Die Unruheregion Westpapua steuert auf einen neuerliche Eskalation im seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt um die Unabhängigkeit zu.

Die Aktivitäten des Militärs in den beiden östlichsten indonesischen Provinzen Papua und Westpapua haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten kontinuierlich gesteigert. Nun hat die Regierung ein Bataillon einer berüchtigten Elitetruppe eingeflogen, um gegen die Separatisten vorzugehen. Die vierhundert Soldaten des Infanteriebataillons 315/Garuda sind unter dem Namen "Pasukan Setan" bekannt – "Truppen Satans".

Den Namen erhielt die Einheit nach ihren Einsätzen gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Osttimor. Laut Armeesprecher Prantara Santosa handelt es sich lediglich um "trainierte Infanteristen und nicht um Spezialeinheiten". Die Entsendung sei lediglich eine routinemäßige Rotation der Truppen. In einem in den sozialen Medien verbreiteten Video sind die "Pasukan Setan" beim Exerzieren in Westpapua zu sehen.

Geheimdienstgeneral getötet

Die jüngste Eskalation folgt dem Tod eines indonesischen Geheimdienstgenerals vor etwas mehr als einer Woche. Brigadegeneral Gusti Putu Danny Karya Nugraha starb den Angaben der Behörden zufolge am 25. April in einem Hinterhalt. Der regionale Geheimdienstchef war mit einer Patrouille im Bergland der Provinz unterwegs. "Er war in der Gegend, um die Sicherheit wiederherzustellen und die Moral der Einwohner nach einer Serie von Angriffen der Separatisten und Terroristen zu heben", erklärte Wawan Purwanto, der Sprecher des Badan Intelijen Negara ("Staatlicher Geheimdienst", BIN).

Indonesiens Präsident Joko Widodo erklärte daraufhin, man werde hart gegen die Rebellen vorgehen. Polizei und Militär seien angewiesen worden, alle Mitglieder der Rebellengruppen zu "jagen und zu verhaften". Bald darauf klassifizierte Jakarta die Separatisten als "Terroristen". Sowohl die Organisation für ein freies Papua (Organisasi Papua Merdeka, OPM) als auch der militärische Arm der Separatisten, die Nationale Befreiungsarmee Westpapuas (Tentara Pembebasan Nasional Papua Barat, TPNPB), wurden als Terrororganisation eingestuft.

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Präsident Joko Widodo wandte sich nach dem Tod seines Geheimdienstgenerals an die Öffentlichkeit, flankiert von Armeechef Hadi Tjahjanto, Vizepräsident Ma'ruf Amin, Polizeichef Listyo Sigit Prabowo und Geheimdienstchef Budi Gunwan.
Foto: AP

Damit werden die Befugnisse der Sicherheitskräfte massiv ausgeweitet, Verdächtige können länger und ohne Anklage inhaftiert werden. "Die Regierung ist der Ansicht, dass Organisationen und die Leute in Papua, die schwere Gewalttaten begehen, als Terroristen eingestuft werden können", sagte Sicherheitsminister Mahfud MD. Terrorismus sei jegliche Aktivität mit Gewalteinsatz oder der Drohung mit Gewalt, die eine Atmosphäre von Schrecken oder Angst erzeugt, zitierte er das Antiterrorgesetz von 2018.

"Radiert sie aus"

Indonesiens Parlamentschef Bambang Soesatyo forderte, die Regierung müsse die Sicherheitskräfte mit voller Kraft einsetzen, um "bewaffnete Verbrechergruppen in Papua auszulöschen". "Radiert sie aus. Über Menschenrechte können wir später reden", sagte Bambang.

Papuas Gouverneur Lukas Enembe forderte Jakarta auf, die Einstufung der OPM und der TPNPB als Terrorgruppen zurückzunehmen. Damit würde auch die westpapuanische Bevölkerung als Terroristen abgestempelt und stigmatisiert. Enembe forderte die Regierung auf, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit dem Thema zu betrauen.

Der getötete Geheimdienstgeneral wurde mit einer Autokolonne zu seinem Begräbnis in Jakarta gebracht..
Foto: AFP/Pakiding

Sebby Sambon, ein Sprecher der Rebellen, erklärte, dass die TPNPB die Verantwortung für den Angriff auf den Geheimdienstgeneral übernehmen. Gusti Putu Danny ist damit der höchstrangige indonesische Offizier, der in dem sechs Jahrzehnte dauernden Konflikt dem papuanischen Widerstand zum Opfer fiel. Die Einstufung als Terrororganisation wies Sambon zurück: Die Welt wisse, dass die Papuaner für die Freiheit kämpften.

Sorge vor Übergriffen

Andreas Harsono von der NGO Human Rights Watch befürchtet, dass die Einstufung der Separatisten als Terroristen die Möglichkeiten für einen Missbrauch durch die Sicherheitskräfte erhöht. Schon bisher kommt es regelmäßig zu Übergriffen gegen die indigene Bevölkerung Papuas. Immer wieder werden Aktivisten und Demonstranten getötet. So wurden im Februar drei Brüder von Soldaten zu Tode geprügelt.

Häufig sind Zivilisten Opfer bei Gefechten zwischen der Armee und den Separatisten. Die indonesische Seite sieht darin den Beweis für die kriminelle Vorgehensweise der Rebellen. Andererseits wird den indonesischen Sicherheitskräften immer wieder Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorgeworfen. Auch Einsätze unter falscher Flagge werden den Sicherheitskräften zur Last gelegt.

In den jüngsten Jahren sind die Opferzahlen bei Gefechten auf beiden Seiten kontinuierlich gestiegen. Der nun getötete Geheimdienstgeneral Gusti Putu Danny gehörte früher zu der Eliteeinheit Kopassus, die über Jahrzehnte für zahlreiche Verbrechen an indigenen Papuanern verantwortlich gemacht wird. Im Jahr 2003 wurden sieben Soldaten der Kopassus wegen des Mordes am papuanischen Unabhängigkeitsführer Theys Eluay zwei Jahre zuvor verurteilt.

Polizisten tragen am 28. April den Sarg eines bei einem Gefecht getöteten Kollegen in Mimika zu Grabe.
Foto: AFP/Hermanto

Größter Einsatz seit Jahrzehnten

Aus seinem Exil in Großbritannien warnte Benny Wenda, der selbsternannte Anführer einer "Interimsregierung" Westpapuas, dass der massivste Militäreinsatz seit den 1970er-Jahren bevorstehe. Das Internet sei abgedreht, hunderte Soldaten wurden geschickt, und Zivilisten seien auf der Flucht aus ihren Dörfern. Wenda führt den Vorsitz der Vereinigten Befreiungsbewegung für Westpapua (United Livberation Movement for West Papua, UMLWP), seine Übergangsregierung wird von den Separatisten der OPM nicht anerkannt.

Seit Freitag vor einer Woche sind die Internetverbindungen in Jayapura, der Hauptstadt der Provinz Papua, gekappt. Das bestätigte der Netzbetreiber PT Telkom, der erklärte, an der Wiederherstellung zu arbeiten. Die im australischen Exil lebende Menschenrechtsaktivistin Veronica Koman berichtete, dass auch in dem Bezirk Puncak im Hochland Westpapuas das Internet und die Mobilnetze lahmgelegt worden seien. Ein Sprecher des Kommunikationsministeriums erklärte hingegen, Schuld am Netzausfall sei ein Schaden an einem unterseeischen Kabel.

2019 hatte die Regierung in Jakarta während wochenlanger Proteste gegen die Besatzung Westpapuas das Internet lahmgelegt. Ein indonesisches Gericht urteilte später, dass die Sperre illegal gewesen sei und die Regierung gegen die Gesetze verstoßen habe.

Koman berichtete von mindestens 40.000 Vertriebenen in Westpapua infolge des bewaffneten Konflikts. Auf Twitter veröffentlichte sie Bilder von Flüchtlingen in der Stadt Puncak.

Bei einer fortgesetzten Eskalation droht auch ein Übergreifen des Konflikts auf den Nachbarstaat Papua-Neuguinea. Nachdem Indonesien die westpapuanische Unabhängigkeitsbewegung als Terroristen einstufte, erklärten papua-neuguineische Sympathisanten der westpapuanischen Unabhängigkeitsbewegung ihre Bereitschaft, an der Seite der Separatisten gegen die indonesische Armee zu kämpfen.

Der Konflikt in Westpapua köchelt mit unterschiedlicher Intensität seit dem Ende der Kolonialzeit Anfang der 1960er-Jahre. Damals erklärte sich Westpapua für unabhängig von den Niederlanden, die Besetzung des rohstoffreichen Gebiets durch indonesische Truppen erfolgte umgehend. 1969 wurde unter Begleitung der Vereinten Nationen ein Referendum abgehalten, um die Zugehörigkeit zu Indonesien zu besiegeln. Bei dieser "Act of Free Choice", also "freie Wahl" genannten Abstimmung wurden rund 1.025 Personen unter Gewaltanwendung dazu gezwungen, im Sinne der Besatzer zu entscheiden.

Seither wird die Unabhängigkeitsbewegung hart verfolgt. Sogar das bloße Herzeigen der westpapuanischen Morgensternflagge kann mehrere Jahre Haft zur Folge haben. (Michael Vosatka, 7.5.2021)