

Sicherheitsgipfel am Montag

Am Freitagabend wurde bekannt, dass am Montag ein Sicherheitsgipfel im Innenministerium stattfinden wird. Dabei soll ein Maßnahmenpaket zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt geschlossen werden, hieß es in einer Pressemitteilung.

Raab und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) wollen dabei mit den neun Landespolizeidirektoren und Landeskriminalamtsleitern eine weitere Intensivierung des Instruments der Fallkonferenzen in allen Bundesländern thematisieren. "Für eine einheitliche und standardisierte Abwicklung dieser Fallkonferenzen, die mit dem 1. Jänner 2020 ins Gewaltschutzgesetz aufgenommen wurden und seither als Instrument zur Prävention von Gewalttaten zur Verfügung stehen, wurde ein Leitfaden entwickelt", hieß es.

Das Frauenministerium und das Bundeskriminalamt werden außerdem eine qualitative Untersuchung aller Tötungsdelikte an Frauen in den vergangenen zehn Jahren in Auftrag geben. Damit sollen wichtige Erkenntnisse über polizeiliche Maßnahmen vor Tötungsdelikten – etwa ob es im Vorfeld eine Wegweisung oder ein Betretungsverbot gegeben hat –, über die Täter und ihre Motivlage gewonnen werden.

Totale Überlastung

Die Opferschutzeinrichtungen hingegen beklagten am Freitag erneut eine totale Überlastung ihrer Institutionen. Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionshilfe gegen Gewalt in der Familie, berichtete der APA etwa, dass ihre Organisation mehr als 6.000 Fälle pro Jahr bearbeitet. "Da ist keine Zeit, auf das Opfer einzugehen", bemängelte sie.

Im Jahr 2020 seien in Wien von der Interventionsstelle 6.199 Fälle betreut worden. Eine langfristige und intensive Unterstützung Betroffener sei so nicht mehr möglich. Ein Berater bzw. Beraterin hat in akuten Hochzeiten bis zu 300 Opfer zu betreuen. "Für Kolleginnen und Kollegen ist das eine unheimliche Belastung, weil sie so wenig Zeit haben und nur kurzfristig da sein können." Die Einrichtungen, so Logar, hätten mehrfach die Politik um Hilfe gebeten, weil die Anforderungen gestiegen seien. (red, 30.4.2021)