Der Komponist leidet auch in Gesellschaft: "Schuberts Reise nach Atzenbrugg".

Zach

Wie gern würde man in diesen mühseligen Zeiten von einem Triumpf berichten! Die Resonanz am Ende des Uraufführungsabends im Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz (genauer: "Streaming-Vorpremiere") klang auch fast so – doch jubelten da nur einige MitarbeiterInnen des Hauses, die neben einer Handvoll KritikerInnen Einlass gefunden hatten, als die letzten Töne von "Schuberts Reise nach Atzenbrugg" verklungen waren.

Ensemble und Orchester (musikalische Leitung: Michael Brandstätter) hatten das zweifellos verdient. Das Stück selbst ist schwierig, wie auch die Komponistin und der Librettist wissen. Johanna Doderer hat mehrfach vom "Risiko" gesprochen, eine "Oper über Schubert" zu schreiben; Peter Turrini angeblich 20 Versionen des Textbuchs geschrieben.

Schuberts Ausflug

Beiden wird bewusst gewesen sein, dass ihre Annäherung stets näher am Scheitern als am Gelingen sein würde. Allzu groß ist der Anspruch, im Rahmen einer biographischen Episode – eines realen Ausflugs Schuberts in die niederösterreichische Ortschaft 1827 – das ganze Schicksal einer tragischen Künstlerpersönlichkeit glaubhaft aufzurollen, wie Turrini im gestreamten Telefonat mit Gärtnerplatz-Intendanten Josef Ernst Köpplinger vor der Aufführung formulierte: "Seine Liebe musste immer in Lieder wandern, nicht in Betten und in Umarmungen."

Die Abarbeitung an diesem Topos reicht weit zurück und führt über kitschige Singspiel-Umwege und anspruchsvolle Verfilmungen. Die neue Oper trägt Spuren von alldem in sich. Ausgangspunkt, so verdeutlicht die Regie Köpplingers, ist das Biedermeier-Klischee, das eingangs in Form des Gemälde-Schinkens "Ein Schubert-Abend in einem Wiener Bürgerhause" (1897) von Julius Schmid gezeigt wird: Schwammerl am Klavier, schwärmerisch belauscht von ein paar Herren und vielen Damen.

Er in der Musik

Turrini und Doderer wollen sich wohl davon absetzen und beschäftigen sich zugleich mit dem selben Bild: "Franzl", zu schüchtern, um eine Frau (in diesem Fall die von Mária Celeng verkörperte Josepha von Weisborn) auch nur anzusprechen. Er kann sich nur mit seiner Musik ausdrücken. Daniel Prohaska gibt diese Figur mit schonungsloser Verausgabung, ohne Scheu vor dem Unschönen. Diese gebrochene Existenz mit gebrochener Stimme vermag schon zu berühren, ebenso wie die vergeblichen Aufmunterungen des Freundes Leopold Kupelwieser (Mathias Hausmann) oder die Rückblende in die beengte Kindheit.

Gestohlene Knoblauchwurst

Die Ausstattung von Rainer Sinell versucht dabei einen Spagat zwischen naturalistischer Historizität und kubistischer Abstraktion. Der Text scheut nicht vor Plattitüden zurück, seien es eine Farce um eine gestohlene Knoblauchwurst oder revoluzzerische Rachefantasien des komplexbeladenen Komponisten. Doderers melancholiedurchsetzte Partitur, in einer kammermusikalischen Fassung zu hören, gespickt mit vielen, vielen Zitaten, entfacht mit einfachen Mitteln einen gewissen emotionalen Sog. Die Behandlung der Stimme könnte indes einfallsreicher sein.

Am stärksten bleiben die Passagen mit Schubert im Original: Einmal singt Timos Sirlantzis als Johann Michael Vogl das Lied "Erstarrung" aus der "Winterreise" (schon zentral im Film mit Udo Samel aus dem Jahr 1986). Am Ende drückt der langsame Satz aus dem Streichquintett auf die Tränendrüsen. Eine Art demütige Verbeugung. (Daniel Ender, 2.5.,2021)