Der futuristische Labtruck der HG Pharma scheint Tirols Entscheidungsträger nachhaltig beeindruckt zu haben. Aktuell ist er allerdings wegen Wartungsarbeiten nicht in Betrieb.

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Im September 2020 ließ sich Landeshauptmann Günther Platter noch gerne mit HG Pharma-Chef Ralf Herwig ablichten.

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Innsbruck – In Tirol wurde wieder einmal "alles richtig" gemacht. Die oppositionelle Liste Fritz hat im Zuge mehrerer Landtags-Anfragen die Auftragsvergabe des Landes unter die Lupe genommen. Wie die Antworten der Landesregierung nun zeigen, wurden rund um die Bewältigung der Corona-Pandemie lukrative Aufträge ohne Ausschreibung und teils ohne nachvollziehbare Kriterien an Unternehmen vergeben, die einerseits der ÖVP nahe stehen oder aber, im Falle eines Urologen, die sich aufgrund schwerer beruflicher Verfehlungen derzeit vor Gericht verantworten müssen.

Die Geschichte rund um den Urologen ist ebenso skurril wie komplex. Es geht um das Unternehmen HG Pharma aus Wien, das 2015 von dem Urologen Ralf Herwig und dem Biochemiker Joachim Greilberger gegründet wurde. "Mit dem Ziel Ursache, Entstehung und Progression von Krankheiten und deren Symptome besser zu verstehen, erforscht ein Team von Wissenschaftlern und Ärzten die Zellgesundheit. Auf Basis dieser Forschungsarbeit konnten neuartige, patentierte Medizinprodukte zur Aktivierung und Unterstützung der Gesundheit entwickelt werden", lautet die Selbstbeschreibung des Unternehmens.

Der futuristische Lastwagen

Im September 2020 wurde die Tochterfirma HG Labtruck GmbH mit Sitz in Kirchberg in Tirol gegründet. Als Geschäftsführer fungiert Herwig, 100 Prozent-Gesellschafter ist die HG Pharma. Bekannt wurde das Unternehmen durch seinen futuristisch anmutenden Lkw, der als rollendes Testlabor in Tirol eingesetzt wurde. Im September 2020 ließ sich Landeshauptmann Günther Platter noch gerne mit Herwig und dem Laster ablichten. Auf die Anfrage der Liste Fritz zu den Hintergründen des Deals mit der HG Pharma wollte Platter aber nichts mehr sagen und verwies an Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP).

Und dessen Antworten werfen mehr Fragen auf, als sie klären. Denn die mehr als acht Millionen Euro, die HG Pharma bisher vom Land Tirol erhielt, wurden ohne Ausschreibung vergeben. Und die Begründung, warum man das so tat, hält einer Überprüfung nicht stand. Es hätten "äußerst dringliche und zwingende Gründe" vorgelegen: "Der seinerzeit gegebene dringende Bedarf konnte letztlich nur vom beauftragten Auftragnehmer in der gewünschten und notwendigen Form, insbesondere mit der dringend erforderlichen unverzüglichen Auswertung der Tests erbracht werden, sodass die Vergabe ohne vorherige Bekanntmachung mit nur einem Unternehmer begründet werden kann."

Tiroler Unternehmen blieben außen vor

Doch das stimmt so nicht, wie eine STANDARD-Nachfrage bei der Firma Sinsoma zeigt. Das auf DNA- und RNA-Analysen spezialisierte Tiroler Unternehmen ist ein Spin Off der Universität Innsbruck und hat seit dem Frühjahr 2020 einen – nach wie vor aufrechten – Werkvertrag mit dem Land Tirol. Sinsoma erbrachte bis September 2020, so wie einige weitere Labore in Tirol auch, ebendiese Dienstleistungen für das Land. Doch plötzlich, von einem Tag auf den anderen und ohne Begründung, erhielt man ab Mitte September keine Proben mehr. "Das war für uns auch wirtschaftlich nicht ganz ohne, weil wir mit den Aufträgen gerechnet hatten", erklärt Corinna Wallinger von Sinsoma.

Im September 2020 schloss das Land praktisch einen "all inclusive"-Vertrag mit Herwigs HG Pharma ab. Ohne Ausschreibung und auch ohne vorher bei anderen Laboren nachzufragen, ob und zu welchen Konditionen diese die Dienstleistung erbringen könnten. Hätte man das gemacht, so wäre schnell klar geworden, dass es durchaus auch Tiroler Firmen gibt, die das bewerkstelligen könnten. "Ich kann nur für die Sinsoma sprechen, hier erfolgte die Übermittlung der Ergebnisse in der Regel innerhalb von 24 Stunden, längstens jedoch 48 Stunden nach Einlangen der Proben. Zu der Dauer der Analyse bei anderen Unternehmen kann ich nichts sagen. Ich weiß, dass auch nach Übernahme der Tests durch die HG Pharma trotzdem teilweise Wartezeiten von mehren Tagen auf die Ergebnisse gegeben waren", erklärt Wallinger.

Es wurde nicht einmal nachgefragt

Ein weiteres Argument des Landes für die Vergabe an HG Pharma ist, dass das Unternehmen garantiere, die PCR-Laborbefunde "innerhalb kürzester Zeit, mit guter Qualität und mit einem für andere Systempartner geringeren logistischen Aufwand – also insgesamt ökonomischer und flexibler als die bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Abläufe der ISCO Datenbank als zentrales Instrument der statistischen Erfassung und Information zur Verfügung zu stellen". Doch auch das hätte Sinsoma gekonnt, wie Wallinger erklärt: "Wir verfügen über eine HL-7 Schnittstelle an die Datendrehscheibe der World-Direct eBusiness solutions GmbH und somit an die Landes Corona-Datenbank. Wir haben ja über einen längeren Zeitraum auch die behördlichen Tests für die 1450 für das Land gemacht. "

Doch bei Sinsoma wurde nie nachgefragt, wie Wallinger bedauert: "Wir sind zu 100 Prozent ein Tiroler Unternehmen. Es wäre toll, wenn uns das Land in Form von Aufträgen unterstützen würde." Seitens des Landes argumentiert der verantwortliche Leiter des Corona-Einsatzstabes Elmar Rizzoli die Direktvergabe an das Wiener Labor HG Pharma damit, dass schnell gehen musste und in Tirol angesichts der zweiten Welle nicht genügend Laborkapazitäten vorhanden gewesen seien. Tilg schreibt in seiner Beantwortung, dass HG Pharma mit einem fertigen Konzept beim Land vorstellig wurden. Warum man nicht wenigstens verglichen hat, sondern sofort zusagte, bleibt offen. Andrea Haselwanter-Schneider von der Liste Fritz vermutet "Freunderlwirtschaft". Rizzoli dementiert, dennoch rückt das Land den Vertrag mit dem Unternehmen nicht heraus.

Der "sportliche Preis" der HG Pharma

Ein weiteres Argument, dass für HG Pharma spreche, sei der Preis, heißt es. Denn das Wiener Labor bietet die PCR-Testanalyen für 38,50 Euro pro Stück an. Herwig behauptete gegenüber dem ORF Tirol, dass er trotz des günstigen Preises höchste Qualität anbiete. Das bezweifeln allerdings andere Experten auf diesem Gebiet, wie etwa der Osttiroler Virologe Gernot Walder. Gegenüber dem ORF Tirol erklärte er dazu, dass man für 38,50 Euro pro Test "relativ sportlich unterwegs sein" müsse, um dennoch Qualität zu liefern.

Wallinger von Sinsoma hält den Preis ebenfalls für zu niedrig angesetzt. Fraglich sei vor allem, wie sehr die HG Pharma Proben "poolt". Darunter versteht man, das Zusammenmischen mehrerer Proben, um nicht jede einzeln testen zu müssen. Je mehr Proben auf einmal analysiert werden, umso billiger wird es. Allerdings, so Wallinger: "Je mehr man verdünnt, umso weniger aussagekräftig wird das Ergebnis." Sinsoma mixe maximal fünf Proben zusammen und informiere vorab den Auftraggeber, wenn man das mache. Auf Nachfrage beim Land war nicht zu erfahren, ob und in welchem Maße die HG Pharma poolt. Beim Unternehmen selbst war am Samstag vorerst niemand zu erreichen.

Herwigs laufende Verfahren

Die offenbar ungeprüfte Vergabe des größten Auftrages für Corona-Testungen in Tirol hat einen weiteren, sehr skurrilen Aspekt. Denn Urologe Herwig ist fachlich ein offenbar sehr umstrittener Mediziner. Er muss sich aktuell wegen schwerer Körperverletzung mit Dauerfolge sowie schwerem Betrug vor Gericht verantworten. Er soll zwischen 2013 und 2017 fünf Männer, die sich wegen Erektionsproblemen zu ihm in Behandlung begeben hatten, falsch diagnostiziert und in weiterer Folge bei den Patienten gefäßchirurgische Eingriffe vorgenommen haben, die nicht dem Stand der Wissenschaft entsprachen.

Laut Anklage fügte er damit vier Patienten, denen er ein – tatsächlich nicht vorhandenes – venöses Leck in einer Penisvene diagnostiziert hatte, eine schwere gesundheitliche Schädigung, nämlich eine dauerhafte erektile Dysfunktion zu. Bei einem Patienten soll der Urologe entgegen dessen Willen eine Penisverlängerung und -verdickung vorgenommen haben. Der Anklageschrift zufolge hatte das "eine wesentliche Veränderung seines Penis samt Erektionswinkel" zur Folge, was die Staatsanwaltschaft als schwere Körperverletzung qualifiziert.

Schwere Vorwürfe: zwei Patienten nahmen sich das Leben

Damit nicht genug. Die Anklagebehörde glaubt beweisen zu können, dass der Urologe die Männer in Bereicherungsabsicht bewusst getäuscht hat, um hinsichtlich der von ihm angeratenen Operationen jeweils ihre Einwilligung zu erwirken. In Bezug auf die kassierten Honorare – insgesamt 28.750 Euro – ist daher auch schwerer Betrug angeklagt.

Für den Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Der Arzt hat sich im Ermittlungsverfahren "nicht schuldig" bekannt. Er habe zutreffende Diagnosen erstellt und in sämtlichen angelasteten Fällen eine weltweit anerkannte, von ihm mitentwickelte Methode zur Behebung von Erektionsproblemen eingesetzt. Die Eingriffe seien indiziert gewesen. Mehrere ihn belastende Sachverständigengutachten – auf ihnen beruht die Anklage – hat der Angeklagte zurückgewiesen. Die Gutachter hätten nicht die nötigen Sach- und Fachkenntnisse, ihre Expertisen wären weder nachvollziehbar noch schlüssig.

Den von der Staatsanwaltschaft eingeholten Gutachten zufolge lag für die operativen Eingriffe keine medizinische Notwendigkeit vor. Vor allem aber sollen sie nicht lege artis durchgeführt worden sein. Zwei betroffene Patienten, die schon vor den Operationen sehr unter ihren gesundheitlichen Problemen gelitten hatten, nahmen sich in weiterer Folge das Leben.

Land verweist auf Internet-Recherche

Die Anklagebehörde geht davon aus, dass der Urologe sich bewusst war, dass Patienten mit dieser Methode nur im Rahmen von klinischen Studien behandelt hätten werden dürfen. Er habe daher "nach anderen Möglichkeiten" gesucht, "um die von ihm mitentwickelte Methode zu testen und ihr so zu Erfolg zu verhelfen". Auch finanzielle Motive hätten eine Rolle gespielt, meint die Staatsanwaltschaft. Der Arzt hatte ein Konkursverfahren hinter sich, seine Anstellungen bei mehreren Krankenhäusern verloren, im inkriminierten Zeitraum war seine Privatordination seine einzige Einkommensquelle.

Rizzoli erklärte dazu im ORF Tirol, dass man weder die Firma noch die handelnde Person Herwigs vorher gekannt habe. Sie seien an das Land mit ihrem Angebot herangetreten. Man habe dann "aus fachlichen Gesichtspunkten" entschieden, so Rizzoli. Zudem habe man im Internet auch positive Bewertungen zum Unternehmen gefunden. Eine genauere Internet-Recherche hätte allerdings auch zeigen müssen, dass Herwig auch wegen eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz mit der Justiz im Clinch liegt.

Am Freitag musste er sich vor dem Verwaltungsgericht in Wien dem Vorwurf stellen, ein Vitamin D-Präparat als vermeintliches Wundermittel vertreiben zu haben, das gegen Krebs und Corona helfen soll. Zum stolzen Preis von 990 Euro pro Packung. Herwig wies sämtliche Vorwürfe im Gespräch mit dem ORF zurück und spricht von einer "Hexenjagd" gegen seine Person.

Tourbusse für Tests

Fast schon ein Nebenschauplatz, aber thematisch dazu passend: die Liste Fritz hat noch eine weitere unklare Auftragsvergabe des Landes im Zuge der Corona-Pandemie aufgedeckt. Es geht um die Testbusse, die an den Landesgrenzen postiert wurden, um die bei der Ausreise aus Tirol nötigen Corona-Tests vor Ort durchführen zu können. Diese wurden vom Tiroler Unternehmen "Beat the Street" angemietet. Die Firma ist europäischer Marktführer in Sachen Tourbusse für Künstler. Wegen der Pandemie waren die Auftragsbücher jedoch leer.

Für eine Pauschale von 1500 Euro pro Tag wurden die Fahrzeuge angemietet, erklärte Landesrat Tilg in seiner Anfragebeantwortung. Ausgeschrieben wurde der Auftrag nicht. Weil man sehr spezielle Anforderungen an die Fahrzeuge stellte, was die Durchführung, Auswertung und Lagerung der Tests anbelangt, so die Erklärung. Man habe sehr wohl einschlägige Unternehmen kontaktiert, aber nur die als Tourbusse eben anders als Linienbusse gestalteten Fahrzeuge, hätten diese Anforderungen erfüllt.

Firmenchef ist Mitglied der Adlerrunde

Doch Liste Fritz-Mandatarin Haselwanter-Schneider gibt sich mit der Erklärung nicht zufrieden: "Private Initiativen in Gemeinden, bei denen auch Linienbusse eingesetzt wurden, hätten gezeigt, dass dies auch möglich wäre: "Aber die sind wohl keine Mitglieder der Adlerrunde, wie der Chef von diesem Unternehmen."

Der angesprochene "Beat the Street"-Geschäftsführer Jörg Philipp, gehört der laut Eigendefinition "politisch unabhängigen Plattform namhafter Unternehmerpersönlichkeiten aus unterschiedlichen Branchen" mit deutlicher ÖVP-Nähe an. Doch er wies die Kritik gegenüber der Tiroler Tageszeitung entschieden zurück. Dort sagt er: Sein übliches Geschäft sei durch die Pandemie zum Erliegen gekommen. Er habe seine Busse deshalb dem Land zu einem "günstigen und akzeptablen Preis" angeboten. Er verdiene sich dabei "keine goldene Nase". Deshalb müsse er auch "kein schlechtes Gewissen" haben. (Steffen Arora, APA, 1.5.2021)