Es ist im ersten Moment etwas ungewohnt, an sich herunterzuschauen und seine Beine nicht zu sehen. Aber gut, wer braucht schon Beine, wenn er sich in der virtuellen Realität bewegt – und diese "Realität" ein noch nicht gebautes, aber fertig geplantes Einfamilienhaus beinhaltet.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ziviltechnikerbüro Thomas Lorenz mit Sitz in Graz sind mächtig stolz auf die kleine Installation, die sie da auf die dann doch vorhandenen Beine gestellt haben. Vier Kameras auf Stativen zeigen in die Raummitte, in der man genug Platz hat, um mit der etwas klobigen Virtual-Reality-Brille und zwei Controllern in der Hand in die Welt des Ungebauten einzutauchen.

Virtuell und doch so echt: Dieses Einfamilienhaus befindet sich gerade in der Planungsphase – ist aber in der virtuellen Realität bereits begehbar.
Foto: Thomas Lorenz ZT GmbH

Denn das angesprochene Einfamilienhaus existiert bisher lediglich digital – und der Bau in der virtuellen Realität ist sogar schon die zweite Ausführung. Denn das Ziviltechnikerbüro arbeitet regelmäßig mit dem Building Information Modeling (BIM). Das ist ein Baukonzept, das vor dem eigentlichen Errichten die Erstellung eines digitalen Zwilllings vorsieht.

Dreidimensionales Modell

Aus diesem Zwilling, der in den Programmen nicht nur spektakulär aussieht, sondern auch allerhand nützliche Daten für Architekten, Haustechniker und -verwalter bereithält, hat das Büro nun ein virtuelles und dreidimensionales Modell entwickelt. "Das ist in erster Linie für die Bauherren eine überwältigende Sache. Sie stehen plötzlich vor oder in ihrem Haus, das noch gar nicht gebaut ist", sagt Geschäftsführer Thomas Lorenz.

Und tatsächlich, überwältigend trifft es sehr gut. Denn wenn man sich erst einmal an die Besonderheiten der virtuellen Realität gewöhnt hat (wie gesagt, die Beine fehlen), sind vor allem die täuschend echt wirkenden Größenverhältnisse beeindruckend. Mit ein paar einfachen Klicks bewegt man sich durch das Haus und kann sich sämtliche Räume von innen ansehen – die sind sogar (etwas spärlich) eingerichtet.

Zugegeben, mehr als eine Spielerei ist das Ganze aktuell noch nicht. Als virtueller Besucher kann man noch die Tageszeit und das Wetter verstellen (Wie sieht das Haus im Schnee aus, fragen Sie sich. Null Problemo!), außerdem kann man sämtliche Oberflächenmaterialien austauschen. Das können Bauherren oder Inneneinrichter derzeit nutzen, um beispielsweise die Wandfarben durchzuprobieren – wir haben es genutzt, um sämtliche Oberflächen zu verspiegeln.

Es soll heimisch wirken – also sind auch die Autos modelliert.
Foto: Thomas Lorenz ZT GmbH

Virtuelle Voransicht

Das Büro möchte bei diesen Spielereien aber nicht stoppen. "Ideal wäre es, wenn der Bauherr in Zukunft virtuell durch das Haus spazieren könnte, um sein Feedback zu geben, und Änderungswünsche direkt mit wenigen Handgriffen im Modell eingearbeitet werden können", sagt Jürgen Kraker, Mitglied der Geschäftsführung und verantwortlich für fast alles Digitale.

Dass sich das Büro für den Schritt in die virtuelle Realität entschieden hat, ist kein Zufall. Thomas Lorenz war einer der Ersten in Österreich, die auf den Einsatz von Building Information Modeling gesetzt haben. Bereits 2011 nutzte das Büro ein digitales Tool, um die Schalung eines Warmwalzwerks in den USA zu planen. Dass das Unternehmen so früh angefangen hat, liegt unter anderem an dem privaten Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "Unser Gruppenleiter für Stahl-, Glas- und Fassadenbau, Gregor Schwarz, hat damals schon viel mit 3D-Modellen gearbeitet und dann vorgeschlagen, das auf die Arbeit zu übertragen", erzählt Lorenz. Heute seien es die jungen Menschen von den Universitäten, die immer mit neuen Ideen kommen. "Das hilft enorm, sich nie zufriedenzugeben und immer nach neuen Innovationen zu suchen."

Hohe Kosten, hoher Output

Der Weg vom privaten Interesse hin zum Unternehmen, das auf BIM setzt, war aber ein langer. "Das passiert ja nicht von heute auf morgen, da muss man investieren", sagt Lorenz. Software-Lizenzen, Hardware, Schulungen für rund 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – das kostet alles. Lorenz schätzt die Investitionen, um das Unternehmen BIM-fit zu machen, auf einen sechsstelligen Betrag. "Aber ich würde es immer wieder so machen", sagt er. Die Produktivität hätte sich im Büro verdoppelt.

Das Ziviltechnikerbüro Thomas Lorenz macht aus der Vorliebe für BIM keinen Hehl, auf der Website heißt es: "BIM führt zu einem technologischen Quantensprung im gesamten Bauwesen!" Natürlich dürfe man die Kosten nicht ignorieren, sagt Lorenz, aber die Vorteile seien nicht von der Hand zu weisen. "Es macht die Welt für uns leichter, weil wir beispielsweise auch genauer und einfacher abrechnen können, und im Endeffekt ist es fast unumgänglich, weil immer mehr Ausschreibungen BIM vorgeben."

Dass der Rest der österreichischen Baulandschaft so schnell auf Virtual Reality setzen wird, ist nicht zu erwarten. Dafür sind die Vorteile (oder Spielereien) noch zu marginal. Ein beeindruckender Blick in die Zukunft des Bauens ist es aber allemal. Auch ohne Beine. (Thorben Pollerhof, 08.05.2021)