Seit 2016 wird im Rahmen des vom FWF geförderten Spezialforschungsbereichs der Wandel der deutschen Sprache in Österreich beackert. Das Prädikat passt gut, geht es dabei auch um Fragen, die emotionalisieren: Verdrängen die Kartoffeln die Erdäpfel, die Tomaten die Paradeiser? Die Sprecherin des Projekts "Deutsch in Österreich. Variation – Kontakt – Perzeption", Alexandra N. Lenz, relativiert. Dass Sprache sich wandelt, sei ein völlig normales Phänomen. Die Verantwortung dafür, wie wir sprechen und schreiben wollen, müssen wir auch selbst übernehmen.

STANDARD: Letzthin ging es im Onlineforum des STANDARD heiß her, weil wir ein Rezept zu Blumenkohl-Pasta posteten. Mit der Fraktion "Das heißt bei uns Karfiol!" war nicht gut Nudeln essen. Warum emotionalisieren bundesdeutsche Begriffe so sehr?

Lenz: Es wird so schnell emotional, weil Sprache unser zentrales Ausdrucksmittel ist, um unsere Identitäten nach außen zu tragen, aber sie auch nach innen zu bewahren. Mit der sprachlichen Konkurrenz von Blumenkohl und Karfiol haben wir ein wunderbares Einzelbeispiel, das aber für viele weitere Fälle steht.

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Das Gemüse Karfiol mag leicht zerfallen, wenn man es kocht. Der Begriff dagegen bleibt in Österreich ganz stabil.
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STANDARD: 23 Austriazismen aus der Kulinarik wurden bei den EU-Beitrittsverhandlungen ins Amtsdeutsch als den bundesdeutschen Ausdrücken gleichgestellt hineinverhandelt. Man wollte österreichisches Deutsch also "schützen". Funktioniert hat das gefühlsmäßig nicht.

Lenz: Wir haben das "Austrian Media Corpus" – eine Sammlung aller journalistischen Printtexte aus Österreich – in Hinblick auf diese 23 geschützten Austriazismen analysiert. Die gute Nachricht für alle, die Austriazismen lieben: Sie sind relativ stabil. In den österreichischen Printmedien der letzten zwanzig Jahre macht Karfiol wohl knapp 90 Prozent aller Belege aus, während Blumenkohl nur mit zehn Prozent in Gesamtösterreich vertreten ist. Nur in Vorarlberg sind Blumenkohl und Karfiol zahlenmäßig gleichauf. Zwei "Ausreißer" sind Paradeiser und Erdäpfel, die nur zwischen circa 40 und 45 Prozent gegenüber Tomaten und Kartoffeln verwendet werden.

DER STANDARD

STANDARD: 40 Prozent "Paradeiser" sind nicht wenig. Wieso haben wir dann den Eindruck, das Wort liege am Sterbebett?

Der STANDARD beschäftigt sich ab sofort in einer ressortübergreifenden Serie mit dem Thema Sprachwandel.
Foto: Fatih Aydogdu

Lenz: Weil es natürlich nicht nur um Printmedien, sondern um Sprachgebrauch ganz allgemein geht, schriftlich und mündlich. Wir haben kürzlich 700 Leute in ganz Österreich darüber befragt, welchen Namen sie dem besagten Nachtschattengewächs in ihrem Dialekt, in ihrer "Umgangssprache" und in ihrem Hochdeutsch geben. Die Mehrheit der Befragten gebraucht sowohl Paradeiser als auch Tomaten, aber in unterschiedlichen Kontexten. Obwohl Austriazismen sprachliche Varianten sind, die als hochsprachlich eingestuft werden und folglich überregional vorkommen sollten, haben aber nur Personen aus Niederösterreich und dem Wiener Raum mehrheitlich angegeben, Paradeiser anstelle von Tomaten in ihrem eigenen Hochdeutsch zu verwenden.

STANDARD: Runtergebrochen bedeutet das doch, dass die Menschen die bundesdeutsche "Tomate" für das korrekte Deutsch halten?

Lenz: Da kommen wir zu einem spannenden Punkt. Für einige mag Tomate Bundesdeutsch sein, andere kennen das Wort aber sehr wohl aus eigenen Regionen und dort vielleicht sowohl aus dem NonStandard (Dialekt, Umgangssprache) als auch aus dem hochdeutschen Kontext. Im Westen Österreichs etwa ist Tomate vom Dialekt bis Hochdeutsch vertreten. Fragen Sie jemanden aus dem Westen, wieso er Tomate sagt, obwohl das Wort aus Deutschland kommt. Vielleicht werden Sie die Antwort hören: Das kommt nicht aus Deutschland, das ist unsere "normale" Sprachvariante.

STANDARD: Die Befürchtung geht herum, dass das österreichische Deutsch vom bundesdeutschen Deutsch, vom Einfluss von Migration auf Sprache, von sozialen Medien und ihren Anglizismen verdrängt würde. Auch das Gendersternchen stellt eine Bedrohung da.

Lenz: Die Vorstellung, es kommen Sprachen, die die eigene Sprache "überfallen" und "verdrängen" würden, ist eine oft verbreitete, aber eigentlich seltsame. Solange dieser Blick auf Sprachwandel nicht geweitet wird, werden immer wieder dieselben Bedrohungsszenarien und unguten Vorurteile verbreitet. Nicht Sprachen, sondern Sprechende sind es, die miteinander in Kontakt sind. Und alle sprechenden Individuen formen ihr Sprachverhalten und ihre Sprachen selbst mit. Natürlich passiert diese Sprachformung auch in Abhängigkeit von meinen Kommunikationspartnern. Wenn ich etwa mein Gegenüber sympathisch finde, übernehme ich womöglich schneller gewisse Merkmale, als wenn ich mich abgrenzen möchte. Nicht Sprachen entscheiden über Sprachwandel, sondern Sprechende wandeln ihre Sprache, wenn auch meist unbewusst.

STANDARD: Forscherkollegen stoßen sich am Begriff "Deutsch in Österreich", sagen, Sie und Ihr Team würden "österreichisches Deutsch" ablehnen.

Lenz: Das ist ein großes Missverständnis! Der Terminus "Österreichisches Deutsch" wurde leider in der älteren Forschungsliteratur sehr eingegrenzt verwendet, nämlich ausschließlich für Hochdeutsch in Österreich. Auch wir erforschen in unserem FWF-Spezialforschungsbereich Besonderheiten des österreichischen Hochdeutschs, aber eben auch alles, was es sonst an Umgangssprache, Dialekten und anderen Sprachvariation gibt. Wir meinen die ganze Vielfalt. Ich fände es gut, wenn wir von "Österreichischem Deutsch" sprechen könnten, um damit die Gesamtvariation in der Sprache zu meinen. Aber der Terminus ist eben besetzt.

Die Sprachwissenschafterin Alexandra N. Lenz.
Foto: privat

STANDARD: Wie steht es um das sogenannte "Verschwinden des Dialekts". Ist da was dran?

Lenz: Dialekte verändern sich. In Österreich und überall, wo es lebendige Dialekte gibt. Das heißt aber nicht, dass damit auch sämtliche regionale Verankerung von Sprache verschwindet. Dialekte sind ja Varietäten, also Sprachformen, die ganz klar etwas mit Räumlichkeit zu tun haben. Seit Dialekte untersucht werden, sieht man eine Tendenz von ganz kleinen räumlichen Einheiten wie einer Dorfgemeinschaft oder Stadtbezirken (etwa in Wien) hin zu größeren Regionen. Dazu trägt unter anderem die zunehmende Mobilität bei, die heute viele Lebensläufe ausmacht.

STANDARD: Die Wertschätzung für Dialekt scheint zuletzt gestiegen zu sein?

Lenz: Es ist in vielen Regionen Europas zu beobachten, dass mit einem Auflösen der Dialekte auch ihre Wertschätzung wächst. Interessanterweise können gerade die sozialen Medien dazu beitragen, die soziale Bedeutung von Dialekten zu stärken und ihr Prestige zu erhöhen. Nicht selten bieten soziale Medien eine neue Spielwiese für Dialekte, wo sie auch schriftlich vorkommen und kreativ eingesetzt werden. (Amira Ben Saoud, 3.5.2021)