Transparente, mit denen auf die Missstände auf dem Wohnungsmarkt hingewiesen wird, gehören in manchen Kiezen mittlerweile zum Stadtbild.

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Man kennt die Diskussionen aus Städten wie München, New York und London, wo sich Normalverdienende das Wohnen in zentralen Lagen nicht mehr leisten können. Zunehmend werden hohe Mieten aber auch in Wien zum Problem. Ein Mietmonitor der TU Wien zeigte vor kurzem, dass private Mieten für Durchschnittsverdienende immer schwieriger zu stemmen sind. Und in Berlin, wo jüngst der Mietendeckel gerichtlich gekippt wurde, gehen Menschen gegen den "Mietenwahnsinn" auf die Straße. Was ist schiefgegangen in den Ballungsräumen?

Expertinnen und Experten überrascht die Entwicklung nicht. Eine Leistbarkeitskrise hat es am Wohnungsmarkt schon vor Corona gegeben. Das wird in einem aktuellen Bericht des internationalen Netzwerks Housing Europe betont. So waren schon 2019 fast zehn Prozent der Bevölkerung in den EU-Staaten durch Wohnkosten stark belastet. Durch die Pandemie hat sich die Situation weiter verschlechtert, die Wartelisten für Sozialwohnungen sind noch einmal länger geworden. Zwar wird Mieterinnen und Mietern in vielen Ländern kurzfristig unter die Arme gegriffen. Der langfristige Plan, mehr Geld in den sozialen Wohnbau zu stecken, fehle aber.

Viele Privatisierungen

International ist die Problematik schwer vergleichbar, zu unterschiedlich funktionieren die Märkte. Doch die Ursachen für die Misere ähneln einander, wie der Wohnbauforscher Justin Kadi erklärt. Ein Problem sieht er in der neoliberalen Politik der 1980er- und 1990er-Jahre. In England wurde der soziale Wohnbau an Bewohnerinnen und Bewohner verscherbelt. In Deutschland wurden hunderttausende Sozialwohnungen in Ballungsräumen verkauft. Und auch in anderen Ländern wurde stärker auf den privaten Wohnungsmarkt gesetzt, wo das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage den Preis bestimmt.

Außerdem wurden die Gesetze verändert: "Es gab in vielen Ländern eine Verschiebung zu mehr Macht, Einfluss und Möglichkeiten für die Vermieter", so Kadi. Auch in Österreich kam 1994 ein neues Mietrecht. Seither gibt es im Altbau Richtwertmieten, in bestimmten Gegenden sind Lagezuschläge möglich. Damit, so Kadi, habe man sich in diesem Segment dem privaten Markt angenähert. "International gesehen war das relativ heftig", sagt der Wohnbauforscher. Befristungen, wie sie in Österreich normal geworden sind, gibt es in Deutschland nämlich beispielsweise nicht.

Mit der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes hat in den letzten Jahren noch eine weitere Entwicklung in vielen Städten eingeschlagen: "Wohnungen werden stärker als früher als Finanzprodukt betrachtet und gehandelt", erklärt Kadi. Das ist auch in Wien zu sehen, wo zuletzt immer mehr in Bau befindliche Häuser von Investoren gekauft und nach der Fertigstellung gewinnbringend vermietet wurden. Was viele bei ihrer Kritik daran aber nicht bedenken: Hinter den großen Fonds stecken oft kleine Anleger, die sich ihre Pension aufbessern wollen. Das kann laut Kadi zu paradoxen Situationen führen. Etwa wenn Menschen über steigende Mieten in ihrem Haus klagen, um dann zu erkennen, dass es ihrem Pensionsfonds gehört.

Altersvorsorge Eigentum

Während Wohnen als Investment woanders schon vor Jahren entdeckt wurde, waren Deutschland und Österreich laut Kadi "late to the party". In Ländern wie England gebe es heute eine starke Verzahnung von Wirtschaftssystem und Immobilien. Dort wird Eigentum als Altersvorsorge hochgehalten – und dort tun sich laut Kadi zunehmend Bruchlinien zwischen Alten und Jungen auf, die sich Eigentum nicht mehr leisten können.

Viele Bruchlinien wird die Corona-Krise vertiefen. Auch in Österreich warnen Mieterschützer, dass nun viele Menschen von Zahlungsschwierigkeiten und Delogierungen betroffen sind. "Aber die Antwort darauf dürfte eine extrem individualisierte sein", so Kadi, weil Möglichkeiten zur Vernetzung fehlen.

Was tun? Die eine Lösung wird es nicht geben. Über das Mietrechtsgesetz könne man viel regeln. Wichtig seien Regeln zum Spielraum für Finanzunternehmen. "Und sozialen Wohnbau nicht zu verkaufen ist eine der besten Strategien", so Kadi. Denn sind die Wohnungen weg, werden sie der Logik des Marktes unterworfen, wie in England und Deutschland deutlich wird. Die Berliner Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" fordert nun die Vergesellschaftung der größten Immobilienkonzerne. Die einst städtischen Wohnungen sind heute Teile ihrer lukrativen Portfolios. 130.000 Unterschriften wurden dafür bereits gesammelt. (Franziska Zoidl, 9.5.2021)