"Wir können alles von der Erde haben, sie ist wie eine gute Mutter."

Foto: Doris Schretzmayer

Ich komme aus einer Bauernfamilie und bin in den 70er- und 80er-Jahren auf einer großen, profitorientierten Landwirtschaft in Niederösterreich aufgewachsen. Meine Eltern, beide kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren, sind wie so viele Menschen ihrer Generation dem Wirtschaftsaufschwung verpflichtet und gehen leistungsintensiv mit sich und der Erde um. Wir haben sehr früh sehr moderne Maschinen, dicke Traktoren und eine riesige Halle für all das. Jahr für Jahr gibt es für mehr Felder mehr künstlichen Dünger und mehr Schädlingsbekämpfungsmittel. Und höhere Erträge auch. Den Duft von Erde und Ernte fand ich immer schon schön, aber Zeit dafür blieb wenig. In den frühen 90er-Jahren, gleich nach der Schule mit neunzehn, ging ich weg, wollte in die Stadt, mit künstlerischen Menschen zusammensein und mich bemerkbar machen.

Als im Frühjahr 2020 vor einem Jahr die Theater schließen, die Filmdreharbeiten aufhören, Konzerte und Veranstaltungen abgesagt werden, ist quasi über Nacht alles Künstlerische von der Bildfläche verschwunden.

Mein Vertrag mit dem Theater in der Josefstadt läuft damals noch bis zur Sommerpause, aber alle bis dahin geplanten Vorstellungen werden abgesagt. Unsere letzte Vorstellung am Theater spielen wir ein paar Tage vor dem ersten Lockdown.

Dann bin ich arbeitslos.

In dieser unfreiwillig freien Zeit, in der ich viel Zeit habe, drängen Fragen, die ich aufgrund meines dichten Alltags mit Familie und Engagements brav im Hinterkopf gehalten habe, auf meine innere Bühne: Woher komme ich? Was hat mich geprägt? Wo sind meine Wurzeln – und wie passen sie in diese Zeit? Wie geht die Natur mit der Pandemie um? Und kann ich mir an ihr ein Beispiel nehmen? Empfinde ich den Stillstand als Bedrohung? Oder könnte er ein wesentlicher Teil meiner Entwicklung werden? Wie geht das: ein gesundes Wachstum? Und ich frage mich, wie das wäre, wenn ich nach meinen vielen Jahren als Schauspielerin in diesem ohnehin verrückten Jahr 2020 einen Ausflug in die Landwirtschaft wage, sozusagen zurückgehe zu meinen Wurzeln? Gern nachhaltig und natürlich bio.

Ich google und spreche mehrere Biobauernhöfe an, die ich im Netz in der Umgebung von Wien ausfindig mache. Als einzige Referenzen kann ich meine Kindheit und mein Interesse anführen. "Ah, die Schauspielerin", sagt einer der Landwirte am Telefon und fragt, ob ich mich etwa auf einen Film vorbereiten wolle. Schließlich lande ich bei einer vorwiegend von Frauen geführten Biolandwirtschaft 45 Kilometer nordwestlich von Wien. Ich darf auf freiwilliger Basis mitarbeiten, Gehalt gibt es keines, aber mein Lohn wären Gutscheine für den Einkauf im Hofladen. Ich sage zu.

Zurück zu den Wurzeln

Ich bitte meinen Agenten, mich bis Ende des Jahres in der Filmbranche zu entschuldigen. Ich melde nach einem Vierteljahrhundert durchgehender Berufstätigkeit so etwas wie ein sechsmonatiges Sabbatical an. Ich bin fast sicher, dass das jetzt ohnehin nicht auffällt, denn auch die Filmbranche verhält sich aufgrund von Corona zurückhaltend. "Aber nur, wenn du anschließend nicht Bäuerin wirst", sagt mein Agent lachend. – Das habe ich tatsächlich nicht vor, dazu liebe ich das Spielen viel zu sehr.

Die Ernte ist reichlich.

Von August bis Dezember bin ich nun mehrmals die Woche zwischen 8 und 13 Uhr auf einem Hof tätig. Marion, meine Chefin, ist in meinem Alter und seit 25 Jahren selbstständige Biobäuerin. Sie hat meine Mutter, die eine knappe halbe Stunde mit dem Auto entfernt wohnt, in ihren Anfängen einmal bei einer Fortbildung getroffen.

In den ersten Wochen krieche ich nach fünf Stunden Arbeit beinahe auf allen vieren nach Hause. Ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen, schließlich will ich hier nicht die Prinzessin auf der Erbse sein. Ich bin daran gewöhnt, vierzehn Stunden am Tag zu drehen oder abends auf einer Bühne zu stehen. Ich kann Emotionen entstehen lassen und mich auf die Energien, eine neue Geschichte und mein Gegenüber hundertprozentig einlassen. Einmal gelernte Texte lassen sich auch nach vielen Jahren noch lückenlos aus meinem Gedächtnis abrufen. Aber das hier? Das ist anders.

Mein Rücken kennt Yoga oder Joggen, aber bei der Feldarbeit fühlt er sich an wie ein verdrehtes Fragezeichen. Immer muss man irgendwie in der Erde graben, denn wie sonst zieht man eintausendfünfhundert Radieschen für hundertfünfzig Bünde aus der Erde, schneidet Spinat ab, bindet Stangensellerie für den Verkauf zusammen oder arbeitet frischen Humus in den Boden ein, um danach fünfhundert neue Salatpflänzchen zu setzen. Ja. Man muss sich hinhocken, sich beugen und biegen und bücken, um so nah wie möglich an die Erde und ihre Schätze heranzukommen. Man verneigt sich tief vor Mutter Natur.

Die anderen Mitarbeiterinnen sind ziemlich schnell, routiniert und plaudern während der Arbeit frohgemut miteinander. Ich muss mich ranhalten, unauffällig nach Luft schnappen und die Schultern locker lassen. Und gleichzeitig macht das alles so viel Freude, immer im Freien und immer geerdet zu sein. Und man sieht sofort ein Ergebnis: Entweder beginnt etwas Neues zu wachsen und stärker zu werden, oder es wird als Unkraut ausgerupft, und nachher sieht rundherum alles frei und schön aus. Oder es wird geerntet, gewaschen und im Hofladen hübsch in Szene gesetzt. Meine Gutscheine, die ich für meine Arbeit erhalte, löse ich nach fast jedem Dienst sofort ein: von der Hand in den Mund.

Am Bauernhof muss man sich biegen und beugen, um so nah wie möglich an die Erde und ihre Schätze heranzukommen.
Foto: Doris Schretzmayer

Es gibt kaum Maschinen am Hof, fast alle Arbeit wird händisch getan. Der einzige, fünfzig Jahre alte Traktor, den es gibt, dient fast ausschließlich zum Transportieren. So werden die Böden geschont, ich sehe, wie gut ihnen das tut, wenn sie nur von Hand bearbeitet werden und das Gewicht von tonnenschweren Geräten fernbleibt. Auch die gelben Rüben und Pastinaken holen wir mit dem Spaten heraus, weil sie so tief und groß in der Erde wurzeln. Wenn es länger nicht geregnet hat, braucht man dazu richtig Kraft. Man muss wissen, wie man sticht, weil sonst das Metall des Spatens die Wurzel durchschneidet. Wenn man zu eilig arbeitet, bricht das Wurzelgemüse ab. Es ist wie ein Tanz, bis man sich an die guten Stücke so weit herangetastet hat, dass man sie aus der Erde hebeln kann.

Bei weniger kraftaufwendigen Arbeiten bin ich barfuß unterwegs, bis weit in den Oktober hinein. Bis zu meinen Schlüsselbeinen hinauf spüre ich die Unebenheiten des Ackers unter meinen nackten Füßen. Es ist ein warmer Herbst und ich bin sehr oft sehr froh.

Altväter und Distelmütter

Bei der Kartoffelernte, die ebenfalls von Hand geschieht, knie oder sitze ich am Boden, neben mir ein großer Korb, in den werfe ich die Kartoffeln, die ich aus der Erde schabe. An den Knollen klebt allerlei Erde, die reibe ich ab. Man sagt "Dreck" dazu, aber es ist nur Erde. Alles sieht so anders aus als im Supermarkt. Wenn mein Korb voll und schwer ist, trage ich ihn zu der Stelle, wo wir die Säcke befüllen und aufschlichten. Ich bemühe mich, wieder öfter "Erdäpfel" zu sagen, wie in meiner Kindheit und wie die anderen hier auch.

Die ursprüngliche Kartoffel, die im März in die Erde gesetzt worden ist und aus der die neuen Kartoffeln, die wir nun ernten, gewachsen sind, hieß bei uns zu Hause "Altvater", daran erinnere ich mich wieder. Quasi der Vater der neuen Knollen. Als ich Marion einen großen, faulig gewordenen "Altvater" zeige, ruft sie laut: "Was ist das?" Sie kennt das Wort nicht. "Altvater" wiederhole ich. Wir lachen und überlegen, ob das nicht die "Mutter" sein müsste, wo doch aus ihr und rundherum mit feinen Wurzeln, also quasi mit Nabelschnüren verbunden, die "Kinder" wachsen? Das Patriarchat treibt auch hier seltsame Blüten, besser noch, Knollen.

Man sagt "Dreck" dazu, aber es ist nur Erde.
Foto: Doris Schretzmayer

Wenn es die Art der Arbeit zulässt, arbeite ich gern ohne Handschuhe. Meine Fingernägel sind mittlerweile kurz geschnitten und nach der Buddelei mit einem kleinen schwarzen Rand verziert. Da ich in diesen Monaten nicht drehe oder jemanden darstellen muss, ist mir das egal. Ich finde es lustig, meine feingliedrigen Finger so zu sehen. Vor vielen Jahren habe ich einem Regisseur, für den ich eine Staatsanwältin gespielt habe, gesagt, dass ich gern einmal eine Bäuerin spielen würde. Er hatte gelacht und gemeint: "Du hast nicht die Hände und nicht die Physiognomie einer Bäuerin." Vielleicht stimmt das. Jetzt, ohne Kamera und Rollenklischees, passt es gut.

Bei der Petersilienernte lerne ich, dass man nur die äußeren, dunkelgrünen Stängel pflückt, das Innere der Pflanze muss verschont werden. Die zarten hellgrünen Blättchen im sogenannten "Petersilienherz" dürfen nicht herausgezupft werden, da die Pflanze sonst nicht in Ruhe nachwachsen kann und rasch zugrunde gehen würde. Ich frage mich, ob dieser Umstand als Vergleich für die Lebensenergie des Menschen angewendet werden kann: Sich nicht dauernd zu Höchstleistungen pushen, nicht zu viel von den neu gesammelten Kräften "pflücken", lieber "nachwachsen" lassen und Reserven bilden und sich im Kern, im "Petersilienherz", stärken, um nicht in ein in unserer Gesellschaft vielfach präsentes Burn-out zu rutschen?

Auf dem Acker, auf dem der Spinat und auch die kleinen Rübchen wachsen, gibt es zwischendrin viele Disteln, die beim Ernten schmerzhaft sein können. Meine Kollegin, die den Job einmal die Woche zum Ausgleich für ihren Bürojob macht, hat an der Universität für Bodenkultur in Wien studiert und erzählt mir, dass es wenig Sinn macht, die einzelnen Disteln auszureißen. Denn tief unter der Erde wächst die Distelmutter, die rasch und immer wieder neue Triebe nach oben schickt und von dem Weggezupfe ihrer Abkömmlinge an der Oberfläche vollkommen unbeeindruckt bleibt.

Will man die stacheligen Pflänzchen nachhaltig loswerden, muss man zwischen den Gemüsepflänzchen Gräser säen, die der Distelmutter in der Tiefe die Nährstoffe abziehen, somit ihr Wachstum hemmen und all die unzähligen neuen Triebe verhindern. Ähnlich, nur andersrum ist es beim Dinkel, er wächst besser, wenn zusätzlich Klee um ihn herum gesät wird, der das Milieu im Boden günstig beeinflusst, mehr Nährstoffe verwertbar macht und ein dichteres Wurzelsystem entstehen lässt. Wodurch der Dinkel prächtig gedeiht. Welche Umstände und Gemeinschaften braucht der Mensch, um sich gut zu entwickeln und unbeeindruckt von ihn schwächenden Einflüssen wachsen zu können?

Manchmal möchte ich mich in dieser Zeit am liebsten mit meinem ganzen Körper in voller Länge mit dem Bauch auf die warme nackte Erde legen, um ihre Kraft und Großzügigkeit noch direkter zu spüren. Denn das berührt mich am meisten: Wir können alles von der Erde haben, sie ist wie eine gute Mutter. Wenn wir nicht räuberisch agieren, sondern achtsam mit ihr umgehen, kann sie für uns sorgen, indem sie das Gewünschte im Überfluss bereitstellt, ohne Schaden zu nehmen oder in der Erschöpfung zu landen.

Eine solche Haltung ist auf dem Hof, auf dem ich mitarbeite, stark spürbar. Das unterscheidet ihn wesentlich von Massenbetrieben und Monokultur, wo ausschließlich Profit und Ertragssteigerung Vorrang haben. Ich erlebe, Rhythmen zu achten, natürliche Zusammenhänge zu respektieren und danach zu handeln, die Regeneration des Bodens in die Planungen miteinzubeziehen. Die Ernte ist reichlich.

Dann ruht die Erde

In der Woche vor Weihnachten ist meine Zeit in der Landwirtschaft beendet. Wir ernten am Ende noch jenes Gemüse, das den frühen Frost gut ausgehalten hat (verschiedene Kohlarten) oder im Glashaus gewachsen ist (Salate, Petersilie). Wir haben aus alten Tomatenstauden oder anderen übrig gebliebenen Pflanzenresten neuen Kompost angelegt, Wärmefolien und Bewässerungsschläuche abgebaut und alles winterfest verstaut. Das gemeinsam angesetzte Sauerkraut muss noch ziehen. Die Erde ruht.

Jetzt, im Frühjahr 2021, ist es Mai geworden, ist ein Drittel des Jahres bereits vorüber. Die winterlichen Lockdowns sind überstanden, draußen ist es wieder grün geworden. Vielleicht schaffe ich es, ein- oder zweimal im Monat für ein paar Stunden wieder rauszufahren, um auf dem Hof mitzuhelfen. Der Erde wieder nah zu sein. Aber demnächst öffnen endlich wieder die Theater und Museen. Ich freue mich aufs Spielen. Frauen zu spielen. Frauen, die die Spur wechseln. Frauen, die aufwachen. Frauen, die weiterschlafen, aber dann doch beim dritten Weckruf aufspringen. Frauen, die sich kein X für ein U vormachen lassen wollen. Frauen, die sich selbst nichts mehr vormachen. Frauen, die Kinder haben. Frauen, die keine Kinder haben. Frauen, die in Gemeinschaft ihre Kraft finden. Frauen, die im Rückzug ihre Kraft finden. Frauen, die ihren guten Ruf verlieren und einem neuen Ruf folgen. Frauen, die laut lachen. Frauen an der Kippe. Frauen mit Kippe. Frauen an der Klippe.

Und natürlich Bäuerinnen. (Doris Schretzmayer, ALBUM, 8.5.2021)