"Wir machen gerade Inventur", wiederholte Palmers-Chef Tino Wieser nach dem Aufkommen der Causa um Hygiene Austria mantraartig.

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Im März bestimmte der krisengeschüttelte Maskenhersteller Hygiene Austria noch die Schlagzeilen. Seit sich Lenzing Anfang April aus dem Joint Venture mit Palmers zurückgezogen hat, ist es ruhig geworden. Im Stillen versucht man, die publik gewordenen Vorwürfe aufzuarbeiten. Chinesische FFP2-Masken sollen als "made in Austria" verkauft worden sein – wie man auch zugegeben hat. Aber auch Arbeitsunfälle seien vertuscht worden und Leiharbeiter ausgebeutet. Die letzten beiden Vorwürfe weist Hygiene Austria vehement von sich. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Von den beiden Geschäftsführern, die Anfang April für den Neustart des rot-weiß-roten Maskenherstellers ins Boot geholt wurden, hat sich nun schon einer wieder verabschiedet. "Sehr geehrte Damen und Herrn", heißt es da in einer automatischen E-Mail-Antwort von Michael Schleiss: "Ab 3. Mai 2021 bin ich nicht mehr für die Hygiene Austria tätig." Künftig solle man sich an Claudia Witzemann wenden. Die ehemalige Geschäftsführerin des Wiener Start-up-Hubs Wexelerate wurde gemeinsam mit Schleiss am 2. April zur Hygiene Austria geholt.

"Aufrechte Geheimhaltungsverpflichtung"

Was ist da los? Schleiss, ein ehemaliger Spartenleiter des Kunst- und Schaumstoffunternehmens Greiner AG, sollte gemeinsam mit Witzemann Hygiene Austria wieder auf Vordermann bringen. Warum Schleiss, der als erfahrener Sanierer gilt, nach nur einem Monat wieder ausgestiegen ist, darüber kann und will er aufgrund einer "aufrechten Geheimhaltungsverpflichtung" nichts sagen, wie er mitteilt. Im vergangenen Jahr ging er eigentlich in den Ruhestand.

Personen, die Hygiene Austria aus der Nähe kennen, meinen, dass der Abschied viele Gründe haben könnte – auch dass Unternehmen wie Hygiene Austria schlichtweg zu klein für eine Doppelspitze seien.

Dass Schleiss ging, dürfte jedenfalls nicht daran liegen, dass die Aufarbeitung erledigt ist. Der Maskenhersteller startete nach Bekanntwerden der zahlreichen Vorwürfe eine umfassende Transparenzoffensive auf der eigenen Homepage. Dort werden Fragen beantwortet und Dokumente einsichtig gemacht. Zur Frage, wie groß der Anteil der als österreichisch ausgegeben China-Masken war, steht dort mit Stand 6. Mai: "Die Bestandsaufnahme am Standort wird soeben – soweit derzeit möglich – durchgeführt. Aber Sie werden überrascht sein, wie wenige das verhältnismäßig sind."

Die Hausdurchsuchung, nach der Ermittler davon sprachen, dass auf 17 chinesische nur drei FFP2-Masken aus heimischer Produktion kamen, fand Anfang März statt. Wie viele Masken Hygiene Austria tatsächlich aus China importiert hat, ist zwei Monate danach aber nach wie vor unklar. Palmers-Chef Tino Wieser verwies stets darauf, dass Hygiene Austria gerade Inventur mache. Wie lange diese dauert, erscheint angesichts dessen, dass es sich nur um ein Produkt handelt, durchaus bemerkenswert.

Wortkarge Einzelspitze

Das Büro der verbliebenen Geschäftsführerin Witzemann bittet auf STANDARD-Anfrage noch um Geduld. Man könne genauere Ergebnisse der "forensischen Prüfung" erst kommunizieren, wenn diese abgeschlossen ist. "Derzeit liegt der Fokus auf der Stabilisierung des Unternehmens und auf der Weiterführung des laufenden Geschäfts." Der Betrieb laufe jedenfalls weiter, und es sei auch in entsprechende Maschinen investiert worden. Der Bedarf an zertifiziertem Maskenschutz sei weiterhin groß, erklärt die Geschäftsführerin, weshalb man mit der Produktion weitermachen will.

Auch in Ermittlerkreisen hält man sich bedeckt, was den Stand der Ermittlungen betrifft. In der Causa gibt es nach wie vor drei Stränge. Einmal ist da der Weg der Masken: Wie viele wurden aus China zugekauft und wie viele weiterverkauft?

Der zweite Strang betrifft die verbundenen Geldflüsse. Bei Hygiene Austria betont man ja, mit den aus China zugekauften Masken nicht gut verdient zu haben. Inklusive Zoll, Transfer und anderem seien sie um 60 bis 100 Prozent teurer gewesen als die in Österreich produzierte Ware, die Kosten seien nicht an die Konsumenten weitergegeben worden. In Ermittlerkreisen hat man Zweifel an der Geschichte. Hat Hygiene Austria an den chinesischen Masken kaum bis nichts verdient, wäre das nämlich ein doppelt schlechtes Geschäft gewesen, wenn man das – Wirklichkeit gewordene – Risiko eines Reputationsverlusts einrechnet.

Der dritte Ermittlungsstrang gilt den Zeitarbeitsfirmen, die Personal in das Maskenwerk entsandten. Wie DER STANDARD aufdeckte, kamen dabei auch Scheinfirmen als Subunternehmen zum Zug.

Hygiene-Austria-Kosmos wird mit Klagen eingedeckt

Die Arbeiterkammer (AK) und die Gewerkschaft beschäftigten derweil die Machenschaften von und um Hygiene Austria – der Fokus liegt auf Lohndumping. Die Arbeiterkammer setzt dieser Tage vor allem Klagen auf. 120 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sich bei der Interessenvertretung gemeldet. 30 Klagen seien bisher eingebracht worden. Weitere folgen noch. Die AK-Juristin Andrea Ebner-Pfeifer will in jedem Fall die unterkollektivvertragliche Bezahlung durch die Leiharbeitsfirmen bekämpfen.

In der Arbeiterkammer werden zusätzlich noch Haftungsklagen gegen Hygiene Austria als Beschäftigungsbetrieb und an das Personalunternehmen, das die Scheinfirmen ins Boot holte, vorbereitet. Hinzu kommen Strafanzeigen gegen die Firmen wegen Sozialbetrugs, Schwarzarbeit, Betrugs, Nötigung und Drohung. Die letzten beiden Punkte deshalb, da laut Ebner-Pfeifer Arbeitnehmer "ihre Handys abgeben und Arbeitsunfälle als Freizeitunfälle deklariert werden mussten".

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte bereits im März eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs gegen den Maskenhersteller eingebracht, konkret geht es um Unterlassung irreführender Herkunftsangaben. Man sei gerade dabei, den Schriftsatz für das Gericht vorzubereiten, heißt es vonseiten des VKI, einen konkreten Verhandlungstermin gibt es noch nicht.

Ende März hatte Hygiene Austria in einer an den VKI adressierten Unterlassungserklärung versichert, dass man ab sofort unterlassen werde, "im geschäftlichen Verkehr und zu Zwecken des Wettbewerbs Masken des Typs FFP2 als 'made in Austria' zu bewerben und/oder in Verkehr zu bringen, sofern die Produktion (...) nicht überwiegend in Österreich erfolgte". (Jan Michael Marchart, Bettina Pfluger, Aloysius Widmann, 7.5.2021)