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Fans der Seattle Sounders können sich im Stadion gratis impfen lassen – der Andrang bei den Impfterminen ist zuletzt allerdings sehr überschaubar geworden.


Foto: AP Photo/Ted S. Warren

"Verweigert euch dem experimentellen Impfstoff!", ruft der hochgewachsene Mann, während er eine Zeitung anpreist. Immer wieder, gebetsmühlenartig. Er steht an der Kreuzung Lenox Avenue / 125th Street, mitten in Harlem, einem New Yorker Mekka afroamerikanischer Kultur.

Die Botschaft, die er verbreitet, ist die von Louis Farrakhan. Der Prediger der Nation of Islam, bekannt für bisweilen abstruse Thesen, hat bereits vor Monaten erklärt, man dürfe dem Impfstoff nicht trauen. Die Regierung in Washington habe schwarze Amerikaner schon zu oft mit medizinischen Experimenten hinters Licht geführt.

Worauf Farrakhans These beruht, braucht man in Harlem keinem zu erklären. Das latente Misstrauen wurzelt in leidvollen Erfahrungen mit menschenverachtenden Versuchen, die in Tuskegee ihren traurigen Höhepunkt fanden. In der Kleinstadt in Alabama wurde an Syphilis erkrankten Schwarzen eine Behandlung vorgegaukelt, ohne dass man sie tatsächlich behandelte. Als wären sie Labortiere, sollten sie beobachtet werden, um den "natürlichen" Verlauf der Krankheit zu studieren. Vierzig Jahre lang, von 1932 bis 1972.

Darauf bezieht er sich, der Mann an der Straßenkreuzung: Jeder hier weiß auf Anhieb, was mit dem Wort "experimentell" gemeint ist. Auch deshalb predigt der Pfarrer Calvin O. Butts gegen Vorbehalte an, wenn er mahnt, dass man bitte gesundem Menschenverstand folgen möge. Die Corona-Impfungen seien das Gegenteil des Tuskegee-Kapitels, denn diesmal mache keine Regierung irgendjemandem etwas vor.

Freiheitsstatue mit Maske

Butts' Abyssinian Baptist Church ist nicht nur ein Gotteshaus, sondern auch ein kultureller Anker für Harlem und dient schon seit geraumer Zeit als Impfzentrum. Das Vakzin koste nichts, steht auf Transparenten, die der Reverend an einen Zaun binden ließ. Darunter die Freiheitsstatue. Mit Maske.

Das Problem, das die USA seit zwei, drei Wochen haben, ist mit dem Begriff "vaccine hesitancy" kurz und prägnant beschrieben. Viele zögern, bevor sie sich impfen lassen – oder auch nicht. Impfstoff ist reichlich vorhanden. In New York wird niemand mehr abgewiesen, wenn er sich ohne Termin in die mittlerweile überschaubaren Warteschlangen vor den Impfzentren einreiht. Bei der Drogeriekette CVS gibt es neuerdings Gutscheine: Eine Impfung bedeutet 20 Prozent Rabatt für den nächsten Einkauf.

Es ändert nichts an den rückläufigen Zahlen. Waren es in der dritten Aprilwoche noch 3,4 Millionen Amerikaner, die an einem durchschnittlichen Tag eine Spritze bekamen, so sind es aktuell nur noch 2,4 Millionen. 44 Prozent der Gesamtbevölkerung hat man, Stand Montag, mindestens eine Dosis verabreicht, etwa ein Drittel ist vollständig immunisiert. Was allerdings auffällt, sind große regionale Unterschiede. An der Spitze liegt New Hampshire (61 Prozent mindestens einmal geimpft), gefolgt von Massachusetts, Connecticut und Maine. Das Schlusslicht bilden drei Bundesstaaten im Süden: Mississippi, Louisiana und Alabama, mit Quoten zwischen 31 und 33 Prozent.

Skepsis und Fatalismus

Am geringsten ist die Impfbereitschaft unter evangelikalen Christen, mehrheitlich Republikaner. Nach einer Erhebung der Monmouth University lehnen es zwei Fünftel der Anhänger dieser Partei ab, sich gegen das Coronavirus immunisieren zu lassen – Wähler der Demokraten nur zu fünf Prozent. Gerüchte, nach denen bei der Herstellung der Impfstoffe Zelllinien abgetriebener Föten verwendet werden, haben Abtreibungsgegner offenbar in ihrer Skepsis bestärkt.

Den Hauptgrund aber sehen Kenner des Milieus in einer fatalistischen Weltsicht: Wenn Gott wolle, dass man sterbe, dann sei das eben so, auch wenn eine Covid-Erkrankung den Tod verursache.

Immer neue Gerüchte

Sean Daniels, Pastor einer Baptistenkirche in Kentucky, beobachtet zudem eine ausgeprägte Aversion gegenüber wissenschaftlichem Fortschritt. Wann immer etwas neu sei, stürze man sich in seinem Umfeld auf jedes Gerücht, um das Neue abzuwehren, erzählte er neulich im Fernsehsender PBS.

Philip Keiser, Chef des Gesundheitsamts in Galveston County, einem Landkreis an der texanischen Golfküste, erklärt das Zögern mit einer Art Abwartehaltung. In seinem Kreis, so Keiser, lehne es nur ein Viertel der Bewohner kategorisch ab, sich einen "Schuss" in den Oberarm geben zu lassen. Ein weiteres Viertel wolle erst sehen, wie es bereits Geimpften ergehe. Diese Menschen zu überzeugen bedeute ein hartes Stück Arbeit, sei aber möglich. Realistisch erreichen, prophezeit der Arzt, lasse sich eine Impfquote von ungefähr 75 Prozent. (Frank Herrmann aus New York, 3.5.2021)