Das Schöne an der menschlichen Wahrnehmung ist, dass von ihr so viele Ausprägungen existieren, wie es Menschen auf der Welt gibt. Dann gibt es aber noch "die Wissenschaft", die rein objektiv ist und kaum Fehler macht. Nur ist dem wirklich so? Kann man die Welt in eine eindimensionale Dichotomie von Covidioten und seriösen Faktencheckern einteilen? Oder ist die Sache etwas komplizierter?

Viele Menschen hätten wahrscheinlich gar kein Problem sich impfen zu lassen oder die Corona-Maßnahmen zu befolgen. Sie misstrauen bewusst oder unbewusst den handelnden Akteuren in Politik, Wirtschaft und Gesundheitswesen. Jener Prozess ist aufgrund der Vorfälle in der Pandemie nicht ganz unverständlich. Dazu kommt noch die Tatsache, dass große Teile der Bevölkerung den Eindruck haben, dass die Politik ihre Maßnahmen nur mit Gewalt durchdrücken will, ohne die Menschen einzubinden oder überzeugen zu wollen. Hier helfen die Agenturspots mit Prominenten und die permanente Dauerberichterstattung über Fallzahlen und Inzidenzen in den öffentlich-rechtlichen Kanälen nicht, denn irgendwann tritt das Phänomen der Reaktanz und der damit verbundenen Abwehr ein. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass es Medien gibt, die den feinen Grad der Berichterstattung zwischen Corona-Leugnertum und Corona-Hysterie beherrschen.

Die älteste Zeitung der Welt könnte bald nicht mehr erscheinen.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die feinen Unterschiede

Keine Angst, dies ist kein Brief, der an den Bundeskanzler gerichtet ist, weil diesem die vorliegenden Zeilen recht herzlich egal sein werden. Realität ist, dass sich die Medienlandschaft in der größten Transformationsphase seit dem Einsetzen des Social-Media-Hypes befindet. Klassische renommierte Medien, was auch immer man darunter verstehen mag, kommen immer stärker in Bedrängnis. Parteinahe Plattformen sprießen wie Pilze aus dem Boden und der Beruf des Influencers ist bereits jetzt mehr wert als so manch eine solide Ausbildung oder ein Studium. So scheint es zumindest. Inmitten dieser Epoche des Wandels ist nun die "Wiener Zeitung" das “center of attention“. Diese ist ein kleines, nicht lautes, aber umso differenzierteres Medium mit Journalistinnen und Journalisten, die um eine Annäherung an die Objektivität und die Abdeckung eines breiten Meinungsspektrums bemüht sind.

Nach einigen Jahren seiner Regentschaft kommt Kurz drauf, dass der Betrieb und die Finanzierung einer Tageszeitung nicht Aufgabe der Republik seien. Andererseits gibt es da noch ein öffentlich-rechtliches Leitmedium, das ein Vielfaches von dem Budget der "Wiener Zeitung" für die Erfüllung ihrer wichtigen Aufgaben zur Verfügung hat. Den ORF greift der Kanzler aber nicht wirklich an und führt etwa eine Debatte über die Sinnhaftigkeit der GIS-Gebühren. Die "Wiener Zeitung" ist klein und der ORF ist mächtig und bereits ein eigener Faktor jenseits der Politik. Daher wäre es vielleicht im Sinne der Fairness und Solidarität wichtig, wenn die kleine "Wiener Zeitung" in der Krise unter den Schutzmantel des großen Medienapparates schlüpfen könnte. Frei nach dem Prinzip “Einer für alle, alle für einen“. Das würde ebenso dem Medienriesen gut anstehen, der ob seiner weniger transparenten Managementbezüge gerade etwas Federn lässt. Aber leider handelt es sich hier um einen naiven luziden Traum.

Parapsychologie und Politik

Jene Form des “Fair Plays“ wird in den Seminaren der von Kurz ideologisch wertgeschätzten, internationalen Managementberater eher weniger gelehrt. Anstand ist das Stimuluswort. Während auf der einen Seite Managergehälter nicht offen transportiert werden, verlieren auf der anderen Seite Menschen samt Familien ihre Existenz. Über kurz oder lang kann das in Bezug auf die Dimension des sozialen Zusammenhaltes einer Gesellschaft und der bei dessen Nichtvorhandensein resultierenden Spannungen nicht gut gehen. Da der ÖVP-Chef, wie bereits erwähnt, diesen Beitrag höchstwahrscheinlich nicht lesen wird, soll ersterer mit Hilfe von Methoden der Parapsychologie, in unserem speziellen Fall in Form von telepathischen Fähigkeiten, erreicht werden. Die außersinnliche Message im suggestiven Mantra lautet: "Wiener Zeitung weiterführen! Wiener Zeitung weiterführen!".

Da aber nur naturwissenschaftlich evidenzbasierte Fakten zählen und derartige Psychotricks eines multimedialen Mentalisten nicht funktionieren, kann die Spitzenpolitik ganz ruhig schlafen. Da kann man sich zu hundert Prozent sicher sein, oder? Sollte sich die Regierung jedoch nicht zugunsten der ältesten noch erscheinenden Zeitung der Welt entscheiden, dann liebe Grüße nach Fuschl am See. Ein Investment in die Menschen und das Medium macht einen unsterblich. (Daniel Witzeling, 10.5.2021)

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