Schon wenige Stunden nach dem Unglück wird eines der Opfer, hier im Bild, in Jerusalem zu Grabe getragen.

Foto: Menahem KAHANA / AFP

Es war kurz vor ein Uhr in der Früh, im Festzelt spielte noch die Band, und die Massen tanzten dicht gedrängt, als draußen die ersten Menschen erstickten. Bei den traditionellen Feiern am Grab des Rabbi Schim Bar Yochai auf dem Meronberg im Norden Israels kamen bei einer Massenpanik in der Nacht von Donnerstag auf Freitag 45 Menschen ums Leben, unter ihnen fünf Kinder.

Hunderte Menschen drängten gleichzeitig durch die schmale Schleuse, die über eine Metallrampe zu einer Treppe führte. Wie es genau begann, weiß niemand. Vielleicht war es nur ein einziger Mensch, der stolperte und so zum Stolperstein wurde für die, die hinter ihm drängten. "Eine Menschenlawine" – so drückte es ein Augenzeuge in einem Fernsehinterview aus. 38 Menschen verstarben laut dem Rettungsdienst Roter Davidstern noch an Ort und Stelle, bei sieben weiteren wurde im Krankenhaus der Tod festgestellt.

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Israels Premier Benjamin Netanjahu besuchte die Unglücksstelle im Norden des Landes.
Foto: Ronen Zvulun/Pool Photo via AP

Mindestens 150 Menschen wurden verletzt, vier schweben in Lebensgefahr. Tausende meldeten sich am Freitag bei den Telefonnotrufen, weil sie ihre Angehörigen vor Ort nicht erreichen konnten, da die Mobilnetze überlastet waren. Kinder, die ihre Eltern nicht wiederfanden, wurden von Rettungskräften vor Ort betreut. Und im Hintergrund liefen schon die Vorbereitungen für die Begräbnisse – um die Toten noch vor Schabbat bestatten zu können.

Umstrittene Erlaubnis

Jedes Jahr pilgern mehr als 100.000 streng religiöse Juden zum Lag-Baomer-Fest auf den Berg Meron, um mit großen Lagerfeuern, Konzerten und Gebeten zu feiern. Das vergangene Jahr bildete eine Ausnahme. Wegen der Covid-19-Pandemie setzten die Behörden die Teilnehmerzahl auf maximal 150 Menschen fest. Nicht alle Ultraorthodoxen hielten sich an das Verbot, Hunderte ließen sich die Pilgerfahrt nicht nehmen und fuhren trotzdem zum Berg Meron. Dieses Jahr, so hatte Innenminister Arye Deri vor drei Wochen erklärt, werde kein Gläubiger es akzeptieren, wenn die Politik den Feiernden erneut einen Riegel vorschiebe.

"Zum Glück ist die Infektionsrate niedrig, es gibt also keinen Grund, die Teilnehmerzahl zu beschränken", meinte Deri, selbst ein Ultraorthodoxer. Polizeiminister Amir Ohana von Netanjahus Likud-Partei stimmte zu. Lediglich dort, wo das Feuer gezündet wird, war die Zahl der gleichzeitig anwesenden Feiernden mit 10.000 Personen limitiert. Nur Geimpfte sollten dort Einlass bekommen, hieß es – wobei die Behörden schon im Vorfeld versicherten, dass niemand dies kontrollieren werde.

Trauer und Kritik

Am Tag nach dem Unglück stand das Land unter Schock. Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte den kommenden Sonntag zum nationalen Trauertag. Groß war aber auch die Solidarität. Menschen strömten in die Blutspendezentren – so viele, dass sie bald weggeschickt werden mussten, weil die Lager der Rettungsdienste mit der Menge an Blutkonserven nicht mithalten konnten.

In den arabischen Gemeinden nahe der Unglücksstelle öffneten Hoteliers und Familien ihre Räume für Evakuierte und Rettungskräfte, Wirte boten kostenlose Verpflegung an. Staatspräsident Reuven Rivlin richtete eine eigene Hotline in der Präsidentenkanzlei ein, um Angehörigen bei der Suche nach Vermissten zu helfen. Von der "größten zivilen Katastrophe in der Geschichte Israels" sprachen am Tag nach dem Unglück viele. Manche meinten, sie wäre zu verhindern gewesen.

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Viele Gläubige wohnen dem Abschied von Rabbiner Eliezer Goldberg bei, der bei dem Unglück zu Tode kam.
Foto: AP Photo/Ariel Schalit

Bereits vor dreizehn Jahren warnte das oberste Rechnungsprüfungsorgan Israels vor einem Unglück: Das Gelände sei teils ohne Baubewilligung errichtet worden, es fehle an Fluchtwegen. Ein internes Analysepapier der Polizei sprach vor fünf Jahren ebenfalls vom Risiko einer Massenpanik. Mehr als 15.000 Teilnehmer könne dieses Gelände nicht verkraften, hieß es darin. Wie viele am vergangenen Donnerstag vor Ort waren, als die Panik ausbrach, weiß niemand. Schätzungen reichen von "mehreren Zehntausend" bis zu 130.000 Menschen.

Die Unglücksursache zu erforschen ist nun Aufgabe der Polizei. Augenzeugen der Katastrophe werfen den Polizeikräften aber vor, das Unglück vor Ort selbst mitverursacht zu haben, in dem sie einen Ausgang blockierten. Ob dem so war, soll eine Untersuchungskommission des Justizministeriums klären.

Für liberale und säkulare Israelis ist der Berg Meron aber ein Symptom eines tieferliegenden Problems. Ultraorthodoxe hätten Freiheiten, die für andere nicht gelten, sagen sie. Da Benjamin Netanjahu ohne die beiden ultraorthodoxen Parteien nicht regieren kann, bekämen sie von ihm alles, was sie wollen – so auch jetzt. Allerdings hatten auch ultraorthodoxe Journalisten vor drei Jahren vor einer Massenpanik gewarnt. Ihre Mahnrufe waren ungehört geblieben. (Maria Sterkl aus Haifa, 30.4.2021)