Lange Wartezeiten beim Zoll könnten durch digitale Lösungen vermieden werden. Zuvor gilt es aber noch, einige Hürden, die der Automatisierung im Weg stehen, zu meistern.

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Die medial kolportierten Lkw-Staus in Dover und Calais nach dem Brexit waren ein sichtbares Zeichen dafür, was mit dem Wegfall des freien Warenverkehrs zwischen der EU und Großbritannien verlorenging.

Auch wenn sich die Staus aufgelöst haben, der bürokratische Aufwand der Zollabwicklung bleibt. Für viele Unternehmen bedeutet das einen enormen Zuwachs an "Zettelwirtschaft", die entweder in einer eigenen Abteilung erledigt werden muss oder an einen Spediteur oder Zolldienstleister ausgelagert wird.

Erhöhte Nachfrage

Dem Start-up Digicust, das eine digitalisierte Zollabwicklung bieten will, hat der Brexit dagegen eine erhöhte Nachfrage gebracht. Das junge Unternehmen entwickelt digitale Services, mit deren Hilfe die Datenaufbereitung, Tarifierung – also die Ermittlung der richtigen Zolltarifnummern – und das Dokumentenmanagement automatisiert werden. Gründer Borisav Parmakovic arbeitete beim Logistikdienstleister DHL Express und absolvierte an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und der IMC FH Fachschule Krems Studien in den Bereichen Logistik und Digitalisierung.

Gleichzeitig mit seinem Masterstudium in Krems begann der Wiener an seiner Start-up-Idee zu arbeiten. 2020 gründete er mit Co-Gründer Matthias Pfeiler schließlich Digicust am Standort Schwechat.

Zwölf Mitarbeiter

Mittlerweile ist das Start-up auf zwölf Mitarbeiter angewachsen. Unterstützung kam unter anderem vom Creative-Pre-Inkubator-Programm an der IMC FH Krems, dem Inkubator-Programm Startport in Duisburg und dem Inkubator der Förderagentur Accent des Landes NÖ. Vom Austria Wirtschaftsservice (AWS) kamen Mittel über das Creative-Impact-Programm und eine Förderung für vertrauenswürdige künstliche Intelligenz.

"Grundsätzlich geht es um das Problem, dass man in der Zollabwicklung mit vielen unstrukturierten Daten konfrontiert ist. 80 Prozent der Unterlagen stehen nur als PDF-Datei zur Verfügung. Sie werden oft noch ausgedruckt und von einem Mitarbeiter verglichen und analysiert, bevor die Daten für die Zollanmeldung wieder per Hand eingetippt werden", skizziert Parmakovic. Die Systeme großer Unternehmen verfügen immerhin noch über eigene Schnittstellen für die Zolladministration.

Die Prozesse rund um die Zollabwicklung sollen nun durchgehend digitalisiert werden. Die Services von Digicust umfassen drei sogenannte virtuelle Roboter – autonom agierende Softwareprogramme, die über eine Webapplikation zugänglich sind. Als lernfähige, von künstlicher Intelligenz unterstützte Systeme passen sie sich dabei immer besser an die Erfordernisse des Kunden an.

Basis für die Digitalisierung

Roboter Dexter schafft zuerst die Basis für die Digitalisierung der Prozesse: Das Programm ist für die Datenextraktion aus Frachtbriefen, Rechnungen und Co zuständig und schafft so eine strukturierte Datengrundlage, auf der die automatisierten Prozesse aufbauen können, erläutert der Gründer.

Roboterkollege Taric geht dagegen die Tarifierung der Waren an. Jeder Position muss auf Basis einer komplexen rechtlichen Grundlage eine – je nach Land – bis zu 13-stellige Nummer zugeordnet werden.

Die Nomenklatur codiert nicht nur Zollsätze, sondern auch Beschränkungen, Ein- und Ausfuhrgenehmigungen und andere Besonderheiten. Als Kombination aus regelbasiertem System und Deep-Learning-Algorithmen soll Taric einerseits nachvollziehbare Ergebnisse liefern, andererseits aus Korrekturen lernen und zunehmend selbstständig arbeiten.

Zuletzt soll – das noch in Entwicklung befindliche – Serviceprogramm Neo die Zollabwicklung selbst samt einhergehendem Dokumentenmanagement übernehmen. Hier werden die Daten analysiert und bewertet: Es soll etwa eine Einschätzung abgegeben werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine vorliegende Angabe korrekt ist.

Fehlerhafte Unterlagen

Ein Grundproblem in der Zollabwicklung ist, dass viele der Dokumente, die aus China, den USA oder einem anderen Land kommen, fehlerhaft sind – Parmakovic spricht von bis zu 25 Prozent. Frachtbriefe, Rechnungen und andere Unterlagen müssen daher überprüft und bei Bedarf nachgefordert werden. Auch diese Aufgabe soll weitgehend automatisiert erfolgen. Gleichzeitig soll die tatsächliche Zollanmeldung generiert werden.

Zielgruppe der Services sind vor allem Speditionen und Zolldienstleister, wobei mache der Services auch für Großunternehmen interessant sein könnten, sagt Parmakovic. "Im Endeffekt wollen wir alle ansprechen, die in der Zollabwicklung beschäftigt sind." (Alois Pumhösel, 16.5.2021)