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Militärhubschrauber fliegen über die Moskauer Basilius-Kathedrale als Generalprobe für die Feierlichkeiten am 9. Mai, dem Tag des Sieges über Hitlers Deutsches Reich. Auch das Militär ist Teil der Silowiki.

Foto: AP Photo/Pavel Golovkin

Nikita Gorpun wurde als Funker einberufen. An der Berufsschule hat er gerade eine Ausbildung als Fernmeldetechniker abgeschlossen. Das nächste Jahr wird er im westrussischen Kursk abdienen. "Der Dienst in der Armee härtet den Charakter", sagt Nikita artig in die Kamera des russischen Staatsfernsehens.

Nikita ist einer von 122.000 Rekruten, die dieser Tage einberufen wurden. Zweimal im Jahr – im Frühjahr und im Herbst – ziehen die Streitkräfte neue Wehrpflichtige ein. Dabei machen die 250.000 Wehrpflichtigen nicht mehr das Gros der Soldaten aus.

Denn zugleich gibt es inzwischen rund 430.000 Zeitsoldaten. Dazu kommen laut dem Militärexperten Viktor Murachowski noch etwa 200.000 Offiziere und gut 50.000 Mitschmany und Praporschtschiki (entspricht dem Spieß). Insgesamt also rund 900.000 Uniformierte (plus ebenso viele Zivilangestellte). Verteidigungsminister Sergej Schoigu ist damit einer der mächtigsten Männer in Russland. Es ist kein Zufall, dass bei den Spekulationen über einen möglichen Nachfolger Wladimir Putins auch immer wieder sein Name fiel.

Wachsende Bedeutung

Das Militär ist Teil der Silowiki. Der vom Wort Sila, Kraft, abgeleitete Begriff steht für die Sicherheitsorgane, eine neue Kaste, die politisch und wirtschaftlich immer einflussreicher in Russland wird. Dabei ist das Militär inzwischen zahlenmäßig schwächer als die Sicherheitskräfte im Inneren. So sind von den rund 900.000 Bediensteten des Innenministeriums mehr als 750.000 Polizisten. Im Kampf gegen die Opposition kommen vor allem die Antiterroreinheit und mobile Regimenter aus der "Hauptverwaltung für die Überwachung der öffentlichen Ordnung" zum Einsatz.

Konkurrenz bekommt die Einheit dabei von der seit 2016 aufgebauten Nationalgarde. Dieses 400.000 Mann starke Korps ist aus den ehemaligen Truppen des Innenministeriums hervorgegangen, inzwischen aber eigenständig und Putins ehemaligem Leibwächter Viktor Solotow unterstellt.

Die Nationalgarde diene dem Kampf gegen die "fünfte Kolonne" und ähnliche "revolutionäre Gärungen", erklärte Alexander Maul, ein hoher Beamter der Truppe. Eine Sonderstellung innerhalb der Nationalgarde nehmen die sogenannten Kadyrowzy ein, eine tschetschenische Spezialeinheit, die zwar offiziell zur Nationalgarde zählt, aber als Leibwache für Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow dient. Unterstützung oder Konkurrenz bekommen beide Einheiten von den staatlich finanzierten Kosakenverbänden, die ebenfalls bis zu 750.000 Mann aufbringen.

Unabhängig von der Polizei gibt es 55.000 Gerichtsvollzieher und bei der von Ex-Geheimdienstoffizier Alexander Kalaschnikow geführten Gefängnisbehörde FSIN 210.000 Justizvollzugsbeamte. Auch der militärisch organisierte Katastrophenschutz mit seinen offiziell fast 290.000 Mann, der Zoll (50.000) und der Feldkurierdienst (4000) werden von Ex-Geheimdienstlern geleitet.

Daraus wird die dominierende Stellung der Geheimdienste ersichtlich, die untereinander aber ebenfalls in Konkurrenz stehen. Der FSO (50.000) ist nicht nur für den Schutz von strategischen Objekten und hochrangigen Personen, sondern auch für die Überwachung von Internet und Telefonen verantwortlich. Um die Kompetenz in der Auslandsspionage streiten der SWR und der dem Generalstab unterstellte GU (früher GRU). Im Inland hingegen ist der FSB tonangebend. Die Mitarbeiterzahlen dieser Agenturen werden öffentlich nicht genannt, belaufen sich aber wohl auf rund 220.000.

Kampf ums Geld

Der FSB greift dabei teilweise auch in die Kompetenzen der Generalstaatsanwaltschaft (30.000) ein, die ihrerseits schon vom Ermittlungskomitee (20.000), einer von Putin für seinen Studienfreund Alexander Bastrykin gegründeten FBI-ähnlichen Behörde, beschnitten werden. Der Kompetenzkampf ist hart, er bedeutet auch Geldzuflüsse.

Insgesamt kann der Kreml 3,7 Millionen Silowiki unter Waffen stellen. Der Pro-Kopf-Anteil der Silowiki ist damit einer der höchsten weltweit. Die Ausgaben sind es noch mehr. Über ein Viertel des Etats geht für Verteidigung, Sicherheit und öffentliche Ordnung weg. Umgerechnet investiert der Kreml in seine Silowiki heuer mehr als 60 Milliarden Euro.

Rekrut Nikita bekommt mit seinem Monatssold von 22 Euro davon aber nur einen winzigen Bruchteil. (André Ballin aus Moskau, 6.5.2021)