Am 1. Februar hat sich das Militär in Myanmar an die Macht geputscht. Was folgte, war die Festnahme von Aung San Suu Kyi und weiterer Regierungsmitglieder sowie ein brutales Vorgehen gegen Protestierende. Tom Andrews, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Myanmar, erklärt im STANDARD-Interview, dass das Militär zuletzt sogar noch rigoroser vorgegangen ist. Zudem befürchtet er, dass der Konflikt durch bewaffneten Widerstand weiter eskalieren könnte. Einen Ausweg aus der Krise sieht er in effizienten Sanktionen gegen die Junta.

STANDARD: Dreieinhalb Monate sind seit dem Militärputsch in Myanmar vergangen. Sind wir derzeit näher an einer Beilegung des Konflikts oder näher an einem offenen Bürgerkrieg?

Andrews: Das ist eine ziemlich gute Frage, auf die ich leider keine Antwort habe. Meine Hoffnung ist, dass sich alles zum Guten wendet, weil jene, die die Proteste gegen das Militär anführen, unglaublichen Mut zeigen, um ihr Land zu verteidigen. Und meine Befürchtung ist, dass sich die Situation in Myanmar so sehr verschlechtert, dass wir dort bald einen bewaffneten Konflikt haben werden. Meiner Meinung nach braucht es koordinierte, effiziente Wirtschaftssanktionen und ein Waffenembargo gegen die Junta, sodass diese nicht mehr brutal gegen die Bevölkerung vorgeht.

STANDARD: Das Militär in Myanmar hat jahrzehntelange Erfahrungen mit Sanktionen, die es kaum zum Einlenken bewegt haben. Wieso soll es diesmal anders sein?

Andrews: Die Junta sagt immer, dass ihnen Sanktionen nichts ausmachen, aber das ist Propaganda. Die Reformen, die das Militär durch den Putsch zunichtegemacht hat, waren eine Folge von Sanktionen, um nur ein Beispiel zu nennen. Wenn man die Öl- und Gaszahlungen und damit die Geldflüsse an die Junta stoppt, wenn man keine Waffen und technisches Equipment – etwa für Überwachung – mehr liefert, wird das einen Effekt haben. Es gibt derzeit etwa 40 Staaten, die solche Sanktionen erwägen oder sie schon beschlossen haben. Wir haben ihnen vorgeschlagen, dass sie sich koordinieren, um die Sanktionen so effizient wie möglich zu machen.

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Das Militär in Myanmar geht laut UN-Sonderberichterstatter Tom Andrews immer brutaler vor.
Foto: Reuters

STANDARD: Wie effizient können Sanktionen sein, solange China weiterhin der größte Unterstützer der Junta bleibt und sie im UN-Sicherheitsrat schützt?

Andrews: Es gibt keine Garantie, dass sie einen Effekt haben werden. Garantiert ist aber, dass nichts passiert, wenn wir es nicht versuchen. Je mehr Länder sich daran beteiligen, desto höher stehen die Chancen, dass sich etwas ändert. Und was China betrifft: In Myanmar bahnt sich eine große humanitäre Krise an. Laut unseren Prognosen wird in einem Jahr die Hälfte der Bevölkerung in Armut leben, wenn sich nichts ändert. Das würde sich auch auf die Nachbarländer wie China auswirken. Peking wird also daran interessiert sein, dass sich die Lage in Myanmar stabilisiert – auch weil es viel im Land investiert hat.

STANDARD: Gehen wir mal davon aus, Sanktionen wirken, die Junta lenkt ein und beendet die Gewalt. Wie könnte es dann weitergehen?

Andrews: Auch darauf habe ich keine Antwort. Aber wenn die Junta die Gewalt beendet und die tausenden politischen Gefangenen freilässt, ist schon einmal viel erreicht. Denn derzeit geht es in die andere Richtung: Die Situation verschlechtert sich zusehends. Laut unseren Berichten gehen Scharfschützen gegen Protestierende vor, Maschinengewehre kommen zum Einsatz, teilweise werden die Menschen einfach aus kurzer Distanz erschossen. Wir wissen auch, dass Soldaten umherziehen und einfach so in Häuser schießen. Dabei wurden kleine Kinder getötet. Und sie läuten nachts bei Häusern an, zerren Menschen mit, von denen man danach nichts mehr hört. Es ist eine wahre Terrorherrschaft.

Für Andrews sind Sanktionen der einzig richtige Ausweg aus der Krise in Myanmar.
Foto: John Boal

STANDARD: Vor kurzem hat die oppositionelle Regierung der Nationalen Einheit erklärt, sie habe bewaffnete Selbstverteidigungskräfte gebildet, um ihre Unterstützer vor dem Militär zu schützen. Angesichts dessen, was Sie beschreiben, ist das verständlich. Aber ist das nicht zugleich auch der nächste Schritt zum offenen Bürgerkrieg?

Andrews: Es gibt schon viel zu viele Tote in Myanmar. Ich befürchte, wenn es in diese Richtung geht, werden die Opferzahlen massiv steigen. Ich habe schon mehrfach dazu aufgerufen, keinen bewaffneten Widerstand zu leisten. Es gibt wie gesagt andere, effizientere Wege, gegen die Junta vorzugehen.

STANDARD: Wie wirkt sich das alles auf die Rohingya aus, die ja schon davor angefeindet wurden?

Andrews: Wir wissen, dass sich die etwa 600.000 Rohingya im Land große Sorgen machen. Denn der Oberbefehlshaber, der 2016 und 2017 die Militäroperationen gegen sie geleitet hat, ist Min Aung Hlaing. Und der ist jetzt Vorsitzender der Militärjunta.

STANDARD: Wissen Sie, wie es Aung San Suu Kyi geht?

Andrews: Nein, wir wissen gar nichts. Das Militär unternimmt alles, damit keine Informationen zu ihr dringen und umgekehrt. Und es versucht auch, das ganze Land abzuschotten. Die Junta weiß, dass es ihr schadet, wenn Informationen ins Ausland gelangen und aus dem Ausland hinein. (Kim Son Hoang, 14.5.2021)