Die dampfenden Grammelknödel stehen schon auf dem Tisch, als die Gruppe von etwa 20 Männern vom Mittagsgebet in den Speisesaal strömt. Sie tragen Hemd oder Hoodie. Und sie sind hungrig. Kein Wunder, denn im Wiener Priesterseminar beginnt der Tag früh. Um dreiviertel sieben hatten die Männer das erste Gebet.

Thorsten Rabel steht kurz vor der Weihe zum Diakon. Der 26-jährige angehende Pfarrer hat die letzten fünf Jahre im Priesterseminar in Wien verbracht. Im Garten spielen die Seminaristen auch Fußball, erzählt er.
Foto: Andy Urban

Einer von ihnen ist Thorsten Rabel. Wie die 52 anderen Männer hier im Seminar hat er beschlossen, sein Leben in den Dienst der Kirche zu stellen. Die vergangenen fünf Jahre verbrachte er in dem Gebäude an der Strudelhofstiege, wo die künftigen Priester der Diözesen Wien, Eisenstadt und St. Pölten ausgebildet werden. Doch langsam ist es für ihn an der Zeit, sein Zimmer zu räumen. Rabel steht kurz vor der Weihe zum Diakon. Derzeit arbeitet er in einer Pfarre in Wien-Hietzing und lebt dort auch die meiste Zeit.

"Ich habe schon in der Volksschule behauptet, dass ich Priester werden will", sagt der 26-Jährige, "aber nicht alle haben mir zugetraut, dass ich es wirklich durchziehe." Rabel stammt aus einem kleinen Dorf in Bayern. Dort habe die Kirche immer eine wichtige Rolle für das Gemeinschaftsleben gespielt. "Ob Feuerwehrfest oder Vereinsjubiläum, die Kirche war involviert", erzählt er.

Diese Nähe zu den Menschen habe ihn angezogen, fromm sei er aber nicht aufgewachsen. Nach Stationen als Ministrant und Ordensbruder beschloss Rabel, Priester zu werden. Und schrieb sich für das Magisterstudium Katholische Fachtheologie ein.

Taufkurs mit Babypuppe

Im Prinzip sind Priesterseminaristen Studenten wie viele andere auch. Sie müssen aber auch außerhalb des Curriculums einiges leisten: Auf dem Weg zur Priesterweihe müssen sie knapp 80 Einzelprüfungen absolvieren, und da sind die vorausgesetzten Sprachkenntnisse in Latein, Altgriechisch und Hebräisch nicht eingerechnet. Den Alltag in einer Pfarre lernen die Seminaristen aber nicht an der Uni, sondern in Kursen von erfahrenen Priestern.

Vor kurzem hatten die angehenden Pfarrer zum Beispiel einen Taufkurs: Hier üben sie an einer lebensechten Babypuppe, wie man einen Säugling richtig hält. Neben dem Studium arbeiten die Priesteranwärter mehrmals wöchentlich in einer Pfarre, etwa als Firmbegleiter. Wer wie Rabel das Studium abgeschlossen hat und kurz vor der Diakonweihe steht, schläft zwar nur noch selten im Priesterseminar, ist aber für Prüfungen und Ergänzungskurse im Haus. Bis zum Abschlussexamen in Buchhaltung und Management – nach dem man erst eine eigene Pfarre leiten darf – vergehen im Schnitt zwölf Jahre.

Fünf Gebete pro Tag

Gestärkt von den Grammelknödeln geht es für Rabel am Nachmittag zur Gesangsstunde. Geprobt wird der Osterhymnus, ein knapp zehnminütiges Solostück, das der Pfarrer in der Osternacht allein vorträgt. "Ich werde da sehr schnell nervös", gibt Rabel zu. Noch ist bei den Kursteilnehmern nicht jeder Ton sattelfest, doch der Lehrer ist gnädig: "Wenn ein Beschwerdebrief aus Rom kommt, dann sag, ich hätte die Änderungen erlaubt."

Fünf Tagesgebete gilt es neben dem Studium und den Kursen im Priesterseminar im Terminkalender unterzubringen. Höhepunkt ist die Frühmesse, an die sich das gemeinsame Frühstück anschließt. Abends lange ausgehen und dann ausschlafen, wie andere Studierende es tun, ist da eher nicht drinnen. Im Gegenzug müssen sich die Nachwuchspfarrer kaum um das tägliche Leben sorgen. Fast jeder erhält ein monatliches Stipendium von 250 Euro, kann kostenlos im Seminar wohnen und essen.

Die Altbauräume sind hell, abstrakte Kunstwerke dekorieren die Wände. Zum Lernen gibt es eine moderne Bibliothek und einen großen Garten mit alten Bäumen. Am Abend wird auf dem Fußballplatz gern mal der Tagesstress weggekickt oder bei einem Bier in der Hausbar heruntergespült, erzählt Rabel. "Nur der Fitnessraum wird eher weniger frequentiert", sagt er schmunzelnd. Die angehenden Seelsorger, die "Brüder", wie sie einander nennen, sind hier wie eine eigene kleine Familie.

An der Tür zu Rabels Zimmer klebt ein Foto von einem Feuer. Es soll den brennenden Glauben der jungen Generation darstellen, zu der sich auch der 26-Jährige zählt. Er weiß, dass viele Studierende heute nicht viel mit Glauben und Kirche anfangen können.

Kein Traumschloss

Nach Jahrzehnten voller Kirchenskandale startet man als Junger mit einer großen Hypothek in die Ausbildung. "Es tut weh, dass so viele Menschen große Verletzungen durch die Kirche erlitten haben", sagt Rabel. Er möchte es später besser machen, und darauf werde er im Priesterseminar auch vorbereitet: Kurse bezüglich Macht und Machtmissbrauch stehen im Curriculum. "Die Kirche ist kein Traumschloss", sagt er. Sie habe viele Fehler gemacht, aber sie gebe auch viel Glauben, Freude und Engagement an die Menschen weiter.

Wenn Rabel spricht, merkt man, dass er weiß, worauf er sich da einlässt. Vielleicht liegt das daran, dass er sich nicht immer so sicher war: "Ich hatte große Fragen", sagt er. Vor drei Jahren habe er nicht mehr gewusst, ob der Weg mit Gott noch der richtige für ihn sei. Für so einen Fall ist eine Beurlaubung vom Priesterseminar jederzeit möglich – oder als letzte Konsequenz auch ein Ausstieg.

Zweifeln ist erlaubt

Ab Februar 2018 war Rabel eineinhalb Jahre "draußen", wie er es nennt. Draußen, in der Studentenwelt ohne Gebetszeiten und gedecktem Mittagstisch, dafür mit WG-Leben, Feiern, Ausschlafen – und einer Freundin. Mit der Liebe ist das so eine Sache im Priesterseminar. Von den Brüdern wird erwartet, dass sie vom ersten Tag an zölibatär leben, Sex darf in ihrem Leben keinen Platz haben. Aber es soll auch die Phase sein, in der die Seminaristen erproben, ob sie das überhaupt können. "Das Wichtigste ist, dass man ehrlich zu sich ist", sagt Rabel.

Nach diesem Ausprobieren war für ihn klar: Er will zurück. Er habe gemerkt, dass das Leben mit Kirche und Zölibat das richtige für ihn ist. "Wie der Heilige Geist vielen die Gabe gibt, gute Mütter und Väter zu werden, so gibt er mir die Gabe, in Freude allein zu leben", sagt er. Letztlich sei der Unterschied für ihn auch gar nicht so groß: "Ich bin ein Single wie viele Studenten auch." Ein Single im Dienst der Kirche. (Tobias Mayr, 9.5.2021)