Bei der ÖBB ist es einfach: Die Staatsbahn bekommt ihr Geld vom Verkehrsministerium. Die Tarifsysteme großer Bundesländer und Städte stellt das 1-2-3-Ticket auf den Kopf.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Mit dem EU-Aufbauplan mit seinen Projektförderungen im Volumen von 3,4 Milliarden Euro will sich Österreich aus der Corona-Krise katapultieren. Das mehr als 600 Seiten umfassende, nach Wochen der Geheimnistuerei am Wochenende veröffentlichte Opus magnum enthält neben pekuniären Versprechungen auch Wegweiser zu dem in Verhandlungen zwischen Verkehrsministerium und Landeshauptleuten feststeckenden 1-2-3-Klimaticket.

Hauptproblem sind – neben der Abgeltung von Einnahmenausfällen aufgrund der Abwanderung von Fahrgästen zu den neuen, billigeren Einheitstarifen – burgenländische Wien-Pendlerinnen und -Pendler, die Niederösterreich passieren, um nach Wien zu gelangen. Sie müssten jedenfalls das Bundesticket um 1.095 Euro lösen statt einer Netzkarte für zwei Zonen (für benachbarte Bundesländer um 730 Euro pro Jahr) – wie sie Pendler von Amstetten nach Steyr oder von Krems nach Wien brauchen.

Den Burgenländerinnen und Burgenländern will man nun eine Brücke bauen. "Die Ostregion wird voraussichtlich in zwei regionale Netztarife (Niederösterreich und Burgenland; Wien) unterteilt", heißt es im EU-Aufbauplan, in dem Maßnahmen und Reformen skizziert sind, die bis 2026 umgesetzt werden sollen.

Eine Frage des Preises

Diese Feststellung sorgt bei betroffenen Ländern, Gebietskörperschaften und Verkehrsverbünden für Erstaunen. Denn wohl wurde über Vor- und Nachteile derartiger Lösungsvorschläge im Zuge der Einführung des 1-2-3-Tickets längst ausführlich diskutiert, abschließende Festlegungen stünden aber aus, heißt es in mit der Materie befassten Kreisen. Die Preisfrage sei nicht gelöst – und mit ihr das zentrale Problem des vom Bund verordneten Einheitstarifs. In Opposition ist der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), er droht mit Verfassungsklage, weil er seine Landsleute hierbei benachteiligt sieht.

Viel hängt also davon ab, ob Eisenstadt einen solch überregionalen Spezialtarif akzeptieren würde. Denn klar ist, dass so ein Durchfahrtstarif für die Fahrt nach Wien billiger sein müsste als die österreichweite Dreierstufe, aber teurer als die erste Stufe des Klimatickets (um 365 Euro). Die Differenz auf die 730 Euro müsste der Bund aufzahlen, denn die Wien-Zone (365 Euro) ist von Einpendlern jedenfalls zu zahlen.

Korridortarif?

Über mögliche Konsequenzen, die so ein Korridortarif nach sich ziehen würde, will derzeit niemand sprechen: Im regionalen Niederösterreich-Burgenland-Kombinationstarif gäbe es für Niederösterreicher gar kein 365-Euro-Bundesländerticket – und für die Burgenländer auch nicht, womit die beiden wieder gleichgestellt wären. Die vom Burgenland angedrohte Verfassungsklage wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes wäre so vom Tisch, hoffen Auskenner. Und: Die Regierung in St. Pölten ersparte sich die Einführung unrentabler, massiv stützungsbedürftiger Bundesländer-Netzkarten. Deren Bedarf wird ohnehin massiv angezweifelt, denn Pendlerinnen und Pendler, die täglich mit Öffis zwischen Gmünd und Wiener Neudorf oder gar Wiener Neustadt verkehren, seien ohnehin an wenigen Händen abzuzählen.

Herausforderung 365 Euro

Berufsfahrten zwischen zwei Bezirken in Niederösterreich oder zwischen Mattersburg und Wiener Neustadt würden in dem Fall ebenfalls teurer als im Nationalratswahlkampf großspurig angekündigt. Aber ein Bundesland um 365 Euro gilt Flächenbundesländern wie Niederösterreich als Herausforderung, die finanziell kaum zu stemmen wäre.

Die Alternative, ein eigens zu schaffendes Korridor- oder Transitticket für Burgenländer zur Durchfahrt nach Wien, hingegen müsste keine Netzkarte für ganz Niederösterreich sein, sondern eben nur eine Streckenkarte für bestimmte Zug- oder Busrelationen. Von 500 bis 550 Euro ist die Rede für einen solchen regionalen Spezialtarif zum Durchfahren bis Wien, der de facto einer Teilung oder Aushebelung des eigens für Wien, Niederösterreich und das Burgenland geschaffenen Verkehrsverbunds Ostregion (VOR) gleichkäme.

Kombi-Netzkarte?

Bleibt die dritte Variante, eine Kombi-Netzkarte für das Burgenland und Niederösterreich um 365 Euro, die von Wien-Pendlern um die Wien-Netzkarte um 365 Euro für U-, Schnell- und Straßenbahn aufgestockt werden müsste. Diese Variante gilt als illusorisch, der vom Bund aufzufüllende Einnahmenausfall wäre gegenüber dem Istzustand schlicht zu hoch.

Dass das als leistbar und unkompliziert gepriesene neue Öffi-Ticketsystem komplizierter ist als im Wahlkampf vermutet, zeigt sich am Starttermin: Vom Start im ersten Halbjahr 2021 ist nicht mehr die Rede. Im Aufbauplan heißt es lapidar "bis Ende 2021". Das könnte sich als ehrgeizige Zielvorgabe erweisen, denn mit Wien, Niederösterreich, Burgenland, Steiermark und Kärnten steht eine Einigung noch aus.

Bescheidene Zielvorgaben

Bei der Zahl der Nutzer gibt man sich bescheiden: 2023, im ersten Jahr des österreichweiten Vollausbaus, soll die Zahl der Nutzer mit 1-2-3-Ticket in Öffis eine Million ausmachen. Zum Vergleich: 870.000 haben die Wiener Linien bereits vor der Einführung. (Luise Ungerboeck, 4.5.2021)