Emma Wiederhold verkörpert nicht nur die junge Ruth Klüger.

Foto: Alex Lazarov

Ihre Autobiografie markierte 1992 den Anfang vom eigenen Schreiben Ruth Klügers. 1931 als Tochter eines jüdischen Vaters in Wien geboren, wurde sie 1942 mit der Mutter deportiert, auf einem Todesmarsch gelang beiden die Flucht, 1947 emigrierten sie in die USA: Davon erzählt die bedeutende Germanistin in weiter leben. Makemake Produktionen machten es nun zum Ausgangspunkt einer Theaterarbeit. Geplante Uraufführung war vergangenen November, stattdessen läuft das Stück nun als Videoinstallation. Gezeigt werden die Filme Corona-konform je nur für einen Zuschauer an vier verschiedenen Schauplätzen zwischen dem koproduzierenden Odeon und dem Theater Nestroyhof Hamakom.

Sicher am originellsten ist der Wagen des Milieu-Kinos. Alireza Daryanavard schlüpft dort in ein Schneewittchen-Kostüm und in die Rolle der Autorin und erinnert sich an die Nazizeit, als es Juden in Wien verboten war, ins Kino zu gehen. Die junge Ruth will aber so gerne Schneewittchen sehen, und als sie hingeht, kommt sie ausgerechnet neben der Tochter eines strammen Nazis zu sitzen. Um solche Gefahr zu vermeiden, schleicht sie sich künftig in die Kinos der Innenstadt und schaut sich dort auch Propagandafilme an: "Man muss doch wissen, woran man ist."

Keine Telefonnummer

Erkenntnis- und Überlebenswille durchziehen den Text. Als Anne und Emma Wiederhold im Keller des Odeon von der Deportation im Viehwagon erzählen, schallt ein Pfeifen durchs Dunkel und gehen drei Lichter wie Zugscheinwerfer an (Ausstattung: Eva Grün und Mirjam Mercedes Salzer). Man soll ihnen folgen, sie führen nach Auschwitz.

Nicht durchgehend machen Sara Ostertag und Kathrin Herm (Regie) die zwei Stunden zu so einem theatralen Erlebnis. Auch im Kulturraum Spitzer gelingt dies: Liptauer sei "terriffic", jubelt Martin Hemmer und schmiert sich ein Brot. Er spielt Klüger, deren Sohn und Mutter. Was das für eine Nummer auf ihrem Arm sei, wird die kellnernde Immigrantin in New York gefragt. "My boyfriend’s", kontert sie. Die Schwierigkeiten des Fußfassens und spätere Stigmatisierung sind hier Thema.

Klüger hat für die Erinnerungskultur viel geleistet, sich auch feministische Lorbeeren verdient. Es ist eine feinfühlige und informative Hommage an die 2020 Verstorbene. (Michael Wurmitzer, 4.5.2021)