Medien sind das Feindbild vieler Corona-Demo-Teilnehmer.

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Wien – Corona-Leugner nehmen mittlerweile auch in Österreich immer häufiger Journalisten ins Visier: Sie werden auf den Corona-Demos attackiert und bespuckt sowie in sozialen Netzwerken bedroht, was dazu führt, dass sich viele Medienvertreter nicht mehr als solche zu erkennen geben. Zündstoff für die Attacken liefern nicht zuletzt politische Vertreter von der FPÖ, die "Journalisten zu Freiwild erklären", kritisiert ORF-Redakteurssprecher Dieter Bornemann.

Um solche Angriffe auf Journalisten zu dokumentieren, richtet der Presseclub Concordia in Kooperation mit dem Verein Zara (Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit) eine Onlinemeldestelle ein. Präsentiert wurde sie am Montag, dem offiziellen Tag der Pressefreiheit, bei einer Pressekonferenz.

Via Meldetool sollen Betroffene, aber auch Beobachterinnen und Beobachter von Attacken auf Journalistinnen und Journalisten diese Vorfälle anonym bekanntgeben können. Dabei geht es sowohl um Online- wie auch um Offlinevorkommnisse. Die im Formular angegebenen Daten werden analysiert und aufbereitet, die Ergebnisse anonymisiert veröffentlicht, um die Problematik stärker im öffentlichen Diskurs zu verankern.

Gefahr nicht so bewusst

Das Ziel sei eine Schärfung des Bewusstseins, erläutert Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclubs Concordia, denn: Dass die Attacken auf Medienvertreter zunehmen, sei ein Angriff auf die Pressefreiheit und die Demokratie insgesamt: "Sie beschränken das Recht auf Berichterstattung." Kraus berichtet von einer repräsentativen Gallup-Umfrage, der zufolge 62 Prozent der Befragten das Problem nicht bewusst sei, dass Journalistinnen und Journalisten Attacken ausgesetzt seien. "Wir habe alle eine Verantwortung und dürfen das nicht hinnehmen."

Gefordert sei hier auch die Medienpolitik, etwa wenn es Klagen gegen Journalisten gebe, um sie mundtot zu machen. Als Beispiele erwähnt Kraus die Klage der Mediengruppe Österreich gegen den STANDARD, die auch "ad personam" erfolge, und die angekündigte, aber mittlerweile wieder zurückgezogene Klage der OMV gegen die Rechercheplattform "Dossier". Kraus: "Es werden die rausgepickt, die am ehesten mundtot gemacht werden können, weil sie nicht so eine ökonomische Kraft haben."

Ohne ORF-Logos auf Corona-Demos

Das Recht auf Berichterstattung sieht auch der ORF-Journalist und -Redakteursvertreter Dieter Bornemann gefährdet. Auf den Corona-Demos würden ORF-Journalisten und -Kamerateams attackiert. Der öffentlich-rechtliche Sender gehört zu den größten Feindbildern der Corona-Leugner. Das Resultat sei, dass sich ORF-Medienleute auf den Demos nicht mehr als solche zu erkennen geben, erzählt Bornemann, weil sie etwa angespuckt werden: "Sie sind alle ohne ORF-Logo unterwegs. Es ist extrem problematisch, wenn sich der ORF verstecken muss." Eigene Security-Leute werden abgestellt, um für ihre Sicherheit zu sorgen. Die Polizei sei oft überfordert oder zu zögerlich. "Wenn wir nicht mehr frei berichten können, ohne Angst um unsere Gesundheit zu haben, dann läuft etwas sehr falsch in Österreich", so Bornemann.

"Es ist extrem schwierig, die Berichterstattung aufrechtzuerhalten, auch wenn es unsere Pflicht ist", sagt Bornemann. Ideologische Unterfütterung für ihre Angriffe erhielten die Corona-Leugner von politischen Vertretern allen voran der FPÖ, kritisiert er: "Politiker nutzen auf den Demos die Bühne, um gegen Journalisten zu hetzen." Seit Jörg Haider seien nicht mehr nur die Medien an sich das Feindbild: "Es gibt eine lange Tradition in der FPÖ, einzelne Journalisten rauszupicken und zu Freiwild zu erklären." Solche Attacken einfach und ohne eine "Schere im Kopf" wegzustecken, sei nicht so einfach: "Das ist eine Gefahr für die Berichterstattung."

Gewohnheitseffekt bei Hasssprache

Das sieht auch Zara-Geschäftsführerin Caroline Kerschbaumer so: "Wenn Politiker selbst Journalisten verbal angreifen und ihre Glaubwürdigkeit untergraben, wird das als normal und gerechtfertigt wahrgenommen. Das ist ein großes Problem." Kerschbaumer verweist auch auf die Gefahr des Gewohnheitseffekts bei Hasssprache. "Es gibt Studien, dass man sich daran gewöhnt. Nach einiger Zeit nehmen wir sie nicht mehr als problematisch wahr." Der Weg von der Hasssprache im Netz in die reale Welt, wo sie in Gewalt münden könne, sei ein kurzer, gibt sie zu bedenken. Deswegen sei es so wichtig, Hass im Netz ernst zu nehmen und zu bekämpfen.

Reaktionen am Tag der Pressefreiheit

Die Mitglieder des Verbands Österreichischer Zeitungen (VÖZ) haben den Tag der Pressefreiheit indes mit einer gemeinsamen Titelseitengestaltung samt der Schlagzeile "Was wäre, wenn es nur eine Meinung gäbe?" begangen. "Dass Meinungs- und Pressefreiheit nicht als selbstverständliches, unantastbares Grundrecht gesehen wird und auch in Mitteleuropa immer wieder Bedrohungen ausgesetzt ist, zeigen die Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten bei sogenannten Corona-Demos in Deutschland und Österreich", betonte VÖZ-Präsident Markus Mair in einer Aussendung. Zugleich sei die Unabhängigkeit der Presse aber auch durch Tech-Plattformen bedroht, die einen Gutteil des digitalen Werbegeschäfts aus Österreich abzögen. "Zur Zukunftssicherung österreichischer Inhalte braucht es eine Anpassung der finanziellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen", forderte Mair.

ÖJC

Der Österreichische Journalist*innen Club (ÖJC) betonte in einer Stellungnahme, dass Pluralismus in den Medien auch bedeute, dass Medien erhalten werden müssten, und forderte von der Bundesregierung eine Bestandsgarantie für die "Wiener Zeitung". Zugleich verlangt man eine "moderne Form der Presseförderung", die auf Entscheidungen von unabhängigen Fachkommissionen beruhe. "Pressefreiheit ist ein hohes Gut", so ÖJC-Präsident Oswald Klotz.

Gewerkschaft GPA

Auch die zuständige Gewerkschaft GPA beschied in einem Statement: "In Österreich selbst ist es um die Pressefreiheit weiterhin nicht zum Besten bestellt." Journalistinnen und Journalisten sähen sich direktem und indirektem Druck ausgesetzt, so die beiden Gewerkschafter Eike-Clemens Kullmann und Stefan Jung: "Um mit qualitätsvollem, kritisch hinterfragendem Journalismus dagegenhalten zu können, diesen zu stärken und damit einen wichtigen Grundpfeiler einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft abzusichern, braucht es endlich eine Neuausrichtung der Medienförderung mit klar definierten Qualitätsstandards."

Kurz

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schrieb auf Twitter: "Pressefreiheit und starke, unabhängige Medien sind wesentliche Pfeiler unserer liberalen Demokratie. Als Bundesregierung bekennen wir uns uneingeschränkt zur Presse- und Medienfreiheit. Auch in Europa kommt es, zuletzt vermehrt in Zusammenhang mit Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, immer wieder zu Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten. Für uns ist klar: Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten ist in jeder Form inakzeptabel und zu verurteilen." Kurz und die ÖVP stehen allerdings selbst in der Kritik, nachdem die ÖVP die Wiener Stadtzeitung "Falter" geklagt und der ÖVP-Blog "Zur Sache" "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk diskreditiert hat.

Blimlinger

Die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger erinnerte ebenfalls an die vielseitigen Bedrohungslagen im Journalismus, die sich durch die Pandemie gesteigert hätten – im In- wie im Ausland: "Auch in Österreich haben gewalttätige Übergriffe von Corona-Leugner*innen und Verschwörungserzähler*innen auf die freie Presse schmerzhaft vor Augen geführt, wie fragil der Schutz von Grundrechten ist." Bausteine für die Politik seien etwa die Umsetzung des Transparenzgesetzes, die Verankerung von Qualitätskriterien in der Medienförderung oder der Kampf gegen gezielte Desinformation.

SPÖ

Unterdessen forderte SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried eine Erhöhung der Presseförderung und klare Regeln für Regierungsinserate, um die Unabhängigkeit der Medien in Österreich zu stärken. Daran habe die türkis-grüne Regierung allerdings kein Interesse, was auch für die Zukunft der "Wiener Zeitung" gelte.

Neos

Die Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter attackierte anlässlich des Tags der Pressefreiheit das PR-Budget der Bundesregierung. "Dies und auch das offensichtliche Streben von Kanzler Kurz nach Gefälligkeitsjournalismus zeigen die Baustellen im Bereich der Pressefreiheit und Medienförderung." (omark, APA, 3.5.2021)