Mit dem "Farm Simulator" werden sogar E-Sport-Wettbewerbe veranstaltet: Wer die meisten Heuballen sammelt, gewinnt.

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Sie versetzen den Spieler in das Cockpit eines Airbus, hinter das Lenkrad eines Traktors oder in die Lokomotive eines Schnellzugs: Spielsimulatoren sind seit der Entstehung von Videospielen ein fester Bestandteil der Gaming-Kultur – mittlerweile gibt es wohl kaum eine Tätigkeit, die noch nicht in spielerische Form gegossen wurde. Damit nehmen die Simulatorenspiele eine besonders entschleunigte Position in der Welt der Computerspiele ein, in welcher sonst Action und der Adrenalinkick im Vordergrund stehen. Doch was bewegt die Spieler dazu, Bauern, Fußballmanager oder gar Obdachlose nachzuahmen? Wieso sollte man sich nach Feierabend vor das Endgerät seiner Wahl setzen, um dann in weiterer Folge wieder spielerisch zu arbeiten?

Frage der Perspektive

Seit mittlerweile über einem Jahr leben wir in einem radikal veränderten Alltag. Die neue Normalität sieht vor, dass sich Menschen vor allem in ihren eigenen vier Wänden befinden, denn anderweitige Freizeitangebote sind zumeist geschlossen. So entdeckten viele für sich das Genre der Simulatorenspiele für sich, um die Außenwelt in die eigenen vier Wände zu holen. Ein klassischer Fall von Eskapismus?

Nicht nur, meint Natalie Denk, Leiterin des Zentrums für angewandte Spieleforschung an der Donau-Universität Krems: "Man kann hier in eine andere Rolle schlüpfen und zum Beispiel eine Berufswelt ausprobieren, die es tatsächlich gibt, aber zu der man vielleicht im realen Leben aus diversen Gründen keinen Zugang hat."

Ähnlich sieht es Johanna Pirker, die an der Technischen Universität Graz forscht: "Andere Simulationen wie beispielsweise der 'Flight Simulator' geben uns Möglichkeiten, tatsächlich auch Sachen zu erleben, die sonst unmöglich wären." Auch im Forum des WebStandard wurde dies zuletzt von Userinnen und Usern bestätigt – etwa von STANDARD-User John Moke, der sein Interesse für Simulatoren folgendermaßen begründet: "Weil man damit ungefährlich relativ realitätsnah etwas ausprobieren kann, was man vielleicht im echten Leben nie machen kann, darf oder will."

Eine Rolle, in der sich wohl die wenigsten Menschen wiederfinden: jene des Rennfahrers.
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Den eigenen Kindheitstraum ausleben

Ein großer Anbieter derartiger Spiele ist die deutsche Aerosoft GmbH. Sie ist für eine Vielzahl von Spielsimulatoren verantwortlich. Bereits im Jahr 1992 brachte die Firma aus Paderborn die erste Zusatzsoftware in Form eines Add-ons für den Microsoft Flightsimulator 4.0 auf den Markt. Mittlerweile beschäftigt das Unternehmen knapp 40 Mitarbeiter und veröffentlicht auch weiterhin Spiele zu unterschiedlichen Arbeitswelten – wie zuletzt TramSim: einen Simulator, bei dem man eine Wiener Straßenbahn durch die Bundeshauptstadt fährt.

Auf eine Frage des STANDARD zum aktuellen Erfolgsgeheimnis der Simulatorenspiele antwortet Dirk Ohler, Head of Product Management: "Viele kleine Kinder wollen einmal Feuerwehrmann oder -frau, Polizist/-in oder Baggerführer/-in werden. Schon von früh an begeistern sie sich für Fahrzeuge, Technik und spannende Berufe. Schaut man sich Spielzeugläden an, so findet man dort Nachbildungen von Autos, Lkws, Feuerwehrfahrzeugen, Polizeiautos, Eisenbahnen et cetera. " Und Faszination für diese Technik bleibe oft ein Leben lang, bis weit ins Erwachsenenalter, erhalten, führt Ohler weiter aus: "Leider wird nicht jeder einmal einen Lkw fahren dürfen oder ein Feuer löschen können, sondern vielleicht eher einen Büroarbeitsplatz haben. Ein Simulationsspiel ermöglicht hier aber, einfach mal virtuell in einen anderen Beruf zu schlüpfen und Kindheitsträume auszuleben."

Nach der Arbeit weiterarbeiten

Aber das ist nicht der einzige Beweggrund. Denn offenbar gibt es auch Spielsimulatoren-Fans, die ihren Beruf noch zusätzlich in ihrer Freizeit ausleben wollen. So schreibt Ohler weiter: "Die andere große Gruppe von Simulationsbegeisterten hat ihren Traum, zum Beispiel Busfahrer zu werden, in der Realität umgesetzt und darf dann nach getaner Arbeit ganz ohne Verantwortung für die Fahrgäste und sehr entspannt nach Feierabend virtuell den eigenen Beruf nochmal nachspielen. Ohne Stress und nervigen Verkehr. Dass das Phänomen Simulationsspiele ein verrücktes Image hat, ist für uns manchmal unverständlich."

Inside PlayStation

Einsatz in der Lehre und im Sport

Den Mehrwert von Simulatorenspielen erkennt Pirker wiederum auch in ihrem Forschungsgebiet: "Viele dieser Simulationen werden auch teilweise in der Lehre verwendet. Sogar für die Spieleentwicklung selbst gibt es einen Simulator, den auch wir teilweise verwenden, um den Aufbau einer Spielefirma, die einzelnen Phasen et cetera den Lernenden einfach zu vermitteln."

Aerosoft setzt ebenfalls auf den Effekt, dass mit den Simulatoren in der Lehre gearbeitet werden kann. Zudem finden sich Spielsimulatoren in der Sportwelt. So setzt zum Beispiel die Formel 1 auf Simulatoren, um sich effektiv auf die anstehenden Rennwochenenden vorzubereiten, nachdem über die vergangenen Jahre die Trainingstage auf ein Minimum reduziert worden sind.

Erfolgsgeschichte Farmsimulator

Doch in der jüngeren Vergangenheit sorgte vor allem ein Spielsimulator für große Verwunderung und ist dabei außergewöhnlich erfolgreich: der Farm Simulator. Ein Spiel, das kein exaktes Ziel verfolgt, kein endgültiges Ende besitzt – kurzum: Der Weg ist das Ziel. Säen, Pflügen, Ernten und von dem Gewinn neue Maschinen, aber auch neue Tiere für den eigenen Hof kaufen.

Als 2008 der erste Teil der Erfolgsgeschichte veröffentlicht wurde, wussten die Entwickler nicht einmal, ob es eine Spielerschaft für das virtuelle Bauernleben geben wird. In einem Artikel in der "Zeit" erklärte der ehemalige Giant-Software-Community-Manager Christian Wachter, dass die erste Version des Landwirtschafts-Simulators aus dem Jahr 2008 eher ein Test gewesen sei, ob es überhaupt einen Markt für ein derartiges Spiel gebe. Zur Überraschung des Herstellers habe sich das Spiel dann eine Viertelmillion Mal verkauft. Dieser Tage ist der Farm Simulator eines der meistgespielten Spiele und führt regelmäßig die Charts diverser Elektrowarenhändler an.

Ein Meme sagt manchmal mehr als viele Worte.
Foto: 9Gag

Ein weiterer Grundstein für dessen Erfolg ist sicherlich die Individualisierbarkeit der Spielewelten. Auch unter dem Namen "Modding" bekannt, ist es hier den virtuellen Bauern möglich, Landschaften aus dem Offline-Leben detailgetreu nachzubauen.

So ist es wenig überraschend, dass sich diverse Spielkarten aus Österreich finden, wie zum Beispiel die Landschaft von Oberösterreich, die gleichzeitig mit den Wetterdaten aus der Hauptstadt Linz ergänzt wird, um auch adäquat die Wetterlage wiedergeben zu können. Ebenso können die heimischen Radiosender damit ins Spiel geladen werden. Ö3, Kronehit oder Life Radio begleiten dann den Spieler musikalisch, während er sich dem Mähen eines Feldes widmet. Natürlich dürfen die gängigen Maschinenhersteller im Spiel nicht fehlen: Geräte von Steyr, John Deere und Lindner finden sich natürlich im Spiel wieder.

Der Traum vom eigenen Bauernhof kann mit dem Farmsimulator ausgelebt werden.
Foto: Giant Software

E-Sport-Wettbewerb fürs Traktorfahren

Giant Software setzt weiters noch auf den Wettbewerb. Seit 2018 organisiert der Spielehersteller aus der Schweiz seinen eigenen E-Sport-Wettbewerb. Die Farming Simulator League beinhaltet 14 Teams. Das Finale wird von 15. bis 16. Mai online abgehalten. In der Liga finden sich Werkteams von Traktorenherstellern wie Hörmann, John Deere und der österreichischen Firma Lindner, aber auch traditionelle E-Sport-Teams wie die Schweizer Organisation Myinsanity oder Cowana Gaming aus Deutschland. Dabei wird ein Preisgeld von 250.000 Dollar zur Verfügung gestellt.

Farming Simulator

Im Wettbewerb treten zwei Teams zu je drei Spielern gegeneinander an. Es gewinnt jenes Team, das es schafft, innerhalb von 15 Minuten die meisten Heuballen herzustellen. Zuvor können die beiden Teams noch gewisse Maschinen ausschließen, um dann ihre bevorzugten Traktoren und Mähdrescher auszuwählen. Am Ende gewinnt das Team mit den meisten Punkten.

Innerhalb weniger Sekunden wurde auf die Bekanntgabe des neuesten Farmsimulators mit verschiedensten Emojis reagiert. Anscheinend ist es Benutzern aus Polen und Finnland besonders wichtig, mit ihren Nationalflaggen zu reagieren.
Foto: DER STANDARD

Unter anderem dürfte also vor allem der Mix der verschiedenen Erfolgsfaktoren für die Beliebtheit des Spiels verantwortlich sein – wie auch Lars Malcharak, Community-Manager von Giant Software, sagt: "Ich denke, was die Spieler am meisten begeistert, ist tatsächlich das Gesamtpaket. Ein Spiel, das seine Faszination mit einer ruhigen und angenehmen Community verbindet und nicht zuletzt voll 'modbar' ist, sodass jeder wirklich so spielen kann, wie er will. Der LS ist einfach ein entspannender, stressfreier Abend mit Freunden, wo auch wirklich jeder mitmachen kann, egal ob drei oder 73 Jahre alt."

Obdachlosigkeit als Spiel

Doch Simulatoren machen auch nicht vor kontroversen Themen halt. Dieser Tage versucht ein Spielsimulator mit einem äußerst sensiblen Thema sein Glück. In Hobo:Though Life gilt es, als Obdachloser in einer fiktiven osteuropäischen Stadt, die offenbar der tschechischen Hauptstadt Prag nachempfunden ist, den Alltag zu meistern.

Die Idee entstand, als ein Entwickler des Indie-Studios Perun Creative Studios bei einem Nebenjob in ein Gespräch mit einem Obdachlosen verwickelt wurde. Einer der bekanntesten Youtuber des deutschsprachigen Raums, Paluten, griff das Spiel auf, um es mit einer Let's-Play-Serie zu begleiten. Die Videos gehen regelmäßig in den Youtube-Gaming-Charts in die Trends.

Paluten

Aber auch auf der Plattform Steam bekommt Hobo:Tough Life eine außergewöhnlich positive Resonanz. Knapp 90 Prozent aller Rezensionen sind positiv. Trotzdem wirkt es paradox, wenn die Rezensenten die authentische Wiedergabe des Spiels loben: Bei keinem anderen Simulatorenspiel gilt wohl so sehr, dass hier eine Erfahrung zumindest spielerisch durchlebt wird, die wohl die wenigsten in der Realität erleben wollen.

Bereits 2008 gab es wegen eines ähnlichen Simulators einen politischen Aufschrei. Das mittlerweile 13 Jahre alte Spiel ist noch immer unter Pennergame.de erreichbar und erzürnte damals die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Jsenija Bekeris. Diese warf den Entwicklern "herablassenden, beleidigenden und im besten Fall gedankenlosen Umgang" vor. Dass ein Obdachlosensimulator auch ohne Klischees auskommt und sich würdevoll mit der sozialen Katastrophe auseinandersetzen kann, bewies hingegen Change: A Homeless Survival Experience, in eine ähnliche Richtung versucht Hobo:Tough Life einzuschlagen.

Mal einfach gar nichts machen

Und dann gibt es in dieser per se schon für Außenstehende oft nicht greifbaren Welt der Simulatoren einzelne Projekte, die alles noch weiter ins Absurde führen: 2015 stellte sich der Brite Edward Bowden der Aufgabe, einen Spielsimulator zu erschaffen, der mal nichts simuliert. Es passiert nichts, kein Zug, kein Traktor oder Mensch bewegt sich, der Bildschirm bleibt einfach arbeitsfrei. Der Reiz von Spielsimulatoren wird bewusst ad absurdum geführt. Ursprünglich startete das Projekt auf der Plattform Kickstarter, 70 Dollar hätten gespendet werden sollen, um den Nothing Simulator zu finanzieren. Am Ende waren es nur 40 Dollar, die Bowden bekam, doch das Spiel wurde trotz der Unterfinanzierung in die Realität umgesetzt.

Denn das Nichtvideospiel sollte dabei eine Kritik an den gegenwärtigen Spielsimulatoren äußern, in einem Gespräch mit Deutschlandfunk sagte Bowden damals: "Diese Witzsimulatoren bauen Leute wie ich. Prinzipiell mögen wir Simulationsspiele. Aber meistens enttäuschen sie uns, weil sie so unglaublich schlecht sind. Irgendwann haben wir uns gedacht: Ach, lass uns das veraschen! Hass war also eine Hauptmotivation."

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Serious Gaming

Die Aufzählung derartiger Spiele könnte noch endlos weitergeführt werden. Letzten Endes zeigt sich aber: Es ist vor allem der Faktor Spaß, der die Leute dazu animiert, Simulatoren zu spielen. Die Realität scheint derzeit schon verrückt genug zu sein, die Simulatoren bieten dabei Alltagsflucht ebenso wie eine Ergänzung des Bestehenden.

Zudem könnte die neue Beliebtheit von Simulatoren vielleicht auch dazu beitragen, dass im Moment Kinder und Jugendliche einen Simulator spielen, der zukünftig in der Realität zu ihrem Beruf wird. Das glaubt auch Dirk Ohle von Aerosoft. "Abschließend sollte der positive Nebeneffekt eines Serious-Simulations-Games nicht außer Acht gelassen werden," sagt er: "Vielleicht ergreifen junge Spielerinnen oder Spieler eines Feuerwehrspiels eines Tages selbst den Beruf des Lebensretters – inspiriert durch die Faszination für ein Simulationsspiel." (Florian Zsifkovics, 9.5.2021)