Ein Mann wartet in Neu-Delhi darauf, seinen Sauerstoffzylinder wieder aufzufüllen.

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Ashraf Patel erzählt von Jugendorganisationen, die Sauerstoffflaschen für Bedürftige wiederaufgefüllt haben.

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Auch mit "Corona-Taxis" halfen private Initiativen, Menschen in Spitäler zu bringen.

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Als die Neuinfektionen in Indien rasant in die Höhe kletterten, verfiel das Land in Schockstarre, erinnert sich Ashraf Patel im Telefonat mit dem STANDARD: "Niemand konnte glauben, was da passiert", sagt die 53-jährige Gründerin eines Jugendnetzwerks in der Hauptstadt Neu-Delhi. "Alle dachten, dass nach der ersten Welle schon wieder alles gut werden würde", sagt Patel: "Doch als die Spitäler mit dem Ansturm nicht mehr zurechtkamen, wurde die Tragödie klar."

Noch immer steigen am Subkontinent die Zahlen rasant. Fast täglich melden die indischen Behörden neue Rekordwerte. Am Freitag waren es mehr als 414.000 Positivfälle und fast 4.000 Tote. Dabei werden fast drei Viertel aller Neuinfektionen in zehn Bundesstaaten (es gibt insgesamt 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien) registriert: Maharashtra mit der Metropole Mumbai, Uttar Pradesh – der bevölkerungsreichste – und Delhi liegen an der Spitze. Wobei in letzterem die Zahlen ein wenig sinken.

Die Zahlen in Indien steigen weiterhin.

Masken wieder vor dem Gesicht

Haben sich zwischenzeitlich die Menschen nur noch wenig bis gar nicht an die Sicherheitsmaßnahmen gehalten, so würden nun wieder fast alle Maske tragen und Abstand halten, erzählt Patel: "Es scheint, als hätten wir eine große Lektion gelernt."

Doch für die aktuelle Situation kommt das Maskentragen zu spät. In Uttar Pradesh melden Friedhofsverwaltungen, dass der Platz für die Gräber ausgeht. Etwa in einer Begräbnisstätte in Agra, der Stadt des Taj Mahal, hat sich die Zahl angemeldeter Begräbnisse verdoppelt. Außerdem herrscht ein Mangel an Totengräbern. Das lässt die Kosten für Bestattungen ansteigen, wie die "Times of India" berichtet.

Welche Bundesstaaten wie stark vom Virus betroffen sind.

Private Hilfe in Sachen Sauerstoff

Und noch immer herrscht Knappheit in Sachen medizinischer Sauerstoff, obwohl die Lager der Spitäler langsam wieder aufgefüllt werden und die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Notstands lebt. Mit Donnerstag hat die Regierung Neu-Delhis deshalb die Möglichkeit geschaffen, Sauerstoffflaschen online nach Hause zu bestellen. Mit einem Personalausweis, dem positiven Covid-19-Testergebnis und anderen Dokumenten wie Lungenröntgen können Anträge gestellt werden, heißt es von der Stadtregierung.

Doch bereits zuvor haben sich Menschen in ihren Nachbarschaften zusammengeschlossen, um der Sauerstoffknappheit entgegenzuwirken. "Nach der ersten Schockstarre haben sich die Leute überlegt, wie sie aktiv werden können", berichtet die 53-jährige Patel am Telefon: "Vor allem junge Menschen haben Initiativen auf die Beine gestellt." So erzählt die Frau vom 30-jährigen Mohit Raj, der Sauerstoffzylinder gesammelt, auf eigene Faust aufgefüllt und an Bedürftige verteilt hat, als die Stadtregierung noch nicht koordiniert tätig war.

Ein Erklärvideo zur indischen Mutante.
DER STANDARD

Telefonieren für ein freies Bett

Organisationen haben laut Patel prinzipiell ihre Kommunikationskanäle online oder via Whatsapp zu Hilfehotlines umfunktioniert, wo nach freien Spitalsbetten, Sauerstoffflaschen, Plasmaspenden oder Nahrungsmitteln gesucht wurde. Freiwillige würden stundenlang am Telefon hängen, um alle Krankenhäuser der Hauptstadt durchzutelefonieren, um freie Kapazitäten zu erkennen. Diese pflegen sie schließlich in eine Datenbank ein, die bei Bedarf abgerufen werden kann. "Diese jungen Menschen haben mich sehr inspiriert", sagt die 53-Jährige: "Sie haben gezeigt, dass wir zusammenhalten müssen, um die Krise zu überstehen."

Obwohl solch ein Engagement Hoffnung gibt, sagt Patel, befinden sich viele Menschen im Moment in einem Dilemma. Nämlich ab wann sie sich in Spitalsbetreuung begeben sollen. "Niemand möchte jemandem ein Bett wegnehmen, wenn ein anderer es dringender braucht", sagt die 53-Jährige: "Doch wie lange kann man seinen eigenen Zustand daheim ertragen, ohne ein Krankenhaus aufzusuchen?" (Bianca Blei, 7.5.2021)