Mit einem Griff ans rechte Rad reißt Matthias Wastian seinen Rollstuhl herum, nach einer schnellen Drehung ist der Gegner düpiert, der Weg frei zum Korberfolg. Wastian ist einer der besten Rollstuhlbasketballer des Landes und quasi das Hirn der Sitting Bulls Klosterneuburg, "wobei das schon auf mehrere Köpfe verteilt ist", sagt der 37-jährige Kärntner. Wastian wurde mit einer Krankheit geboren, die in der Medizin Spina bifida genannt wird, einer Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks im Embryonalstadium. Seinen Sport beschreibt er als hart, aber spektakulär. Stühle kollidieren regelmäßig, dabei tuscht es nicht selten wie im Autodrom.

Maß der Dinge

In Österreich sind die Sitting Bulls das Maß aller Dinge, Ende April wurde mit einem Sieg im Finale gegen die Carinthian Broncos der neunte Staatsmeistertitel in Folge eingefahren. Vor zwei Jahren belegte man in der Euroleague 1, der zweithöchsten europäischen Spielklasse, den sensationellen sechsten Platz. "Wir gehören zu den besten 20 Mannschaften Europas, trotzdem ist unser Kader nicht sehr breit aufgestellt", sagt Andreas Zankl (60), zuständiger Fachwart im österreichischen Behindertensportverband, Assistent-Coach des Nationalteams und Spielertrainer der Sitting Bulls, einer der fünf Vereine, die heuer Österreichs Bundesliga bildeten.

Die Sitting Bulls aus Klosterneuburg sind in der Rollstuhlbasketball-Liga nicht zu biegen und zeigen auch international auf.
Foto: Sitting Bulls/Astrid Berger

"Es ist harte Arbeit, junge Menschen mit Behinderung über den Sport ins Leben zurückzuholen. Leider ist der Rollstuhl noch immer ein Stigma. Amputierte wollen sich oft nicht einmal nur für das Training hineinsetzen, obwohl sie, hart gesagt, nie wieder laufen werden", sagt Zankl, der als Sportlehrer am AUVA-Rehabilitationszentrum Weißer Hof in Klosterneuburg arbeitet.

In Österreich treiben etwa die Hälfte der Menschen mit Behinderung keinen Sport, dabei gibt es Angebote. Rollstuhlbasketball spielt am Tag der Inklusion eine wichtige Rolle. Auch Fußgänger dürfen mitmachen, ein Grund, warum Rollstuhlbasketball innerhalb des paralympischen Programms zu den Kernsportarten gehört, mit Profiligen etwa in Deutschland oder den USA.

Hirn auf und abseits des Parketts: Matthias Wastian.
Foto: Sitting Bulls/Astrid Berger

Ungleiche Gleiche

Das ist nicht unfair, weil die Spieler nach dem Grad ihrer Behinderung mit Punkten von 1 bis 4,5 bewertet werden. Zankl ist als Nichtbehinderter mit 4,5 klassifiziert, ein Einser wäre ein Spieler mit hoher Querschnittlähmung. Die fünf jeweils eingesetzten Spieler dürfen gemeinsam maximal 14 Punkte aufweisen. Das System sorgt also für Gleichheit unter Ungleichen. Das Spiel ähnelt dem klassischen Basketball mit Ausnahme der Schrittregel. Zweimal darf der Rollstuhl mit der Hand angetaucht werden, dann muss der Ball den Boden berühren. Der Korb hängt natürlich auch auf 3,05 Metern Höhe und ein Freiwurf (vier Meter Entfernung) aus dem Rollstuhl heraus ist so anstrengend wie ein Dreipunktewurf (sieben Meter) aus dem Stehen.

Spielertrainer und "Sparmeister": Andreas Zankl.
Foto: Sitting Bulls/Astrid Berger

Ab 24. August sollen die Paralympics in Tokio stattfinden, freilich ohne Österreich. Für Zankl ist der Rollstuhlbewerb eine "andere Welt, die wir nie erreichen können". Auch dort gibt es Stars. Patrick Anderson ist der Michael Jordan des Rollstuhlbasketballs. Der mittlerweile 41-jährige, dem als Neunjähriger nach der Irrfahrt eines Betrunkenen beide Beine amputiert wurden, führte Kanada 2000, 2004 und 2012 zu paralympischem Gold. In Tokio will er ein letztes Mal angreifen.

Österreich hat kleinere Ziele, allen voran der Wiederaufstieg in die A-Gruppe bei der B-EM im Sommer in Athen. Auf Klubebene wollen die Sittingbulls nach der Absage des heurigen Europacups wieder angreifen. Ein Turnier kostet Zankl 10.000 Euro, "mit zwei Turnieren ist unser Budget aufgebraucht". Profi ist beim Serienmeister niemand, Legionäre bekommen aber Taschengeld und Fahrtkosten. Zankl hat den Verein 1988 gegründet, gibt seit 33 Jahren den Spielertrainer und "Sparmeister".

Mit der geplanten Umsiedlung des Rehazentrums vom Weißen Hof nach Wien-Meidling im Jahr 2026 schwebt ein Damoklesschwert über den Sitting Bulls. Zankl: "Das eine ist eine Idylle, das andere ein Betonbunker ohne Infrastruktur. Wir haben am weißen Hof gute Trainingsbedingungen, sogar eine Wurfmaschine in der Halle. Noch ist das im Detail nicht entschieden." Matthias Wastian füllt sich noch topfit und ist auch abseits des Parketts gefordert, arbeitet als technischer Mathematiker für den Simulationsexperten Niki Popper: "Ich suche immer nach Lösungen." (Florian Vetter, 5.5.2021)