Früher war die Annenstraße in Graz eine so beliebte Einkaufsstraße, dass sie sogar im Brettspielklassiker DKT verewigt wurde. Die Zeiten haben sich geändert. Wo einst familiengeführte Geschäfte den Erdgeschoßen Leben einhauchten, stehen heute viele Flächen leer. In manch andere haben sich Billigläden eingemietet. Daneben braust der Verkehr vorbei. Für die einen macht das die Straße zum hoffnungslosen Fall. Andere wittern Potenzial. Wofür eigentlich?

Mit der Verkehrssituation sind hier viele nicht glücklich. Das letzte Wort scheint noch nicht gesprochen.
Foto: J.J.Kucek

Der Optiker Kurt Otter betreibt an der Hausnummer 39 sein Geschäft: Die Annenstraße, das weiß er, ist für viele in Graz ein emotionales Thema. Wie man zu ihr steht, sei auch eine Generationenfrage. Jene, die die Straße von früher kennen, würden sie oft verklären. Beim Leerstand an der Straße möchte Otter, der sich für das Annenviertel auch in einem Verein engagiert, differenzieren: Flächen, die gut in Schuss sind, würden relativ schnell wieder vermietet. Mit alten Flächen, in die Hausbesitzer kein Geld investieren wollen, sei es schwierig. Dagegen, dass die Annenstraße eine Ramsch-Straße ist, verwahrt sich der Optiker aber entschieden.

Und es gibt auch erfreuliche Nachrichten: Im Rosegger-Haus wird nach längerem Leerstand im Sommer die Zentrale des Grazer Unternehmens Niceshops eröffnet. Auch vor manch anderem Haus stehen Gerüste. Dass sich die Erdgeschoßflächen aber alle wieder mit Geschäften füllen, bezweifeln Branchenkenner. Das muss auch gar nicht das Ziel sein, sagt Hannes Lindner, der mit seinem Beratungsunternehmen Standort+Markt Einkaufsstraßen untersucht. Eine Option seien für die Flächen auch Dienstleister aus dem medizinischen Bereich oder Büros. "Prickelnd" findet Lindner die Straße derzeit nicht. Aber der Teil Richtung Innenstadt funktioniere gut.

Aufstockungen möglich

Glaubt man der Immobilienwirtschaft, schlummern im Annenviertel sogar noch viel mehr Möglichkeiten: Gerald Gollenz, Fachgruppenobmann der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der WKO Steiermark, sieht im Viertel großes Potenzial, zentralen Wohnraum durch Aufstockungen zu schaffen. Derzeit sei die Gegend bei Wohnungssuchenden aber nicht sehr gefragt.

Der Optiker Kurt Otter betreibt auf der Annenstraße sein Geschäft.
Foto: J.J.Kucek

Wohl auch wegen der Verkehrssituation, die von vielen bekrittelt wird: Die Stadt hat die Annenstraße vor einigen Jahren zwar neu gestaltet. Eine Fußgängerzone, die hier diskutiert wurde, hat man am Ende aber nicht gemacht. Dafür wurde aus der Straße zumindest für Autos eine Einbahn. So entstand mehr Platz für Gehende und Radfahrende. Auch in Begrünung wurde investiert, wie Stadtbaudirektor Bertram Werle erklärt. Auch wenn diese teils etwas mager ausfällt: "Im Untergrund ist dieser Bereich voller Leitungen, das sieht man nur nicht."

Jürgen Lorenz Reinsperger hat sich mit "Banana Bikes" in der Annenstraße 34 auf Radreparatur spezialisiert. Er wünscht sich, dass die Autos breiteren Gehsteigen und besser durchdachten Radwegen weichen und dass die Straßenbahngleise begrünt werden, um den Lärm der alle paar Minuten vorbeidonnernden Bahnen zu dämpfen. Das letzte Wort, so scheint es, ist noch nicht gesprochen. Parkplätze gebe es in Parkhäusern rundherum genug, sagt Kurt Otter. Dass jemand vor seinem Geschäft parken möchte, sei heute kein großes Thema mehr: "Das geht ja im Einkaufszentrum auch nicht." Wenn die Gehsteige breiter würden, wäre auch Platz für Gastgärten.

Kein Bobo-Viertel

Eine typische Einkaufsstraße mit den immergleichen Geschäften soll die Annenstraße für Otter nicht werden. Auch Radunternehmer Reinsperger will nicht, dass daraus ein schickes Bobo-Viertel wird. "Die Erwartungshaltung müsste sich ändern", sagt Otter. "Wenn das coole Flair von Lend und Gries überschwappen würde, wäre mir das zehnmal lieber, als wenn hier eine Modekette einzieht." (Franziska Zoidl, 8.5.2021)