Caritas-Präsident Michael Landau bei einem Besuch in der Ostukraine.

Foto: Caritas Österreich

Michael Landau, Präsident der Caritas Österreich und derzeit auch der Caritas Europa, appelliert, den Krieg und das Leid der Menschen in der Ukraine nicht aus dem Blick zu verlieren. Insbesondere in der Pufferzone vor der sogenannten Kontaktlinie, der Front zu den Separatistengebieten im Osten, habe sich die humanitäre Situation zuletzt weiter zugespitzt.

"Die Ukraine ist ein Land im Ausnahmezustand", sagte Landau, der sich gerade im Donbass aufhält, am Freitag im telefonischen Gespräch mit dem STANDARD. "Sieben Jahre nach Ausbruch des Krieges und mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie stehen das Land und seine Menschen vor dramatischen Herausforderungen."

Die Corona-Krise habe zu einer weiteren Verarmung der ohnehin leidgeprüften Bevölkerung geführt. Die wenigen Übergänge über die Kontaktlinie seien teilweise geschlossen worden, um die Ausbreitung des Virus einzuschränken. Das habe aber dazu geführt, dass Pensionistinnen und Pensionisten aus den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten ihre Pensionen oft nicht mehr abholen konnten.

Vernichtete Arbeitsplätze

Zudem hätten viele Menschen ihre Arbeit verloren, vielen drohe nun auch der Verlust der Wohnung: "Es gab auch hier einen Lockdown, aber im Vergleich zu Österreich sind die Möglichkeiten, etwa kleine Betriebe zu unterstützen, hier sehr viel schlechter. Viele Betriebe haben das nicht überlebt." Dazu kommt, dass Ukrainerinnen und Ukrainer auch in anderen Teilen Europas ihre Arbeit verloren haben und deshalb in ihre Heimat zurückgekehrt sind. "Früher war das Geld, das sie nach Hause überwiesen haben, eine wichtige Hilfe", erklärt Landau. "Heute gibt es oft einen Esser mehr in der Familie – und eine Einkommensquelle weniger."

Das alles verstärkt die Folgen des seit 2014 tobenden Krieges zwischen ukrainischen Kräften und den prorussischen Separatisten in den selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk. Mehr als 1,5 Millionen Menschen befinden sich innerhalb der Ukraine auf der Flucht, knapp 3,4 Millionen benötigen dringend humanitäre Hilfe, sagt Landau. Mehr und mehr junge Menschen gehen weg. Wie schon seit Jahren sind es vor allem die Alten, die in den Krisengebieten zurückbleiben.

Die Caritas versorgt die Menschen mit Heizmaterial, Lebensmitteln oder Medikamenten. Auch die Unterstützung von Kindern in eigenen Kinderzentren, psychosoziale Betreuung oder Krankentransporte zählen zu den nötigen Hilfsmaßnahmen. Laut Landau gibt es sogar mit der Trinkwasserversorgung Probleme, weil ein Teil der Anlagen in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten liegt: "Die Caritas hat hier die Wasserversorgung übernommen und Brunnen gebohrt, was in Europa wirklich nur sehr selten geschieht."

Neue Perspektiven

Schließlich sei es auch noch wichtig, mit entsprechenden Trainingsprogrammen und der Anschaffung von Erstausstattungen dabei zu helfen, dass die Betroffenen wieder eine Perspektive finden, glaubt Landau: "Das kann heißen, eine kleine Werkstatt zu eröffnen oder die Menschen bei Geschäftsideen zu unterstützen."

Seit 2014 habe die Caritas Österreich mehr als 8,7 Millionen Euro für humanitäre Hilfe aus Spendengeldern und öffentlichen Mitteln zur Verfügung gestellt und damit mehr als 110.000 Menschen erreicht – auch mit Unterstützung des Auslandskatastrophenfonds, der Austrian Development Agency (ADA) oder der Stadt Wien. "Österreich leistet hier einen wichtigen Beitrag", sagt Landau, und plädiert dafür, die Hilfen gerade jetzt weiter auszubauen: "Kiew ist von Wien nicht weiter entfernt als Paris. Und von Wien aus ist es näher an die westukrainische Grenze als nach Bregenz. Wir sind Nachbarn und sollten auch als solche handeln. Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen."

Der Krieg in der Ostukraine war erst am Donnerstag auch Thema beim Besuch von US-Außenminister Antony Blinken in der Hauptstadt Kiew. Moskau, das die Separatisten im Osten unterstützt, müsse seine "gefährlichen und aggressiven Aktionen" gegen die Ukraine einstellen, forderte Blinken nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die USA und die Nato stünden an der Seite der Ukraine. Zu näheren Details sowie zu den Nato-Beitrittswünschen der Ukraine äußerte er sich allerdings nicht. (Gerald Schubert, 7.5.2021)