Tschechiens Präsident Miloš Zeman polarisiert. Vielen Landsleuten gilt er als verlängerter Arm Russlands. Ende April demonstrierten in Prag Tausende gegen seine Zurückhaltung in der Causa Vrbětice.

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Was Mitte April als diplomatischer Konflikt zwischen Prag und Moskau begonnen hat, wird immer mehr auch zum Thema der tschechischen Innenpolitik: Vor knapp drei Wochen hatten Tschechiens Premier Andrej Babiš und Innenminister Jan Hamáček auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von brisanten Geheimdienstinformationen berichtet.

Diese brachten russische Agenten mit zwei Explosionen in einem Munitionsdepot im südmährischen Vrbětice in Verbindung, bei denen 2014 zwei Menschen ums Leben gekommen waren. Moskau bestreitet die Vorwürfe, beide Seiten haben wechselseitig Botschaftsangehörige ausgewiesen.

Ausgestanden ist die Affäre damit aber noch lange nicht – schon deshalb, weil sie in Prag nach wie vor hohe Wellen schlägt. Zuletzt kam Innenminister Hamáček unter Druck, der im April, als die Causa öffentlich wurde, interimistisch auch das Außenministerium leitete. Unmittelbar vorher hatte es Spekulationen rund um eine geplante Moskau-Reise Hamáčeks gegeben, die dann gleichsam in letzter Minute abgesagt wurde. Die Begründung von Premier Babiš, dass Hamáček bei einer Routinesitzung des Kabinetts unabkömmlich sei, überzeugte damals kaum jemanden im Land.

Umstrittenes Treffen

Als nur Stunden später die Sabotagevorwürfe gegen Russland laut wurden, lag ein Kontext mit der abgesagten Visite, bei der es auch um den möglichen Ankauf des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V hätte gehen sollen, natürlich auf der Hand. Die Details blieben jedoch weiter undurchsichtig. Entsprechend groß ist nun die Aufregung, seit zu Wochenbeginn das Online-Nachrichtenmagazin "Seznam Zprávy" neue Vorwürfe veröffentlichte. Hamáček soll laut dem Bericht auf einer Besprechung mit Spitzenvertretern von Geheimdiensten, Polizei und Staatsanwaltschaft in Erwägung gezogen haben, die Causa zu vertuschen und dafür Gegenleistungen von Russland zu verlangen. Genannt wurde dabei die Lieferung von einer Million Sputnik-Dosen.

Den Vorwurf weist Hamáček allerdings entschieden zurück. Der Artikel habe ihn "geschockt", er sei "voller Lügen und Spekulationen", sagte der Sozialdemokrat – und sprach vom bisher "wohl schwierigsten Augenblick in meinem Leben". Selbstverständlich sei es nötig gewesen, geplante Schritte wie etwa die Ausweisung russischer Diplomaten mit Vertretern der betroffenen Einrichtungen vorab zu koordinieren. Dabei habe er aber ausschließlich das Interesse Tschechiens im Blick gehabt, so Hamáček.

Die Geheimdienste hätten zudem über Informationen verfügt, denen zufolge auch Medien bereits Wind von der angeblichen Rolle Russlands bei den Explosionen bekommen hatten. Eine Vertuschung der Causa auch nur in Erwägung zu ziehen hätte somit gar keinen Sinn gehabt. Wie die Informationen vorab an Medien durchgesickert sein sollen, war am Mittwoch laut Auskunft von Abgeordneten auch Gegenstand einer Sitzung des Parlaments, an der ein hochrangiger Geheimdienstvertreter teilnahm. Auch wenn aus ihr nicht viel Neues durchsickerte und sich Geheimdienste im Bezug auf laufende Causen generell zugeknöpft geben: Allein dass die Sitzung ohne Gegenwart von Kameras und Mobiltelefonen sowie ohne die sonst üblichen stenografischen Protokolle stattgefunden haben soll, sorgte für einiges Aufsehen.

Klage gegen Journalisten

Das gerichtliche Nachspiel dieser jüngsten Wendung in dem Fall hat eben erst begonnen. Hamáček will die Autoren des Artikels sowie den Herausgeber des Onlineportals klagen und verlangt zehn Millionen Kronen (umgerechnet knapp 390.000 Euro) Schadenersatz. Das Geld möchte er einer Stiftung für Hinterbliebene von Polizei- und Feuerwehrangehörigen widmen, die im Dienst getötet wurden.

In einer anderen Sache hat die Polizei ihre Untersuchungen hingegen beendet: Dass wenige Tage nach den brisanten Enthüllungen in riesigen blauen Lettern das Wort "Hochverrat" auf die Prager Burg projiziert wurde, den Amtssitz von Präsident Miloš Zeman, sei "weder eine Straftat noch ein Vergehen", erklärte ein Polizeisprecher am Dienstag. Viele hatten den als Russland-freundlich geltenden Zeman kritisiert, weil dieser sich zunächst gar nicht zu den Anschuldigungen gegen Moskau geäußert und diese später zugunsten des Kremls hinuntergespielt habe. Ende April waren in Prag deshalb tausende Menschen auf die Straße gegangen.

Hilfsangebot aus Wien

Die tschechischen Sabotagevorwürfe gegen Russland waren am Donnerstag auch Thema beim Besuch von Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg in Prag. Nach der wechselseitigen Ausweisung russischer und tschechischer Diplomaten bot Schallenberg seinem Amtskollegen Jakub Kulhánek Unterstützung durch die österreichische Botschaft in Moskau an. Zu einer eventuellen Ausweisung russischer Diplomaten aus Österreich äußerte sich Schallenberg jedoch zurückhaltend und plädierte für ein einheitliches Vorgehen der EU. Die Slowakei und einige andere Staaten hatten zuvor aus Solidarität mit Prag russische Diplomaten ausgewiesen.

Die Aufregung um die Affäre wird in Tschechien auch im Zusammenhang mit den Anfang Oktober bevorstehenden Parlamentswahlen gesehen: Hamáček wertet die jüngsten Anschuldigungen als Versuch, seinen Sozialdemokraten (ČSSD) zu schaden. Die ČSSD ist der kleine Koalitionspartner der liberal-populistischen Partei Ano von Premier Andrej Babiš und muss Umfragen zufolge um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Die liberal-konservative Opposition fordert insgesamt eine harte Gangart gegen Moskau und übt scharfe Kritik an Präsident Zeman – anders als Kommunisten und Rechtsextreme, die Zeman traditionell freundlicher gegenüberstehen.

Der Wahlkampf hat also sein erstes großes Thema abseits von Corona. Dass es dabei um das emotional aufgeladene Verhältnis zu Russland geht, lässt eine heftige und langwierige Debatte erwarten.

Für all jene, die lieber Sozialpolitik oder die von der Pandemie geplagte Wirtschaft auf die Agenda setzen würden, ist das keine gute Nachricht. (Gerald Schubert, 6.5.2021)