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Joe Manchin kurz nach seinem Wahltriumph 2018.

Foto: Reuters/Joshua Roberts

Meldet Joe Manchin Widerspruch an, greift er gelegentlich zu drastischen Mitteln. Als er zum ersten Mal für den US-Senat kandidierte, wollte er den Bürgern West Virginias beweisen, dass längst nicht alles, woran seine demokratischen Parteifreunde in Washington arbeiteten, seine Zustimmung fand. Für ein Wahlkampfvideo stellte er sich auf eine Lichtung im Wald, legte eine Patrone in den Lauf einer Schrotflinte und zielte auf ein Blatt Papier, das er zuvor an ein Brett genagelt hatte. Es handelte sich um die erste Seite eines Gesetzentwurfs, mit dessen Hilfe die Treibhausgasemissionen von Kohlekraftwerken begrenzt werden sollten. Manchin, damals Gouverneur des Kohlestaats West Virginia, nahm die "Cap and Trade Bill" buchstäblich ins Visier, bevor sie im Parlament scheiterte.

Kurz darauf, im November 2010, wurde er tatsächlich zum Senator gewählt. In dem Amt hat er sich bis heute behauptet, was an ein politisches Wunder grenzt. Denn im Laufe der letzten zwei Dekaden hat sich West Virginia von einer Hochburg der Demokraten zu einer Bastion der Republikaner gewandelt.

Donald Trump, der eine Renaissance der Kohleförderung beschwor, siegte dort zweimal in Folge, gegen Hillary Clinton mit 42 Prozentpunkten Vorsprung, gegen Joe Biden fast ebenso klar. Über Trump wiederum sagte Manchin, der Mann habe ihm besser zugehört als dessen Vorgänger Barack Obama. In seinem Bundesstaat hat es ihm, zurückhaltend formuliert, nicht geschadet. Und in der Hauptstadt hat er den Zenit seiner Macht erreicht.

Dringend benötigte Stimme

Letzteres liegt an der fragilen Kräftebalance in der Senatskammer. Dort halten sich 50 Demokraten und 50 Republikaner die Waage. Faktisch bilden die Demokraten die Mehrheit, weil die Vizepräsidentin Kamala Harris ein Patt gemäß Verfassung mit ihrem Votum auflösen kann. Das funktioniert allerdings nur, solange in der Fraktion keiner aus der Reihe tanzt. Weil aber Manchin jederzeit zuzutrauen ist, dass er eigene Wege geht, versucht ihn die Spitze seiner Partei um nahezu jeden Preis bei der Stange zu halten.

Um seinen Einfluss zu illustrieren, behaupten Spötter, notfalls würde das Weiße Haus sogar den Weltraumbahnhof von Cape Canaveral nach West Virginia verlegen, damit er zufrieden sei. Joe Manchin, der König des Senats. So nennen sie ihn neuerdings.

De facto entscheidet der kantige 73-Jährige darüber, ob die beiden Billionenpakete, mit denen Biden die Infrastruktur modernisieren, die Kinderbetreuung verbessern und Mittelschichtfamilien finanziell entlasten will, Gesetzeskraft erlangen, in den Schubladen verschwinden oder aber stark verwässert werden.

Ein Zentrist alter Schule

Manchin war Kleinunternehmer, bevor er in die Politik ging. Einst unterbrach er sein Studium, um seinem Vater nach einem Brand beim Wiederaufbau eines Möbelgeschäfts zu helfen. Er ist Abtreibungsgegner und stemmt sich gegen ein Verbot des Verkaufs von Sturmgewehren, das Biden auf die Tagesordnung setzte. 2018 war er der einzige Demokrat, der Brett Kavanaugh, Trumps umstrittenen Kandidaten fürs Oberste Gericht, beim Bestätigungsverfahren im Senat grünes Licht gab. Ansonsten versteht er sich als Zentrist alter Schule, vom linken Flügel um Alexandria Ocasio-Cortez, Elizabeth Warren und den nominell unabhängigen Bernie Sanders trennen ihn Welten.

Angesichts des kräftigen Linksrucks, der nach der Wahl Trumps durch die Reihen der Demokraten ging und der nun auch den lange in der Mitte positionierten Biden erfasst hat, wirkt er bisweilen wie ein Relikt aus alten Zeiten. Es ändert nichts daran, dass ihn seine Partei braucht, will sie in der Legislative Nägel mit Köpfen machen. Und dass sie Kompromisse anstreben muss.

Brücken bauen

Manchin hat die Erwartungen bereits gedämpft. Er fühle sich unwohl angesichts der gewaltigen Staatsausgaben, die das Weiße Haus anpeile, sagt er. Im April ermahnte er seine Fraktion, Brücken ans Ufer der Konservativen zu bauen. Die Republikaner wiederum müssten aufhören, ständig Nein zu sagen. Einige seiner Parteifreunde erklärten ihn daraufhin zu einem Träumer. Die "Grand Old Party", bekam Manchin zu hören, praktiziere unter Biden genau das, was sie schon unter Obama praktiziert habe: Totalopposition. (Frank Herrmann aus Washington, 6.5.2021)