Israel gedenkt der 45 Toten.

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Israel stand am Sonntag im Zeichen nationaler Trauer, nachdem in der Nacht auf Freitag 45 Menschen in einer Massenpanik beim traditionellen Pilgerfest am Berg Meron im Norden Israels ums Leben gekommen waren.

Im ganzen Land hingen die Fahnen auf halbmast, Medien publizierten Fotos und Biografien der 45 Todesopfer. Radiokanäle brachten ausführliche Interviews mit Angehörigen und tauschten fröhliche Jingles gegen getragene Melodien ein.

In die Trauer mischte sich aber auch Zorn. Da können noch so viele Stimmen mahnen, dass am Tag der Trauer kein Platz für Schuldzuweisungen sei. Die öffentlichen Debattenräume in sozialen Medien, auf der Straße und im nationalen Rundfunk waren voll von Fingerzeigen. Ultraorthodoxe gaben der Polizei die Schuld: Diese habe Fluchtwege blockiert und zur Panik beigetragen. Die Polizei wiederum erklärte sich zum Opfer politischen Drucks. Und Polizeiminister Amir Ohana, der drei Wochen zuvor grünes Licht für den ungebremsten Zustrom zum Live-Event gegeben hatte, erklärte zwar, er trage "die volle Verantwortung", fügte aber hinzu, ihn treffe "keine Schuld". Im Übrigen hätte sich die Katastrophe auch in den Jahren vor der Corona-Pandemie ereignen können, denn da sei die Besucherzahl noch höher gewesen, erklärte Ohana, der erst seit knapp einem Jahr Polizeiminister ist.

Viel zu viele Besucher

Indes deuten erste Leaks aus Ermittlungsberichten auf ein strukturelles Versagen hin. Obwohl die alljährliche Pilgerfeier das größte Publikumsevent des Landes ist, gibt es keine zentrale Sicherheitskoordination für die Veranstaltung. Das Gelände rund um das Grab von Rabbi Shimon Bar Yochai wird von verschiedenen Organen verwaltet, es fehlt an klaren Zuständigkeiten.

Ein von Gesundheitsministerium und Polizei ausgearbeitetes Konzept für eine epidemiologisch sichere Abhaltung der Massenpilgerfeier hatte weniger als 10.000 Besucher vorgesehen. Polizeiminister Ohana entschied anders. Er erlaubte ungehinderten Zugang zum Festgelände. Lediglich dort, wo das traditionelle Feuer gezündet wird, sollten sich nicht mehr als 10.000 Menschen gleichzeitig aufhalten.

Während alle anderen Großveranstaltungen weiterhin Covid-19-Beschränkungen unterliegen und Besucher ohne Impfpass oder Covid-Test nicht eingelassen werden, fielen bei der Feier am Berg Meron alle regulatorischen Schranken. Das hatte bereits im Vorfeld für Kritik gesorgt, zudem es sich beim jährlich stattfindenden Pilgerfest um das publikumsstärkste Ereignis des Landes handelt. Wie viele Menschen sich in der Nacht auf Donnerstag auf dem Festgelände aufhielten, ist nicht geklärt – Schätzungen sprechen von mindestens 100.000 Besuchern.

Politisches Kleingeld

Ehemalige Polizeikommandanten plädierten am Sonntag für eine nationale Untersuchungskommission der Tragödie. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hingegen nutzte die Tragödie laut einem Bericht des TV-Kanals 12 für eigene, taktische Zwecke: Wenige Tage vor dem Ablauf der Frist, die Präsident Reuven Rivlin ihm für die Bildung einer neuen Regierung gesetzt hatte, soll sich Netanjahu angesichts der Berg-Meron-Tragödie für eine Fristverlängerung ausgesprochen haben. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 2.5.2021)