SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner präsentierte am "Tag der Arbeit" ein Vier-Punkte-Programm für ein "anderes" Österreich – pandemiebedingt virtuell via Video.

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Wien – Es ist der zweite 1. Mai, den nicht nur die österreichischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten pandemiebedingt in den virtuellen Raum verlegen müssen. Auch heuer ist kein Aufmarsch draußen möglich, darum hat sich SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in einem Sechsminutenvideo, das unter anderem via Twitter verbreitet wurde, am Samstag mit ihrer Vision für die Zeit nach der Corona-Pandemie zu Wort gemeldet. Titelgebend war das Motto: "Ein gerechtes Österreich für alle! Hoch der erste Mai" – und daneben eine virtuelle Nelke.

Eine echte Nelke hingegen trägt die SPÖ-Vorsitzende in dem Video, in welchem sie gleich eingangs betont, dass die SPÖ den "Tag der Arbeit", diesen "Festtag der Sozialdemokratie" "Seite an Seite mit unseren Freundinnen und Freunden von der Gewerkschaft feiern." Leider nicht so, wie sie es gern tun würden, nämlich mit den traditionellen Maiaufmärschen.

Das Virus und die Regierung haben viel abverlangt

Die Pandemie habe Österreich "nach wie vor fest im Griff", sagt Rendi-Wagner und skizziert im ersten Teil ihrer kompakten 1.-Mai-Rede vor der Kamera, was die Corona-Krise angerichtet hat, welche Folgen sie für das Land und die Menschen hatte und hat. "Sie hat allen Menschen in Österreich alles abverlangt." Hunderttausende seien erkrankt, mehr als 10.000 Menschen gestorben, Schulen wurden geschlossen, es gebe Rekordarbeitslosigkeit, Rendi-Wagner nennt Insolvenzen, den Wirtschaftseinbruch und – vor dem Hintergrund des jüngsten Frauenmordes in Wien, den sie produktionsbedingt zwar nicht nennt, den aber alle Zuseherinnen und Zuseher mitdenken werden – "ja, die Zunahme häuslicher Gewalt".

Das Virus war zwar Auslöser der Pandemie, aber dann kommt die SPÖ-Chefin zur Bundesregierung, die es ja in erster Linie in der Hand hat, politische Maßnahmen zu setzen. Rendi-Wagner sagt: "Und auch die Regierung hat vielen Menschen in Österreich vieles abverlangt." Sie nennt "Rücktritte, Streit, gegenseitige Schuldzuweisungen, Korruptionsverdacht, ja, und Chats, die tief blicken lasse in den Politikbetrieb der ÖVP."

Hohe Hürden liegen vor uns

Damit sind die zentralen Eckpunkte abgesteckt und Rendi-Wagner erinnert noch einmal daran, was kommen wird: "Die Hürden, die vor uns liegen, sind hoch – und dennoch sage ich: Der 1. Mai gibt uns Hoffnung, Mut und Zuversicht für alles, was vor uns liegt."

Die Hoffnung in Rot bringt sie so auf den Punkt: "In Österreich wird hoffentlich bald vieles anders sein" – vor allem, wenn eine hohe Durchimpfung erreicht sei: "Dann wird das Tor zu mehr Freiheit langsam und vorsichtig aufgestoßen. Das ist gut und das ist wichtig."

Es ist aber auch eine politisch entscheidungsoffene Situation, warnt Rendi-Wagner, indem sie sagt: "Die Frage ist aber, ob dieses ,andere' Österreich auch zu einem besseren Österreich für alle wird." Auf diese Frage hat sie vier Antworten, die unter dem Generalziel eines "wirtschaftlich starken, sozial gefestigten und österreichischen Österreichs" stehen: "Wir müssen es nur wollen."

Pamela Rendi-Wagner greift dann zu einem vor allem durch den ehemaligen Neos-Chef Matthias Strolz berühmt gewordenen Bild, wenn sie die "Wirtschaft beflügeln und für Aufschwung sorgen will", einem Aufschwung, "der allen zugute kommen muss".

Folgende vier Schwerpunkte finden sich in Rendi-Wagners Post-Corona-Politikprogramm:

1. Hohe Investitionen: Sie seien "die Flügel, die unsere Wirtschaft braucht, um wieder durchstarten zu können". Wenn Milliarden in Verkehr und Infrastruktur, neue Energiesysteme, E-Mobilität und Forschung & Entwicklung fließen, dann stärke das den Standort, schaffe Arbeitsplätze und schütze die Umwelt und das Klima, erklärt die SPÖ-Chefin.

Und betont dann: "Was ich aber strikt ablehne, ist einfach neue Massensteuern einzuführen. Das ist keine sozial gerechte Klimapolitik." Massive Steuererhöhungen für breite Bevölkerungsgruppen einzuführen, "wie die Regierung das jetzt vorhat, nämlich dann, wenn sie selbst versagt, die Klimaziele zu erreichen" – "das ist ein Abwälzen der Verantwortung", kritisiert Rendi-Wagner.

2. Klatschen ist zu wenig: Der zweite Punkt auf Rendi-Wagners Programm lautet: "Arbeit und Leistung müssen endlich anders bewertet werden." Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien "absolute Leistungsträger: Sie sind das Fundament unserer Leistungsgesellschaft." Daraus leitet die Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei ab: "Es müssen endlich die Steuern auf Arbeit für jeden hart arbeitenden Menschen in Österreich gesenkt werden."

Gerade Frauen, die in vielen Schlüsselberufen wie etwa der Pflege in der Pandemie und da vor allem auch während der Lockdowns Österreich "am Laufen gehalten haben, müssen endlich besser bezahlt werden: Klatschen ist zu wenig. Geben wir den Heldinnen und Helden des Alltags endlich den Corona-Tausender", fordert Rendi-Wagner.

Sie spricht aber auch das Gegenüber er Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an, wenn sie sagt: "Leistung muss sich aber ebenso für Unternehmerinnen und Unternehmer auszahlen." Es könne nicht sein, "dass internationale Online-Multis Steuerschlupflöcher nutzen, um in Österreich große Profite zu machen, aber keine Steuern zu zahlen. Das ist ungerecht, allen Unternehmern in Österreich gegenüber, die pünktlich ihre Abgaben und Steuern leisten." Die SPÖ-Schlussfolgerung daraus: "Mehr Steuergerechtigkeit ist dringend notwendig."

Dann spricht Rendi-Wagner die "hohen Millionen- und Milliardenvermögen" im Land an. Sie müssten "endlich mehr beitragen, damit die Kosten dieser Krise gerecht verteilt werden und von wirklich allen geschultert werden."

3. Roter Teppich für die Pflege: Den dritten Punkt widmet Rendi-Wagner dem Thema Arbeitslosigkeit. Es müsse "alles unternommen werden", dass jene, die derzeit keinen Job haben, "rasch wieder eine Arbeit bekommen und Leistung erbringen können". Es brauche ein Beschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose, vor allem aber: "Lösen wir endlich den Pflegenotstand!"

Österreich habe einerseits eine Rekordarbeitslosigkeit und andererseits fehlen bis zu 80.000 Pflegekräfte, rechnet die SPÖ-Vorsitzende vor und fordert: "Allen Arbeitslosen, die in die Pflege wollen, muss in Österreich der rote Teppich ausgerollt werden. Investieren wir in die Pflege und den Gesundheitsbereich, denn er ist ein Zukunftssektor."

4. Bessere Schulen und stärkerer Sozialstaat: "Bauen wir die Schule der Zukunft, die allen Kindern in Österreich gerechte Chancen gibt", lautet Punkt vier. Und weiter: "Stärken wir den Sozialstaat und die öffentliche Gesundheitsversorgung", denn, so erklärt die ausgebildete Epidemiologin an der Spitze der SPÖ: Durch Investitionen in Spitäler und medizinische Forschung sei Österreich in Zukunft "noch besser geschützt und vorbereitet. Denn es wird nicht die letzte Pandemie gewesen sein. So ehrlich muss man sein."

Jetzt gilt es aber noch, die laufende Pandemie zu bewältigen, auch mit dem Wissen um das, was das Land und die Menschen können: "Österreich war in den letzten Jahrzehnten eines der erfolgreichsten Länder Europas", erinnert Rendi-Wagner: "Ein starker Sozialstaat und eine starke Wirtschaft sind kein Gegensatz, ganz im Gegenteil: Sie bedingen einander. Nach Corona muss Österreich diesen Weg fortsetzen – mit Zuversicht, mit neuen Ideen und ohne Denkverbote", schließt Rendi-Wagner ihre Mai-Rede: "Für ein Österreich der gerechten Lebenschancen für alle. Für einen Aufschwung, der bei allen ankommt. Freundschaft! Hoch der 1. Mai!"

Wimpel und rote Luftballons für daheim

Rendi-Wagners Videorede war Teil einer etwa zweistündigen 1.-Mai-Sondersendung, die die Wiener Landesgruppe unter dem Titel "Zusammenhalt macht stark!" als Stream ins Internet übertragen hat und in der mehrere hochrangige SPÖ-Funktionäre zu Wort kamen. So auch der Hausherr im Rathaus, wo in Zeiten der alten "Normalität" die Schlusskundgebung des großen 1.-Mai-Sternmarschs in Wien normalerweise geendet hätte, Bürgermeister Michael Ludwig, aber auch die Wiener SPÖ-Frauenvorsitzende Marina Hanke, Arbeiterkammerpräsidentin Renate Anderl und ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Außerdem wurde die bereits im Vorjahr gezeigte Dokumentation zur Geschichte des "Tags der Arbeit" gezeigt.

Kurz war der an sich verwaiste Rathausplatz übrigens doch Schauplatz des Geschehens: Ein Mini-Fahnenkorso mit Parteivertretern aus den Bezirken wurde dort samt Musik absolviert. Und für alle, die den 1. Mai zu Hause wenigstens ein bisschen standesgemäß feiern wollten, gab es von der SPÖ Wien auf Wunsch Pakete mit Wimpeln, Fahnen oder roten Luftballons.

Ludwig: "Kampftag" ist noch immer notwendig

Bürgermeister Ludwig erinnerte daran, dass am 1. Mai anfangs der Wunsch gestanden sei, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern. "Eine der Hauptforderung war der Achtstundentag." Es sollte damit die Möglichkeit geschaffen werden, sich in der Freizeit zu regenerieren. Ob es auch heute noch notwendig sei, einen "Kampftag" durchzuführen? "Ich würde meinen: Ja", konstatierte Ludwig.

Denn gerade jetzt in der Coronakrise sehe man starke Auswirkungen auf Wirtschaftsstandort und Arbeitsmarkt. "Deshalb unterstützen wir auch die Forderung der Gewerkschaftsbewegung, dass es ein Erhöhung des Arbeitslosengeldes in der Nettoersatzrate von 70 Prozent geben muss", sagte Ludwig. Er verwies auch auf das "600-Millionen-Euro-Investitionspaket" der Stadt, wobei er bei den Hilfsmaßnahmen unter anderem die Gastro-Gutscheine erwähnte.

Im Rahmen der Sendung wurde auch jene Dokumentation gezeigt, die bereit im Vorjahr ausgestrahlt worden war und die die Geschichte des "Tags der Arbeit" beleuchtet.

Doskozil erinnert die SPÖ daran, den 1. Mai jeden Tag zu leben

Quasi ein innerparteiliches Gegenprogramm zum Anschauen im Internet gab es vom burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der sich ebenfalls per Video zu Wort meldete. Er will, dass sich die Sozialdemokratie nicht nur am 1. Mai auf die Ziele, Forderungen und Inhalte konzentriert und forderte: "Dass wir jeden Tag im Jahr 1. Mai leben als Sozialdemokratie, darauf sollten wir uns besinnen. Wenn sich die Bevölkerung darauf verlassen kann, dass wir mit diesem Zugang Politik machen, dann mache ich mir keine Sorgen."

Unterstützung hätte sich Doskozil von der eigenen Partei aber bei seinem Thema Mindestlohn in Höhe von 1.700 Euro netto gewünscht. Im Landesdienst ist der Mindestlohn umgesetzt, die Gemeinden haben dazu auch die Möglichkeit. "Es ist ein mühsamer Weg, das in die Köpfe der Wirtschaft zu bringen und in alle Köpfe der Sozialdemokratie. Wir arbeiten daran, das ist ein ständiger Prozess." Um dieses Ziel auch bundesweit verfolgen zu können, hätte er sich aber mehr Unterstützung "erhofft und erwartet", sagte Doskozil. Mit dem Mindestlohn und mit dem Fokus auf das Thema Pflege gehe er im Burgenland jedenfalls einen sozialdemokratischen Weg.

Physische Präsenz der SPÖ in Steyr, aber auch von Regierungsspitze

Physische Präsenz zeigte die SPÖ am 1. Mai auch – bei einer Kundgebung in Oberösterreich vor dem MAN-Werk in Steyr, wo vor allem "Superreiche" und die ÖVP ins Visier genommen wurden.

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Auf Echtzeitbegegnungen trotz Corona-Pandemie setzten auch Regierungsmitglieder. In Wien statteten Vizekanzler Werner Kogler und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (beide Grüne) den Verschubarbeitern der ÖBB am Matzleinsdorferplatz einen Besuch ab und hoben die Bedeutung der Bahn für Klimaschutz und die Schaffung von "Green Jobs" hervor.

Gemeinsam mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) besuchte Kogler dann auch noch das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern und das angeschlossene Pflegehaus in Wien-Mariahilf, wo beide den Mitarbeitern im Pflege-, Gesundheits-und Sozialbereich ihren Dank für ihre Arbeit während der Corona-Pandemie aussprachen. Diese Zeit habe dem Personal "mehr abverlangt als sonst", die Regierung danke daher allen, "die so stark über sich hinausgewachsen sind", sagte Kurz.

FPÖ-Führungsspitze begeht den 1. Mai getrennt

Die Freiheitlichen zelebrierten am 1. Mai auch die Trennung zwischen Partei- und Klubspitze. FPÖ-Obmann Norbert Hofer wandte sich in einem Facebook-Video an seine Anhänger, in dem er den Wert "harter Arbeit" betonte und die beruflichen Werdegänge in seiner Familie skizzierte. Ganz anders tönte die Botschaft von Klubchef Herbert Kickl. Er setzte seinen Kampf gegen die Corona-Beschränkungen fort und forderte die Wähler auf, den regierenden Politikern die Jobs wegzunehmen.

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Die Neos begingen auch heuer den 1. Mai traditionell als "Tag der Bildung" und forderten am Samstag einen "digitalen Fitnessplan" für die Schulen. Unterstützt vom Bildungswissenschafter Christopher Hanzl von der FH Campus Wien forderte Neos-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre didaktische Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer und den Umbau der Schulen: "Es nützt nichts, nur die Endgeräte auszuteilen und zusagen: Mach was damit."

Nicht nur die Gewerkschaften meldeten sich am "Tag der Arbeit" traditionellerweise zu Wort, auch die Arbeitgebervertreter. So betonte die Industriellenvereinigung, dass nachhaltiges, investitionsgetriebenes Wachstum sichere Arbeitsplätze schaffe. Auch der ÖVP-Wirtschaftsbund propagierte in einer Aussendung: "Nur gesunde Unternehmen sichern Arbeitsplätze." (Lisa Nimmervoll, 1.5.2021)

Update um 13.05 Uhr: 1.-Mai-Aktionen und Stellungnahmen der SPÖ Wien, des burgenländischen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil, der Bundesregierung und der Opposition sowie der Arbeitgebervertreter wurden ergänzt