Bad Leadership: Achtung, Symbolfoto! Herr von Rappelkopf aus Ferdinand Raimunds Zauberspiel "Der Alpenkönig und der Menschenfeind" (August Schmölzer, Festspiele Reichenau, 2015).

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Jürgen Weintz, Professor für Kulturmanagement und Theater in Nordrhein-Westfalen, arbeitet u.a. zum Thema Führung in Theaterbetrieben.

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In den Stadttheatern herrscht eine angespannte Stimmung. Nicht nur weil sich im Hinblick auf die bevorstehenden Öffnungen bald ein Premierenstakkato ereignen wird. Sondern auch, weil derzeit in immer kürzer werdenden Abständen Fälle von Machtmissbrauch publik werden. Österreichs Häuser blieben bisher von schweren Vorwürfen weitgehend verschont. Immerhin gab es einen 2018 im STANDARD erstpublizierten öffentlichen Beschwerdebrief aus dem Burgtheaterensemble gegen Usancen des damaligen Direktors Matthias Hartmann. Wie lange wird es noch ruhig bleiben, während in deutschen Städten die Wogen hochgehen?

Die Debatte um Führungsstrukturen am Theater ist längst neu entbrannt. Massive Vorwürfe gab es beispielsweise gegen die Intendanz des Theater Parkaue in Berlin (2019), gegen jene in Düsseldorf und Karlsruhe oder gegen den Leiter der Volksbühne Berlin, der daraufhin zurücktrat. Und erst vor wenigen Tagen wurden im Spiegel Verfehlungen der Chefin des Gorki-Theaters Berlin bekanntgemacht. Die zum eigenen Schutz meist im Kollektiv vorgebrachten Anschuldigungen sind gravierend, haben meist eine lange, ergebnislose Vorgeschichte und dringen irgendwann, wenn sie gewisse Gremien erreicht haben, schließlich nach außen.

Symptombekämpfung

Teilweise wird an Häusern bereits seit Jahren, spätestens seit #MeToo, bewusst gegen Missbrauch gegengesteuert, mit Ombudsstellen oder mit verbindlichen Verhaltenskodizes. Mehr als Symptombekämpfung war damit bisher aber nicht zu erwirken. Integrierte Anlaufstellen sind schlussendlich ebenfalls der Intendanz unterstellt, was den Prozess hemmen kann. Deshalb ist in Österreich eine unabhängige Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch in Kunst, Kultur und Sport in Planung – ähnlich der 2018 gegründeten Stelle Themis in Deutschland. Bis Jahresende sollen existierende Strukturen und Anliegen eruiert werden, um daraus Schlüsse ziehen zu können.

Was aber bereitet dem Machtmissbrauch am Theater seinen Boden, und was muss sich an den derzeit bestehenden Führungskonzepten ändern? Ist das Intendantenmodell, das Rudiment aus einer höfischen, spätfeudalen Theatergeschichte, heute überholt? Ist das bei einer Person liegende Entscheidungsmonopol noch wünschenswert? "Ohne Hierarchie geht es nicht", sagt Jürgen Weintz, Professor für Kulturmanagement und Theater an der Hochschule Niederrhein in Nordrhein-Westfalen im STANDARD-Gespräch. Sie sei sinnvoll, um zeitraubende Debatten und Machtkämpfe zu verhindern und Komplexität zu reduzieren. Andererseits sei sie aber ein Hindernis für Weiterentwicklung und Teilhabe.

Einsame Fehlentscheidung

Damit es erst gar nicht zu "lonely tragic decisions", also einsamen Fehlentscheidungen, kommt, plädiert Weintz in seinem Buch Cultural Leadership. Führung im Theaterbetrieb (Springer 2020) für das Modell einer geteilten Führung. Das meint eine Leitung aus mehreren gleichberechtigten Personen, die Entscheidungen gemeinsam treffen und auch die nachgeordneten Hierarchieebenen einbeziehen. Weintz lehnt das Intendantenmodell also nicht ab, sondern empfiehlt dessen Modifizierung. Hierbei ortet er auch eine Bringschuld vonseiten der Politik. Diese bevorzuge aus Bequemlichkeitsgründen Alleinverantwortliche – der einfacheren Kommunikation wegen, aber auch weil eine Einzelperson im Fall von Problemen schneller abserviert werden könne.

Die Machtstellung der Intendanten sei zu groß, findet auch Marion Tiedtke, Dramaturgin und ehemals stellvertretende Intendantin in Frankfurt. Sie sei in den letzten Jahrzehnten sogar noch gewachsen, weil es kaum noch Oberspielleiter gebe und Ensembles zugleich kleiner würden, all das mache den Intendanten noch mächtiger, sagt sie im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Dabei nehmen Regie führende Intendanzen eine Sonderstellung ein, da sie synchron zu generellen Interessen des Hauses ihre künstlerischen Eigeninteressen verfolgen (müssen), also Interessen sich womöglich widersprechen.

Angst, Abhängigkeit

Diese Crux führt auch Weintz ins Treffen und attestiert dem Theaterbetrieb im Kontext von Unternehmensstrukturen eine absolute Sonderstellung: "In keinem anderen Bereich kann die Intendanz einem fest angestellten künstlerisch Beschäftigten, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, aus künstlerischen Gründen schon nach einem Jahr wieder kündigen – wobei man hier euphemistisch von Nichtverlängerung spricht. Diese Praxis der Nichtverlängerung sorgt für sehr viel Unsicherheit, Abhängigkeit, Angst und Anpassung."

Allein dafür wäre ein Mehraugenprinzip vonnöten, das an manchen Bühnen auch praktiziert wird. Die Umbruchszeit hat also bereits begonnen. Wie sie vonstattengeht, davon gibt auch der von der Heinrich-Böll-Stiftung mit nachtkritik.de herausgegebene Band Theater und Macht einen Einblick.

Erlöserfigur

Geteilte Führungskonzepte existieren also bereits. Zürich ist hier eine Vorzeigestadt. Alle drei großen Bühnen – das Schauspielhaus, die Gessnerallee sowie auch das Neumarkt-Theater – verfügen über eine vielköpfige Spitze. Die Sorge, das künstlerische Profil würde unter demokratischeren Verhältnissen leiden, ist unbegründet. Immerhin floriert das Schauspielhaus unter der Doppelspitze von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg und ist beim diesjährigen Theatertreffen sogar zweimal vertreten.

Dass der Glaube an eine "Erlöserfigur" allmählich bröckelt, konstatiert auch Weintz. Zu hinterfragen und ändern wären jene Strukturen, die die übersteigerten Projektionen auf eine charismatische Person erst mitbefördern. Dafür gibt es im Postheroismus genug Einsicht. Jetzt müssen ihr nur Taten folgen. (Margarete Affenzeller, 9.5.2021)