Ausgedruckte E-Mails von acht Mitarbeitern des Finanzministeriums befinden sich in diesen Schachteln, die am Donnerstagnachmittag an die Parlamentsdirektion geliefert wurden.

Foto: Parlamentsdirektion/THOMAS JANTZEN

Obwohl das Finanzministerium am Donnerstagnachmittag dem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) doch noch nachgekommen ist und mehrere Tausend E-Mails an die Parlamentsdirektion geliefert hat, reißt die Kritik an Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) nicht ab. Zwar kam das Ministerium mit der selbstständigen Lieferung der Ordner dem Bundespräsidenten zuvor – Alexander Van der Bellen war vom VfGH ersucht worden, dessen Urteil zu exekutieren, weil das Ministerium über Wochen nicht reagierte. Allerdings sind die Akten als geheim klassifiziert worden, wie die Parlamentsdirektion der APA bestätigte.

Das Informationsordnungsgesetz sieht vier Klassifizierungsstufen für Akten in Untersuchungsausschüssen vor: eingeschränkt, vertraulich, geheim oder streng geheim. Stufe drei, geheim, ist demnach dann angebracht, "wenn die Preisgabe der Informationen die Gefahr einer erheblichen Schädigung" von Interessen, etwa "der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, der wirtschaftlichen Interessen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts", schaffen würde.

SPÖ: Klassifizierung rechtswidrig

Kai Jan Krainer, der für die SPÖ im Untersuchungsausschuss sitzt, erklärte am Freitagvormittag, warum eine solche Klassifizierung problematisch wäre: "Dann ist das Erkenntnis des VfGH nicht rechtskonform umgesetzt worden, sondern rechtswidrig, und dann müssten wir uns an den Bundespräsidenten wenden und ihn ersuchen, dieses Urteil wirklich zu exekutieren."

Wenn Akten als geheim eingestuft werden, dürfen sie nicht in medienöffentlichen Sitzungen zitiert werden, sie dürfen auch nicht kopiert werden. Weil sie nur in Papierform vorliegen, könnte man die Dokumente auch nicht nach Stichworten durchsuchen, sondern müsste sie Zeile für Zeile lesen. Es sei "faktisch unmöglich", diese Ordner alle bis zum Ende des Untersuchungszeitraums im Juli zu lesen, sagt Krainer.

Neos sehen "Brüskierung" des Parlament

Blümel "verachtet und missachtet" laut Krainer durch sein Handeln nicht nur das Parlament, den U-Ausschuss und den Verfassungsgerichtshof, sondern auch den Bundespräsidenten. "Ein solcher Minister ist untragbar, allein schon aus charakterlichen Gründen." Für Krainer stellt sich nur noch eine Frage: "Wer vorbereitet Gernot auf seinen Rücktritt?", spielt er auf eine entsprechende SMS von Justizsektionschef Christian Pilnacek an den Kabinettschef von Blümel an.

"Wenn Dokumente in Klassifizierungsstufe drei an den U-Ausschuss geliefert werden, kann er eigentlich nicht damit arbeiten, weil er nicht in medienöffentlichen Sitzungen daraus zitieren kann und dadurch der Inhalt auch nicht öffentlich bekannt wird", sagt Stephanie Krisper, die für die Neos im U-Ausschuss sitzt. Es sei wohl die Intention der ÖVP, hier das Parlament zu brüskieren und sich Zeit zu verschaffen.

FPÖ fordert Rücktritte von Blümel und Kurz

Christian Hafenecker, FPÖ-Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss, forderte am Freitagvormittag den Rücktritt des Finanzministers. Es sei ein nationaler Schulterschluss aller Parteien gefragt, um die Republik von den "türkisen Fesseln" zu befreien. Laut Hafenecker wäre auch eine Anzeige nach dem Mafiaparagrafen möglich. Außerdem wolle man eine Sondersitzung des Parlaments einberufen, und zwar "möglichst rasch". "Ich hoffe, dass Blümel bis dahin schon zurückgetreten ist", sagt Hafenecker. Eine Rücktrittsaufforderung gab es von ihm auch in Richtung des Bundeskanzlers.

Aber auch der Bundespräsident habe fahrlässig gehandelt, meint Hafenecker. Dieser habe die Exekutionsanordnung des VfGH einfach übergangen. "Wenn er sie durchgeführt hätte, wäre auch die Klassifizierung eine andere." Van der Bellen hätte etwa das Heeresnachrichtenamt ins Finanzministerium schicken können, so Hafenecker, dann hätte es sogar eine forensische Untersuchung der Akten geben können. "Ich würde meinen, dass auch der Bundespräsident wiederum klar zum Ausdruck gebracht hat, dass er Teil des Systems ist und mit der ÖVP packelt."

Maurer: Blümel weiterhin tragbar

Die Grünen, Koalitionspartner der ÖVP in der Regierung, übten am Freitag nur leise Kritik an Blümel. Sigrid Maurer, Klubobfrau im Parlament, sagte im "Mittagsjournal" auf Ö1: "Ich glaube, das Ministerium hat mittlerweile selber erkannt, dass es klüger gewesen wäre, die Akten gleich zu liefern." Da gehe es auch um den Respekt vor dem Rechtsstaat. "Aber jetzt ist die Aktenlieferung erfolgt, und das ist das Entscheidende."

Blümel sei als Minister weiterhin tragbar. "Die Vorwürfe, die es gibt, reichen nicht für einen Rücktritt, aus meiner Sicht." Die Kritik der Opposition werde man ernst nehmen und sich anschauen, sagte Maurer. Der Regierungspartner agiere im Rahmen der Verfassung, "wenn auch sehr zögerlich". Man arbeite aber weiterhin gut zusammen, "auch wenn der Weg manchmal holprig ist". Maurer erwartet sich nun auch vom Bundeskanzleramt, dass die ausstehenden Akten geliefert werden.

Blümel entschuldigt sich bei Mitarbeitern

Während es von allen Seiten Kritik hagelt, meldete sich Blümel am Freitag laut "Kurier" bei den 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Finanzministeriums. "Wie Sie wahrscheinlich in den Medien verfolgt haben, verlangten einige Fraktionen im Untersuchungsausschuss die Herausgabe von allen Korrespondenzen sämtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit bestimmten Personen sowie die Herausgabe der gesamten Postfächer von einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unabhängig von deren Inhalt – selbst wenn es sich dabei um höchstsensible und private Daten handelt." Die Aktenlieferung habe so lange gedauert, weil man auf die Wahrung der Persönlichkeitsrechte geachtet habe.

Gleichzeitig akzeptiere er die VfGH-Entscheidungen "selbstverständlich", zitiert der "Kurier" aus dem Schreiben. Blümel habe auch deshalb am Donnerstag die "angeforderten Unterlagen an den U-Ausschuss übermittelt". Dieser Umstand könne nun dazu führen, dass "Namen, Daten oder Unterhaltungen einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter öffentlich thematisiert werden. Obwohl ich darauf keinen Einfluss habe, möchte ich mich bei Ihnen als ihr Ressortleiter vorab für etwaige persönliche Unannehmlichkeiten, die Ihnen dadurch entstehen könnten, entschuldigen."

Ministerium betont Fürsorgepflicht

Nach einer ersten Sichtung der Dokumente des Finanzministeriums am Freitag heißt es, dass viele Inhalte bereits aus früheren Lieferungen bekannt seien. Damals wurden die Dokumente mit Stufe eins klassifiziert.

Es könne nicht sein, dass "alle E-Mails und Korrespondenzen, die 204 Ordner füllen, 'höchstpersönliche Gesundheitsdaten' beinhalten, dieses Argument ist hanebüchen und grotesk!", schrieben die Neos auf Twitter.

Auch Verfassungsjurist übt Kritik

Kritik am Finanzminister kam am Freitagmorgen auch von juristischer Seite. Der Verfassungsjurist Heinz Mayer ging mit Blümel im "Morgenjournal" hart ins Gericht: Mit der Geheimhaltung setze der Minister noch eins drauf, antwortete Mayer auf eine entsprechende Frage. "Es ist allerdings nicht überraschend, wenn man daran denkt, dass der Finanzminister vor einigen Jahren in türkisen Socken durch das Parlament spaziert ist. Dann zeigt das ja eine gewisse Geringschätzung des Parlaments."

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kritisierte Mayer. Dieser hatte Kritik von Juristen an der rechtlichen Umsetzung der Corona-Maßnahmen als "juristische Spitzfindigkeiten" kritisiert. "Regierungsmitglieder sind nicht dazu da, die Möglichkeiten der Verfassung auszureizen. Sondern sie zu befolgen. Ohne dass der Exekutor vor der Tür steht", sagt Mayer.

Die ÖVP habe schon öfter bewiesen, dass sie die Einstellung habe, über den Institutionen zu stehen, sagt der Verfassungsjurist. Nach dem Misstrauensvotum im Jahr 2019 für die türkis-blaue Regierung habe der Kanzler gesagt: Das Parlament hat abgestimmt, aber das Volk wird entscheiden, erinnerte Mayer. "Das ist die Redeweise des Bürgerblocks am Ende der Ersten Republik. Nämlich das Lächerlichmachen des Parlaments."

Exekutionen sollen nicht die Regel werden

"Wenn alle Staatsorgane, die die Verfassung anzuwenden haben, sich einigen, sie werden die Verfassung nicht ernst nehmen, dann nützt die beste Verfassung nichts", sagt Mayer. Davon sei man "Gott sei Dank" noch weit entfernt. "Wir haben einen Verfassungsgerichtshof, der in diesen Sachen sehr, sehr streng und sehr gründlich entschieden hat. Und wir haben einen Bundespräsidenten, der auch seine Bereitschaft signalisiert hat, das auf Punkt und Beistrich umzusetzen." Wenn das Beispiel Schule mache, wenn man ständig gezwungen sei, mit Exekutionen die Einhaltung verfassungsrechtlicher Verpflichtungen durchzusetzen, dann werde das schwierig, so Mayer.

Spielraum vorhanden

Das Nationalratspräsidium könnte über eine Herabstufung der Geheimhaltung entscheiden. Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur, betonte ebenfalls, dass es Spielraum gibt: "Es kann ja dann auch vom U-Ausschuss unter bestimmten Voraussetzungen im Ausschuss eine andere Klassifizierung vorgenommen werden, also zurückklassifiziert werden zum Beispiel." Es werde wohl noch die eine oder andere Auseinandersetzung bzw. Klärung geben in der Frage, sagte der Anwalt der Republik – in dem Fall des Finanzministeriums – in der "ZiB 2" am Donnerstagabend.

ORF

ÖVP erstattet Anzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses

Während der Umgang der ÖVP mit dem Parlament bzw. mit dem Verfassungsgerichtshof also wieder einmal für Gesprächsstoff sorgt, sehen die Türkisen andere Skandale. Sie luden am Freitagvormittag zu einer Pressekonferenz mit dem Titel "SPÖ versinkt immer tiefer im Skandalsumpf". Dort widmete sich Andreas Hanger, ÖVP-Fraktionsvorsitzender im U-Ausschuss, aber zunächst den dortigen Entwicklungen.

Die ÖVP habe am Donnerstag eine Anzeige bzw. Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses gegen die Oberstaatsanwaltschaft eingebracht. "Uns reicht es", sagte Hanger. Die gelieferten Mails bzw. Chats vom Handy von Öbag-Chef Thomas Schmid – knapp 600 Seiten – hätten nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun. "Da geht es um nichts anderes als Klatsch und Tratsch, persönliches Vernadern." Die Nachrichten von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seinem politischen Umfeld seien hingegen wirklich relevant, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft müsse diese endlich liefern.

Die Causa Blümel hält Hanger hingegen für erledigt: "Die Akten wurden gestern geliefert, das ist das Faktum, das entscheidend ist." Und: "Sie kennen meine prinzipielle Meinung zum Untersuchungsausschuss: Das ist Steuergeldverschwendung."

Böhmermann widmet sich dem Thema "Türkis"

Apropos Gesprächsstoff: Am Freitag soll es in der Sendung des deutschen TV-Moderators Jan Böhmermann, "Magazin Royale", um die ÖVP gehen. Zumindest kündigte der Entertainer in seinem Podcast an, dass sich die letzte Episode vor der Sommerpause "monothematisch" um das Thema "Türkis" drehen werde. Auch Redakteure der Sendung lieferten am Donnerstag bereits Hinweise darauf, dass sich Böhmermann am Freitagabend Österreich bzw. der ÖVP widmen könnte.

Dass Böhmermann sich der österreichischen Politik widmet, ist nicht Neues, im März thematisierte er die Vorgänge in Ischgl und lieferte auch einen Song über die unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus vom Tiroler Skiort aus. Außerdem sorgte er für Aufsehen, weil er bereits im Vorfeld der Veröffentlichung des Ibiza-Videos Aussagen in die Richtung fallen ließ. "Während Sie jetzt gerade die Gala genießen, Sekt trinken, feine Schnittchen essen und charmant versuchen, Gernot Blümel nicht spüren zu lassen, wie sehr Sie ihn verachten (...) hänge ich gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza herum – und verhandle darüber, ob und wie ich die 'Kronen Zeitung' übernehmen kann und die Meinungsmache in Österreich an mich reißen kann", sagte er Wochen vor Veröffentlichung des Videos. Die Inhalte waren ihm vom Drahtzieher Julian H. auch angeboten worden. (Lara Hagen, Ana Grujić, 7.5.2021)