Der Künstler Victor Ehikhamenor ist im Vorstand des Legacy Restoration Trust, jener Stiftung, die gegründet wurde, um Kunstrückgaben nach Nigeria abzuwickeln.

Victor Ehikhamenor Studios

Der nigerianische Künstler Victor Ehikhamenor ist Vorstandsmitglied der Stiftung, die restituiertes Raubgut aus dem Königreich Benin verwalten soll. Im Interview spricht er über die Fortschritte, die in der Debatte gemacht wurden, und das geplante "Museum für westafrikanische Kunst".

STANDARD: Die jüngst getroffene Entscheidung der deutschen Regierung, mit der Rückgabe der sogenannten Benin-Bronzen zu beginnen, überraschte viele. Wie haben Sie darauf reagiert?

Ehikhamenor: Es war großartig zu hören, dass endlich ein Land zurechtrücken will, was falsch gemacht wurde. Deutschland ist der erste Staat, der sich dazu durchgerungen hat.

STANDARD: In der Erklärung der Bundesregierung wird allerdings nicht von der Rückgabe aller, sondern nur eines "substanziellen Teils" der rund 1.100 in Deutschland befindlichen Benin-Bronzen gesprochen.

Ehikhamenor: Ich kenne die Erklärung nicht im Wortlaut und gehe davon aus, dass die Details zwischen der deutschen und der nigerianischen Regierung geregelt werden. Aber der Sinn der Rückerstattung kann ja nicht sein, dass die Deutschen sagen: "Wir geben ein paar Kunstwerke zurück und behalten den Rest." Das wäre keine Wiedergutmachung. Was auch immer passiert, geschieht jetzt nach unseren Bestimmungen und nicht mehr nach denen der Deutschen.

STANDARD: In der deutschen Erklärung wird ausdrücklich der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass einige der Benin-Bronzen in Deutschland bleiben werden.

Ehikhamenor: Das können sie gern hoffen. Wir müssen uns aber vergegenwärtigen, um was es grundsätzlich geht. Die Frage ist, ob Nigeria wirklich unabhängig geworden ist und welchen Einfluss die ehemaligen Kolonialmächte noch auf unsere Besitztümer haben. Welchen Griff hat Großbritannien noch auf Nigeria, welchen Deutschland oder Frankreich auf deren ehemaligen Kolonialgebiete? Wir sind zur der Übereinstimmung gekommen, dass diese Kunstwerke gestohlen wurden. Jetzt geht es darum, sie zurückzugeben. Dabei können die ehemaligen Kolonialnationen keine Bedingungen formulieren. Deutschland kann also nicht einfach sagen: Wir geben Nummer eins, zwei und drei zurück und behalten Nummer vier, fünf und sechs. Vielleicht können wir das vorschlagen, aber gewiss nicht die Deutschen.

STANDARD: In Deutschland sagen manche: "Wir haben die Kunstwerke käuflich erworben. Es waren britische Soldaten, die sie 1892 in Benin-Stadt geplündert haben."

Ehikhamenor: Wenn man gestohlenes Gut erwirbt, ist das ein Vergehen: Das gilt so gut wie überall auch heute noch. Wer Hehlerware erwirbt, kann nicht über deren Zukunft entscheiden, er muss sie zurückgeben. Die deutschen Museen wussten von Anfang an, dass sie gestohlene Kunstwerke kauften. Und sie haben Jahrzehnte lang davon profitiert. Sie haben kein Recht, Teile davon zu behalten.

STANDARD: Wer führt denn auf nigerianischer Seite die Gespräche mit Deutschland – die Regierung oder der Legacy Restitution Trust, dem Sie als Vorstandsmitglied angehören?

Ehikhamenor: Die Europäer haben sich immer darüber beschwert, dass sie nicht wüssten, mit wem sie in Nigeria sprechen sollten. Deshalb haben wir den Trust gegründet. Ihm gehören sowohl Vertreter der Zentral- und der Provinzregierung an wie Repräsentanten des Königshauses von Benin und unabhängige Künstler wie ich. Ich gehe davon aus, dass die Vertreter unserer Regierung die Gespräche mit der deutschen Seite führen werden, aber wir ziehen da an einem Strang.

STANDARD: Es gibt also keine Unstimmigkeiten darüber, wo die zurückgegebenen Artefakte schließlich hinkommen?

Ehikhamenor: Nein, das steht fest. Sie werden auf jeden Fall in das Edo Museum of West African Art in Benin-Stadt kommen.

STANDARD: Das Museum ist aber noch nicht gebaut. In Deutschland wird argumentiert, dass die Kunstwerke in Nigeria womöglich nicht angemessen aufbewahrt und behandelt werden.

Ehikhamenor: Wissen Sie, wie alt diese Kunstwerke sind? Sie wurden zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert geschaffen. Das heißt, sie überlebten bereits mehrere Hundert Jahre im heutigen Nigeria, bevor sie von den britischen Soldaten gestohlen wurden. Wer hat damals auf sie aufgepasst? Gewiss waren ihre Aufbewahrungsorte nicht vollklimatisiert wie heute in Europa. Aber die Artefakte wurden geschaffen, um Wind und tropisches Wetter zu überstehen. Vielleicht nicht das kalte und feuchte europäische Klima, in dem sie trocken und warm gehalten werden müssen.

STANDARD: Wann wird das Edo Museum of West African Art fertig sein?

Ehikhamenor: Ein Museum baut man nicht wie einen Kiosk. Es ist ein komplizierter Vorgang. Wir werden zuerst den Pavillon errichten, der die Benin-Bronzen aus Deutschland aufnehmen wird. Das ganze Museum soll 2025 fertig sein.

STANDARD: Befindet sich der Bau im Zeitplan?

Ehikhamenor: Ja. Er wurde lediglich durch die Corona-Pandemie etwas verzögert.

STANDARD: Wird sich Deutschland an der Finanzierung des Museums beteiligen?

Ehikhamenor: Ich denke ja. Vor allem an dem ersten Pavillon. Aber ich kenne die Einzelheiten nicht.

STANDARD: Offenbar will sich auch das British Museum an der Finanzierung des Edo-Museums beteiligen. Ist Nigeria nicht reich genug, sein eigenes Museum zu finanzieren? Würde das in diesem Fall nicht auch der Stolz gebieten?

Ehikhamenor: Das British Museum will sich vor allem an den Ausgrabungen um das künftige Museum herum beteiligen. Das ist ein riesiges Gelände, auf dem sich einst der Hof des Königs von Benin befand. Da gibt es sehr viel zu tun. Was die Bereitschaft der nigerianischen Regierung zur Finanzierung betrifft: Ich kann nicht für diese sprechen. Sie muss selbst entscheiden, was sie für wichtig hält.

STANDARD: Das British Museum, in dessen Besitz sich mehr als 900 Benin-Bronzen befinden, ist noch sehr zögerlich, sie zurückzugeben. Erwarten Sie von der deutschen Entscheidung jetzt eine Art Dammbruch?

Ehikhamenor: Ja. Dem British Museum ist es offenbar per Gesetz verboten, Kunstwerke zu verkaufen oder zurückzugeben. Wir werden unsere Forderungen jedoch aufrechterhalten, bis dieses Gesetz endlich verändert wird.

STANDARD: Rechnen Sie damit, dass spätestens in zehn Jahren alle aus Afrika gestohlenen Kunstwerke zurückgegeben worden sind?

Ehikhamenor: Ich denke schon. Unsere seit Jahrzehnten erhobenen Forderungen haben jetzt eine Dynamik angenommen, der niemand widerstehen kann.

STANDARD: Das neue Museum soll "Museum für westafrikanische Kunst" heißen. Sind Nigerias Nachbarstaaten damit einverstanden, dass Sie den gesamten Subkontinent vereinnahmen? Gibt es da keine Eifersüchteleien?

Ehikhamenor: Nein, nein. Die Trennung Westafrikas in einzelne Staaten haben ja erst die Kolonialisten vollzogen. Zuvor lebten wir zusammen, haben uns gegenseitig beeinflusst und inspiriert. Wir wollen genau dorthin zurückkehren: Wir wollen sehen, wie heute in Kamerun, im Senegal oder in der Elfenbeinküste gearbeitet wird, und die Zusammenhänge feststellen. Wir sprechen dieselbe kreative Sprache. Wir wollen einen Ort schaffen, an dem die Unterhaltung stattfinden kann. Wir werden nicht in unsere Nachbarländer gehen und deren Kunstwerke klauen. (Johannes Dieterich, 5.5.2021)