Polizeibeamte am Tatort. Der Fall einer getöteten Mutter und ihrer Tochter in Salzburg ist mutmaßlich der zehnte und elfte Femizid in diesem Jahr. Er folgt damit einer traurigen statistischen Regelmäßigkeit.

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Ein 51-Jähriger Salzburger hat in Wals-Siezenheim im Salzburger Flachgau in der Nacht auf Donnerstag seine ehemalige Lebensgefährtin (50) und ihre Mutter (76) erschossen. Kurz vor Mitternacht soll der Salzburger seine Ex-Partnerin aufgesucht haben. Dabei kam es zum Streit. Die Nachbarn verständigten die Polizei, danach hörten sie Schüssen und sahen, wie der Mann flüchtete. Die alarmierten Polizisten entdeckten die beiden toten Frauen im Eingangsbereich des Hauses.

Der Beschuldigte gestand die Tat in der Nacht noch einer Bekannten via Sprachnachricht und kündigte seinen Suizid an. Kurze Zeit später meldete er sich bei der Polizei und erklärte ebenfalls, er wolle sich das Leben nehmen. Die Beamten versuchten den Mann zur Aufgabe zu überreden. Um 4.30 Uhr stellte sich der 51-Jährige schließlich auf einem Campingplatz in Abersee der Polizei. Zwei Schusswaffen, die der Mann, der als Privatdetektiv gearbeitet hatte, legal besaß, wurden sichergestellt. Am Donnerstagnachmittag hat der Verdächtige ein Geständnis abgelegt, zum Motiv hat er keine Angaben gemacht.

Es sind mutmaßlich der zehnte und elfte Femizid in diesem Jahr in Österreich. Rein statistisch wurden in Österreich im gesamten Jahr 2020 0,6 Frauen pro Woche ermordet – es war, verglichen zu den Jahren davor, ein Jahr mit wenigen Femiziden. Durch die jüngsten Taten ist – ignoriert man, dass es noch keine Mordurteile gibt – dieser Schnitt nun auch heuer erreicht.

Negativbeispiel Österreich

Österreich ist – betrachtet man die aktuellsten Zahlen zu Morden und Tötungen, die von 2017 stammen – das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen umgebracht wurden als Männer (siehe Grafik). Zu Morden gibt es Zahlen von 2018, da ist Österreich eines von drei Ländern mit einem derartigen Verhältnis. In den allerwenigsten Jahren war das Verhältnis hierzulande umgekehrt. Das liegt freilich auch daran, dass in Österreich im internationalen Vergleich sehr wenige Morde passieren.

Die Linzer Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner erklärt das so: "Wir haben eine geringe Zahl an männlichen Opfern, weil Männer meist in kriminellen Subkulturen und eskalierenden Streiten getötet werden." Nun gebe es in Österreich wenig Bandenkriminalität und keine Tradition, Waffen mitzuführen, wenn sich "die Männer im Wirtshaus ansaufen". Kastner sagt: "Wir sind ein relativ sicheres Land, was das betrifft. Für Frauen sind wir nicht so sicher, weil sie in über 90 Prozent der Fälle in Beziehungskonstellationen getötet werden." Die Rollenbilder, die dahinterstehen, würden das ermöglichen.

Provozieren diese Taten Nachahmer?

Doch die jüngste Häufung wirft die Frage auf: Kommt es etwa auch bei Femiziden zu Nachahmungstaten? Geht es etwa um Terror oder Suizid, herrschen unter Journalistinnen und Journalisten strenge ethische Regeln: Es gilt, niemanden in der Leserinnenschaft zu derartigen Taten anzuspornen. Geht es um Suizid, spricht man dabei vom Werther-Effekt. Er ist der Grund dafür, warum nur in den allerseltensten Fällen von Suizid in der Zeitung zu lesen ist. Forschungen legen nahe, dass die Suizidrate bei intensiverer Berichterstattung ansteigen würde.

Ob dem auch bei Femiziden so ist, dazu gibt es laut Jörg Matthes vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien nur wenig Forschung. "Ich glaube aber nicht, dass das so ist", sagt Matthes. Terroranschläge und Suizide seien auf gewisse Weise "kommunikative Akte", beide hätten als gemeinsames Merkmal das Streben nach Aufmerksamkeit – wenn auch im Falle des Suizids auf einer abstrakteren Ebene als bei einer Terror- oder Amoktat. "Bei Femiziden ist das anders", sagt Matthes, denn das seien meist Taten, die im privaten Umfeld geschehen.

Matthes warnt allerdings bei der Berichterstattung über Femizide vor einer "umgedrehten Stereotypisierung". Wichtig sei zu differenzieren und nicht ein Bild zu vermitteln, dem zufolge alle Männer gewalttätig seien – denn das könnte erst recht Gewalt provozieren. Auch Psychiaterin Kastner geht nicht davon aus, dass bei einer derart schwerwiegenden Tat ein Nachahmungseffekt bestehe. Sie warnt auch davor, damit eine Erklärungsschiene einzuführen, die ein Mittel sein könnte, um die aktuelle Diskussion über Frauenmorde abzudrehen.

Wegweisungen in acht von 18 Fällen

Immer wieder ist bei Frauentötungen Thema, ob diese nicht hätten verhindert werden können – durch Anzeigen, Wegweisungen oder andere Schritte. Bei den Tötungen in diesem Jahr war bei einem Fall ein Betretungsverbot aufrecht. In einem anderen Fall wollten die Beamtinnen und Beamten ein solches aussprechen, nachdem ein 29-jähriger Mann seine Freundin geschlagen hatte. Sie konnten den Mann aber nicht finden, dieser gelangte noch in der gleichen Nacht zu seiner Freundin und tötete sie, wie er später den Nachbarn erzählt haben soll.

Genaue Zahlen dazu gibt es für den Zeitraum zwischen Jänner 2018 und Jänner 2019. Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien hat sich für eine ausführliche Untersuchung von Frauentötungen die Wegweisungen angesehen. Eine Wegweisung gilt zunächst für zwei Wochen, derjenige, gegen den sie ausgesprochen wird, muss die gemeinsame Wohnung verlassen. Vor Gericht kann dann eine einstweilige Verfügung beantragt werden.

Von 18 Frauenmorden gab es demnach laut der Untersuchung in zehn Fällen keine Wegweisung, in acht Fällen eine oder mehrere. In zwei Fällen war zum Tatzeitpunkt eine Wegweisung aufrecht, in drei Fällen wurde sie erst ungefähr einen Monat vor der Tat ausgesprochen.

"Vorfall" auch im Vorfeld der Causa Bierwirt

In jenem Fall, wo der als Bierwirt bekannte Albert L. seine Ex-Partnerin erschossen haben soll, ist nun bekannt geworden, dass es etwa eine Woche vor der Tat schon einen "anderen schweren Vorfall" gab, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien dem STANDARD bestätigt. Allerdings sei nicht das spätere Opfer bedroht gewesen, "es geht um jemanden aus dem näheren Umfeld". Zu einer Anzeige kam es aber nicht. Ob auch der nun tatverdächtige Salzburger schon gewalttätig gegenüber Frauen wurde, werde derzeit noch überprüft, erklärte ein Polizeisprecher auf STANDARD-Nachfrage. (Lara Hagen, Stefanie Ruep, Gabriele Scherndl, 6.5.2021)