Es war eine kecke Formulierung, mit der an dieser Stelle vor einigen Jahren eine "Schwemme" an Fachliteratur zum Schaffen bedeutender österreichische Künstler prognostiziert wurde. Im Mai 2010 hatte das Auktionshaus "im Kinsky" verlautbart, sich mit der hauseigenen Editionen-Reihe künftig jener Wissenslücken anzunehmen, die in Ermangelung von Monografien oder Werkverzeichnissen klafften.

Zwar zähle es prinzipiell ja nicht zu den Kernaufgaben eines Auktionshauses, das Œuvre relevanter heimischer Kunstschaffender aufzuarbeiten, jedoch verfüge man aufgrund jahrelanger Erfahrung im Handel über gewisse Kompetenzen. Um fachlich fundierte Publikationen zu gewährleisten, würde man mit den jeweils auf den Künstler spezialisierten Kunsthistorikern kooperieren.

Die Konkurrenz gab sich entrüstet: Damit würden doch kommerzielle Interessen verfolgt und nebenbei womöglich eine Datenbank potenzieller Versteigerungskandidaten generiert, monierte das Dorotheum. Zwei Monate später gab das Belvedere die Gründung eines "Instituts für die Erstellung von Werkverzeichnissen" bekannt. Eingebettet in das Research Center – das mit Archiv, Bibliothek, Bildarchiv und dem "Digitalen Belvedere" die klassischen Museumsaufgaben vereint – würden künftig Werkverzeichnissen produziert.

Dorotheum als Sponsor

Die Finanzierung zusätzlicher Arbeitsplätze übernahm für vorerst fünf Jahre das Dorotheum. Zuletzt soll sich das reduzierte Sponsoring dafür auf etwa 50.000 Euro jährlich belaufen haben. Der aktuelle Wurf: das im Dezember von Generaldirektorin Stella Rollig und Christian Huemer, der seit Herbst 2018 das Research Center leitet, herausgegebene Werkverzeichnis zu Carl Moll.

Hinter den Kulissen sorgt diese Publikation für Diskussionen. Nicht wegen der Textbeiträge, die Molls Werdegang, seine Funktion als Ausstellungsmacher und Kunsthändler oder die deutschnationale Einstellung des "Anschluß"-Befürworters beleuchten, sondern aufgrund des Katalogteils, der auch einige Irrläufer inkludieren soll: also Werke, deren Authentizität erfahrenen Kunsthistorikern und Experten außerhalb des Belvederes teils als diskussionswürdig einstufen oder in Abrede stellen.

Dieses "CM" monogrammierte Stillleben wurde 2004 bei "im Kinsky" versteigert. 2016 stellte sich dort heraus, dass das Moll-Monogramm falsch war und es sich tatsächlich um ein Werk der Künstlerin Ella Iranyi handelt. Das Bild wurde neuerlich und als solches von Iranyi versteigert – dennoch wurde es in das Moll-Werkverzeichnis (GE 449) aufgenommen.
Foto: STANDARD Screenshot WvZ-Online

Gemessen an den knapp 600 von der zuständigen Belvedere-Mitarbeiterin und Autorin Cornelia Cabuk seit 2014 erfassten Gemälden, dürfte die Zahl der strittigen unter zehn Prozent liegen, wirft jedoch generelle Fragen nach der Methodik und Verifizierung auf. Moll hinterließ, wie die Mehrheit der Künstler, keine Aufzeichnungen zum Umfang seines Schaffens, das es postum über Archivmaterial oder zu Lebzeiten erschienene Ausstellungskataloge, die teils nur beschreibende Bildtitel, oft ohne Maßangaben oder Abbildungen, zu rekonstruieren galt.

Die Mehrheit der Bilder ist jedoch vor dem Ableben es Künstlers nicht dokumentiert gewesen, weshalb auch Verkaufskataloge aus dem Kunsthandel als Quelle genutzt wurden. Eine übliche Vorgehensweise, die jedoch Fallstricke birgt, da sich Fotos einer wissenschaftlichen Überprüfung entziehen. Kennt man den gegenwärtigen Besitzer, kann eine Begutachtung im Original erfolgen.

Laut Belvedere sei das beim Großteil der erfassten erfolgt, alternativ über einen Stilvergleich von gesicherten Werken. Letztere Einordnungen machte schon vor dem nie öffentlich kommunizierten "Soft Launch" der Onlineversion des Werkverzeichnisses Ende 2019 die Runde. Wie Kunsthistoriker und Händler erzählen, hätten sie anhand konkreter Beispiele mehrmals auf die Problematik voreiliger Moll-Zuschreibungen hingewiesen. Die Warnungen wären jedoch ignoriert worden.

Im Februar 2019 wurde "im Kinsky" dieses "CM" monogrammierte und bis dahin unbekannte Bild erstmals angeboten. Das Auktionshaus bezweifelte die Echtheit und verwies den Kunden an die Belvedere-Mitarbeiterin, die das Bild als "echt" einstufte. "Im Kinsky" lehnte aus Haftungsgründen dennoch eine Versteigerung ab. Im Juni 2020 tauchte das unter "GE 433" verzeichnete Werk bei Sotheby’s in London auf und blieb unverkauft.
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Das Belvedere bestreitet das. Intern sei etwa eine Liste beanstandeter Zuschreibungen von Kurator Franz Smola geprüft und im Team diskutiert worden. Am Ende hätte man den Vorschlägen der Kollegin zugestimmt, da sie "großteils durch die Quellenlage felsenfest belegt" gewesen wären.

"Die in einem Werkverzeichnis publizierten Zuschreibungen müssen letztlich die Autorin und die Herausgeber_innen verantworten", lässt man wissen. Das ist korrekt, zumal damit ja auch Haftungsfragen einhergehen. Vor Gericht könnte sich Cornelia Cabuk, die seit geraumer Zeit dem Kunsthandel ihre Expertise zur Verfügung stellt, ja kaum auf einen lebendigen Diskurs unter Kunsthistorikern berufen. Oder doch?

"Bei einigen Werken wird es unterschiedliche Ansichten geben", die Frage sei, "wem man die Autorität der Deutungshoheit zugesteht", letztlich entspreche ein Werkverzeichnis dem "derzeitigen Stand der Forschung" und fungiere als "Diskussionsgrundlage", gibt sich das Belvedere souverän. Jedoch gibt es auch Beispiele, die keiner Debatte bedürfen: etwa das als GE 449 erfasste Stillleben mit Grünpflanze und Früchten, das 2004 als Werk Carl Molls bei "im Kinsky" versteigert wurde.

Es landete damals im Besitz von Rudolf Leopold, dessen Restaurator die Authentizität in Zweifel zog. Das Geschäft wurde storniert und Michael Kovacek behielt das mit "CM" monogrammierte Bild privat. 2016 lieferte ein Kunde ein Stillleben ein, dessen Malweise und Stil frappant jenem von Kovacek glich. Es handelte sich jedoch um das Werk einer jüdischen Künstlerin namens Ella Iranyi aus dem Umfeld des Hagenbundes. Sie kam 1942 im Ghetto Izbica um, ihr Werk geriet in Vergessenheit.

Mit einem Werk von Carl Moll habe "Hügel mit Tannen" – weder stilistisch, noch technisch – rein gar nichts zu tun, kritisieren externe und mit dem Oeuvre des Künstlers seit Jahrzehnten vertraute Kunsthistoriker. Daran ändere auch das CM-Monogramm nichts. Das Bild wurde in den 1970er Jahren zwei Mal versteigert – im Dorotheum, das seit 2011 als Sponsor der Belvedere-Werkverzeichnisse auftritt.
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Von ihr stammte auch das zuvor als Moll versteigerte Bild, bei dem sich das Monogramm bei einer Überprüfung als falsch entpuppte und entfernt wurde. Als Werk von Ella Iranyi wurde das Bild im Herbst 2016 versteigert. Dennoch wurde es in das Moll-Werkverzeichnis aufgenommen: auf Basis der Katalogangaben von 2004 und ohne weitere Prüfung oder Rückfrage. "Die Neuzuschreibung an eine andere Künstlerin", so informiert das Belvedere aktuell, "wird im Onlinekatalog nachgetragen."

Bei diesem Nachtrag wird es nicht bleiben, denn weder ein Monogramm noch eine Signatur belegen eine Echtheit oder bestätigen eine Zuschreibung, und auch die Herkunftsangaben harren einer Bearbeitung. Die in Textbeiträgen erwähnten Moll-Sammlern tauchen bei den Werkeinträgen nur rudimentär auf. "An der intensiven Aufarbeitung der einzelnen Provenienzen" sei "auf Basis verfügbarer Quellen" gearbeitet worden, betont man.

Provenienzen?

Teils ist jedoch das Gegenteil der Fall. Viele der 2003 von Sophie Lilli (Was einmal war, Czernin-Verlag) publizierten Besitzern von Moll-Werken blieben unerwähnt, und auch die in einem Katalog zur Moll-Schau im Künstlerhaus 1921 veröffentlichten Leihgeber finden sich nur teils.

Dazu gehörten etwa Paul und Irene Hellmann, die nur bei dem Gemälde Wertheimsteinpark im Winter von 1907 als ehemalige Eigentümer genannt werden, obwohl sie ein weiteres besaßen. Der Besitzerzeitraum beschränkt sich laut Werkverzeichnis auf 1921 bis 1935 und bezieht sich auf Daten von Leihgaben. Tatsächlich war es schon vor 1921 im Besitz der Familie und vor allem bis zu Irenes Flucht vor dem Nazi-Regime 1939, nachdem ihr Mann wenige Monate zuvor verstorben war. Wie heikel derart missverständlichen Angaben sind, sollte man im Belvedere angesichts der eigenen Restitutionschronik wissen.

Das Gemälde "Gartenterrasse des Wohnhauses auf der Hohen Warte" wurde 1903 von Carl Moll gemalt. Im April 1944 kam es über einen Ankauf im Dorotheum in den Bestand des heutigen Wien Museums. Eine Entziehung in der NS-Zeit ist nicht auszuschließen, jedoch fanden sich bislang keinerlei Hinweise darauf. Die Autorin des Werkverzeichnisses stufte das Bild dennoch als "Restitutionsfall" mit offener "Erbenfrage" ein.
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Für Irritation sorgt auch der Eintrag zum Gemälde Terrasse der Villa auf der Hohen Warte (1903) aus dem Wien-Museum. "Restitutionsfall – Erbenfrage offen" steht dort vermerkt. Auf STANDARD-Nachfrage stellt sich heraus, dass die zuständigen Provenienzforscher davon nichts wissen. Es gebe keinen Fall. Das Werk wurde zwar im April 1944 im Dorotheum ersteigert, jedoch habe sich trotz eingehender Recherche bislang kein Anhaltspunkt für eine Entziehung gefunden. Von der Autorin sei man dazu nie kontaktiert worden. (Olga Kronsteiner, ALBUM, 9.5.2021)