Das Fehlen einer globalen Mindeststeuer macht das Niedrigsteuerland Irland für Google besonders attraktiv.

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Es ist keine Neuigkeit mehr, dass den öffentlichen Haushalten durch die Steuertricks der Konzerne Unsummen an Steuergeld verlorengehen. Die aktuellen weltweiten Schätzungen liegen im Bereich von 200 bis 250 Milliarden Dollar pro Jahr. Praktisch alle Experten und Politiker treten inzwischen für neue Steuerregeln ein, die den Praktiken von Google und Co einen Riegel vorschieben sollen. Was in den Diskussionen aber häufig vergessen wird: Die Tricks sind nur so lange möglich, solange die Steueroasen mit Niedrigststeuersätzen und Schlupflöchern zu diesen einladen. Wer mit den Steuertricks der Konzerne brechen will, muss also auch über den Steuerwettbewerb der Staaten reden.

Genau hier würde die globale Mindeststeuer der OECD ansetzen. Sie könnte den Steuertricks der Konzerne nachhaltig den Boden entziehen. Kritiker des OECD- Vorschlags wie Monika Köppl-Turyna und Hannes Winner (DER STANDARD, 21.4.2021) wollen stattdessen die Besteuerungsrechte in die Marktstaaten verlagern, wo die Unternehmen ihre Umsätze machen. Doch das darf kein Ersatz sein.

Die Mindeststeuer stellt sicher, dass die Konzerngewinne überall mit einem effektiven Minimum besteuert werden, egal wo sie gemacht oder gebucht werden. Wenn die Steueroasen mit Niedrigststeuern locken oder die Gewinne mit Ausnahmen kleinrechnen, greift die Kontrollrechnung der Mindeststeuer auf Basis einer gemeinsamen Erhebungs- oder Gewinnermittlungsgrundlage. Sollte das vereinbarte Mindestniveau unterschritten werden, kann das Land, wo die Konzernzentrale ansässig ist, die fehlende Steuer einheben.

Irreführende Argumente

Kritiker der Mindeststeuer meinen, dass dadurch der wirtschaftspolitische Gestaltungsspielraum eingeschränkt würde, zum Beispiel bei der Forschungsförderung. Die Argumentation ist irreführend, denn die nationale Bemessungsgrundlage wird durch die gemeinsame Erhebungsgrundlage nur ergänzt, nicht ersetzt. Eine effektive Einschränkung gibt es nur dort, wo die Wirtschaftspolitik Richtung Steuerdumping geht, also die effektive Mindeststeuer unterschreitet. Normalsteuerländer wie Österreich oder Deutschland hätten allein schon durch den hohen Abstand der eigenen Steuersätze zur Mindeststeuer keine Einschränkungen zu fürchten.

Ein zweites Argument besagt, dass niedrige Gewinnsteuern für kleinere Staaten und oft auch Entwicklungs- und Schwellenländer ein ökonomisches Entwicklungsmodell darstellen, das ihnen dann genommen wird. Hier ist einmal festzuhalten, dass die Mindeststeuer den Steuerwettbewerb ja nicht abschafft, sondern lediglich abschwächt. Andere Standortfaktoren wie Infrastruktur oder Fachkräfte werden wichtiger, was wiederum eine effizientere Kapitalallokation und damit Wohlstandsgewinne bringen sollte.

Man darf auch nicht übersehen, dass die Mindeststeuer den Steueroasen die Möglichkeit bietet, das eigene Gewinnsteuerniveau relativ friktionsfrei zu erhöhen. Am Ende könnten ihre Steuereinnahmen und wirtschaftspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten zur Entwicklung eines nachhaltigen Wachstumsmodells sogar höher sein als vorher.

Sinnloser Steuerwettbewerb

Die Kritik, dass die globale Mindeststeuer der wirtschaftlichen Konvergenz schade, kann vor allem empirisch wenig überzeugen. Zum einen geht es beim Steuerwettbewerb immer weniger um reale Investitionen, die das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft nachhaltig stärken können. Laut IWF sind bereits fast 40 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen sogenannte Phantominvestitionen, also Briefkästen ohne Substanz, die nur der Steuergestaltung und Steuervermeidung dienen.

Zum anderen sind die wichtigen Steueroasen keine armen Entwicklungsländer, die mit niedrigen Steuern andere Standortnachteile ausgleichen müssen, sondern hochentwickelte Volkswirtschaften mit einem Pro-Kopf-Einkommen, das teilweise sogar über dem von Österreich liegt. Singapur, Hongkong, die Schweiz, aber auch Irland, Luxemburg oder die Niederlande betreiben Steuerdumping, weil sie können und wollen, nicht weil sie müssen.

Die Steueroasen werden, so viel ist sicher, mit der Mindeststeuer keine Freude haben. In der OECD, wo sie mit mehr als 130 Ländern am Tisch sitzen, haben sie aber keine allzu starke Stellung. In der EU ist ihre Position wegen des Einstimmigkeitserfordernisses in Steuerfragen deutlich stärker. In der Vergangenheit haben sich internationale Einigungen aber als wirksame "Brechstange" erwiesen, so etwa beim automatischen Informationsaustausch über die Finanzkontodaten.

Ergänzung statt Alternative

Eine Mindeststeuer allein garantiert noch keine globale Steuergerechtigkeit. Dafür braucht es neben einer angemessenen Besteuerung der Konzerne auch eine gerechte Verteilung der Besteuerungsrechte. Der Forderung von Köppl-Turyna und Winner, dies stärker an die realen Wertschöpfungskomponenten wie Produktion oder Konsum anzuknüpfen, ist zuzustimmen. Es darf allerdings nicht der Eindruck erweckt werden, dass diese Neuaufteilung der Besteuerungsrechte eine Alternative zur globalen Mindeststeuer wäre.

Tatsächlich wird man beides brauchen – vor allem deshalb, weil alle Konzepte zur Neuaufteilung der Besteuerungsrechte (jene der OECD eingeschlossen) das Problem haben, dass sie den Steuerwettbewerb der Staaten als Kernproblem nicht einschränken, sondern nur verändern können. Solange Kapital mobil ist und die Steueroasen mit Null- und Niedrigststeuern locken, so lange werden Konzerne mit der Unterstützung hochbezahlter Berater ihre effektive Steuerleistung auf Kosten der Allgemeinheit minimieren. Will man die Konzernsteuertricks an der Wurzel packen, wird man um die Einführung einer globalen Mindeststeuer nicht herumkommen. (Dominik Bernhofer, 3.5.2021)