Nach dem Start des Kernmoduls von Chinas neuer Raumstation am 29. April drohen Trümmer des Hauptteils der Trägerrakete in den nächsten Tagen auf die Erde zu stürzen.
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China hat in der vergangenen Woche mit dem Aufbau ihrer eigenen Raumstation begonnen. Mit dem Start des Kernmoduls Tianhe an Bord einer Rakete des Typs Langer Marsch 5B wurde am Donnerstag das Fundament für die Tiangong Space Station gelegt, die im Endausbau eine Masse von rund 80 Tonnen haben soll; das entspricht etwa einem Fünftel der Masse der Internationalen Raumstation (ISS).

"Wie der Absturz eines kleinen Flugzeugs"

Nun allerdings fällt ein Schatten auf den von der chinesischen Regierung gefeierten Erfolg. Nach dem Start des Moduls drohen Trümmer der Hauptstufe der Trägerrakete auf die Erde zu stürzen. Raumfahrtexperten warnten am Dienstag vor einem "unkontrollierten" Wiedereintritt der 20 Tonnen schweren Rakete in die Erdatmosphäre. Grund sei das Design der Langer Marsch 5B, die sich nach dem Start nicht mehr so steuern lasse, um an einem vorbestimmten Punkt ins Meer zu fallen.

"Wir wissen nicht, wo", sagte der Astrophysiker Jonathan McDowell vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts in Peking. "Im schlimmsten Fall wird es wie der Absturz eines kleinen Flugzeugs, der sich aber über hunderte Kilometer verteilt." Da die Rakete sehr schnell um die Erde kreise, sei ungewiss, wann und wo genau sie in die Atmosphäre eintreten und dort teilweise verglühen dürfte.

Archivaufnahme der Hauptstufe einer Rakete vom Typ Langer Marsch 5B. Die Stufe hat eine Länge von 30 Metern und einen Durchmesser von fünf Metern.
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Taumelnder Trümmerteil

Das US-Militär hat mit bodengestütztem Radar zur Verfolgung von Raumfahrzeugen und anderen Objekten im Weltraum ein Objekt im Visier, das als der entsprechende Raketenteil identifiziert worden sein soll. Die unter 2021-035B katalogisierte Hauptstufe hat eine Länge von rund 30 Metern und eine Breite von fünf Metern und kreist aktuell auf einer langgezogenen Umlaufbahn in einer Höhe, die zwischen 160 und 300 Kilometern pendelt, mit einer Geschwindigkeit von mehr als sieben Kilometern pro Sekunde. Die Flugbahn des Objekts kann man auf der Website "Orbiting Now" oder via "N2yo.com" im Auge behalten.

Auch eine potenzielle Amateurbeobachtung der Raketenstufe, bei der von regelmäßigem Aufblitzen des reflektierten Sonnenlichts berichtet wird, deutet darauf hin, dass das Objekt taumelt und somit nicht unter Kontrolle ist.

Schon nach dem ersten Flug des neuen, besonders schweren und tragfähigen chinesischen Raketentyps im Mai 2020 waren Trümmer in der westafrikanischen Elfenbeinküste niedergegangen und hatten mehrere Häuser in Dörfern beschädigt. "Das Design ist fahrlässig im Vergleich zu gegenwärtigen Standards anderer Länder", kritisierte McDowell die chinesische Rakete.

Ehrgeiziges Projekt

Die Rakete hatte am vergangenen Donnerstag das 22 Tonnen schwere Kernmodul der künftigen Raumstation erfolgreich ins All gebracht. Die Station soll bis 2022 um zwei Wissenschaftsmodule erweitert werden, die gemeinsam mit dem Kernmodul ein T-förmiges Ensemble bildet. Außerdem soll in der Nähe ein freifliegendes Weltraumteleskop platziert werden, das bei Bedarf angekoppelt werden kann. Die geplante Maximalbesatzung umfasst zunächst drei Personen. Im Endausbau, bei dem gleichsam ein zweites "T" angekoppelt wird, könnten sechs Raumfahrer Platz finden.

Der Zeitplan für den weiteren Ausbau ist ehrgeizig: Noch in diesem Monat sollen zwei weitere Raumflüge stattfinden. Im Mai könnte das Cargo-Raumschiff Tianzhou 2 mit Treibstoff und Versorgungsgütern starten, möglicherweise im Juni sollen dann erstmals drei Astronauten zu Tianhe zu fliegen.

Vor allem die erste Bauphase erfordert einen dichten Flugplan: Insgesamt sind elf Flüge vorgesehen – drei Flüge mit Bauteilen, vier Frachtmissionen und vier bemannte Raumflüge. Geplant ist, dass die chinesische Raumstation nach ihrer Inbetriebnahme im niedrigen Erdorbit auf rund 400 bis 450 Kilometer Höhe verbleibt. (tberg, red, 4.5.2021)