Verteidigungsministerin Klaudia Tanner gedachte am Freitag in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen der Opfer des Nationalsozialismus. Wegen der Corona-Pandemie müssen nicht nur die Feierlichkeiten zur Befreiung virtuell stattfinden, auch Zeitzeugengespräche werden ins Internet verlegt.

Bundesheer / Peter Lechner

Anfang 2020 waren sie noch vor Ort im Einsatz, erzählten vor Schülerinnen und Schülern ihre Geschichten. Dann schlug die Corona-Krise auch in Österreich ein, Schulen wechselten ins Distance-Learning. Und die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen konnten von heute auf morgen nicht mehr in die Klassenzimmer gehen.

"Wissen Sie, wie mir die Jungen fehlen? Es ist ein Wahnsinn", meldet sich eine von ihnen, Erika Kosnar, am Telefon. Am 8. Mai des vergangenen Jahres, am Tag der Befreiung, dem Jubiläum des Endes des Zweiten Weltkriegs 1945, hätte Kosnar eigentlich am Heldenplatz als Ehrengast beim Fest der Freude sprechen sollen. Doch daraus wurde nichts – die Feierlichkeiten wurden online und im Fernsehen abgehalten. Ihre Rede musste Kosnar vor einer Kamera und ohne Livepublikum halten.

"Sicher tausend" Jugendlichen habe sie über ihr Leben erzählt, sagt die 1932 als Kind einer jüdischen Arbeiterfamilie geborene Kosnar. Davon, wie sie im Zweiten Weltkrieg mit sechs Jahren erwachsen werden musste, lernen musste, dass, "wenn man dem Nachbarn erlaubt, dich zu bestehlen und umzubringen", er das auch tut. Oder darüber, wie sie bis März 1938 im Hof des Simmeringer Wohnhauses mit den anderen Kindern gespielt hatte, bevor diese sie plötzlich nur noch antisemitisch beschimpften. Sie erzählte von Verwandten des Vaters, die "U-Boote" waren, von Begegnungen mit der Gestapo und davon, wie die Nachbarn sie vernadert hatten. Begonnen hat Kosnar mit den Gesprächen 2008 – 2020 war vorerst Schluss.

Bei Erinnern.at, dem Holocaust-Education-Institut des Bildungsministeriums, hat man im Frühjahr daher nach neuen Wegen gesucht, um Schülerinnen und Schülern Treffen mit Zeitzeuginnen und Zeugen weiterhin zu ermöglichen. Das Abwägen, ob sich Online-Gespräche für das Vermittlungsprogramm eignen, sei dabei gar nicht so leicht gewesen, erzählt Maria Ecker-Angerer. Sie ist Programmverantwortliche und hat sich bei anhaltender Unterrichtsunterbrechung schließlich doch für eine Online-Version entschieden.

Verwelkende Blumen

Denn nicht nur für die Schülerinnen und Schüler haben die Gespräche einen Mehrwert. Auch vielen Zeuginnen und Zeugen helfen die Gespräche bei der Aufarbeitung dieser schrecklichen Zeit. Ein Zeitzeuge habe die abrupte Pause seiner Arbeit so zusammengefasst, erzählt Ecker-Angerer: "Ich verwelke hier schön langsam." Ein Auftrag, der die Vorteile des Online-Treffens mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen irgendwann überwiegen ließ.

Katja Sturm-Schnabl ist eine jener, die sich auf das neue Format eingelassen haben. Heuer habe sie nach der Durststrecke 2020 schon fast zehn Besuche in virtuellen Klassenzimmern absolviert – im ganzen Land sei sie so herumgekommen: In der Steiermark, in Vorarlberg und in Wien seien Schulklassen auf sie zugekommen. "Wir haben das langsam entwickelt, es läuft mittlerweile sehr gut", berichtet die 85-Jährige. "Wir machen das Beste aus der Situation."

Die Herausforderungen eines solchen Settings lagen schnell auf der Hand: Den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen fehlte oft die direkte Resonanz, heißt es bei Erinnern.at. Daraus schließt Ecker-Angerer: Die Mimik der Schülerinnen und Schüler sollte im Bestfall fast überdeutlich Interesse signalisieren. Manchmal gelingt das.

Sturm-Schnabl, die seit dem Jahr 2006 Zeitzeugengespräche anbietet, hat ihren eigenen Weg gefunden. Sie versucht, gleich zu Beginn die Atmosphäre privater zu gestalten und "ein bisschen das Liveerlebnis zurückzuholen", wie sie sagt. Das funktioniert so: Die Jugendlichen stellen sich zuerst einmal vor und erzählen etwas von sich. "Dadurch entsteht ein erster Blick- und Sprechkontakt zwischen uns. Das läuft gut." Dann erst erzählt Sturm-Schnabel ihre Geschichte: über ihre Kindheit in Zinsdorf / Svinča vas bei Klagenfurt, wo sie 1936 geboren wurde, über die Deportation ihrer Familie 1942 und das Sammellager für Kärntner Sloweninnen und Slowenen.

"Man muss die Jugend auf Augenhöhe behandeln." so Erika Kosnar, Zeitzeugin

Andere Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wollen oder können sich auf ein Online-Format nicht einlassen. Zehn bis fünfzehn von ihnen seien bis zu Beginn der Pandemie immer noch hochaktiv gewesen – mit regelmäßigen Schulbesuchen in ganz Österreich. Pro Jahr kam man so auf mehrere hundert Termine. Am Online-Programm nimmt nur eine Handvoll teil.

Kosnar ist nicht online gegangen. Der Kontakt, besonders die Diskussion mit den Jungen, gehe ihr daher ab. "Man muss die Jugend auf Augenhöhe behandeln. Wenn man das macht, dann kommt auch an, was man erzählt", sagt sie. Mit den Jungen habe sie einen guten Umgang. Ihr Rezept: Humor – auch wenn ihre Geschichten noch so schrecklich sind. An die Schulen zurückkehren, das will sie sobald wie möglich. Geimpft ist sie bereits – zumindest einmal. "Ich stehe bereit", sagt sie.

Aber auch für Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die offline bleiben, hat der Verein eine neue Interaktionsmöglichkeit geschaffen: So werden Schülerinnen und Schüler etwa dazu motiviert, nach Ansehen eines vorab aufgezeichneten Videointerviews mit den Überlebenden mit diesen in Briefkontakt zu treten. Das sei auch vor Beginn der Pandemie manchen jungen Menschen schon im Anschluss an ein reales Treffen ein Bedürfnis gewesen.

Telefon statt Schule

Was ebenfalls neu eingeführt wurde: Jene Lehramtsstudierenden, die die Zeitzeugen bisher an die Schulen begleitet haben, stehen jetzt in regelmäßigem Telefonkontakt mit ihnen. Ecker-Angerer: "Wir wollen ihnen zeigen, dass wir trotzdem da sind und ihnen zuhören." Außerdem sei es wichtig, dass die Zeitzeuginnen nach einem Online-Gespräch mit einer Schulklasse einen Ansprechpartner haben, mit dem sie das Erlebte besprechen können.

Einige dieser Neuerungen sollen auch in Zukunft Teil der Vermittlungsarbeit bleiben. Sturm-Schnabl etwa will eine "Mischform". Derzeit könne sie die Termine viel einfacher einhalten, sagt Sturm-Schnabl. "Ich bin viel mehr im Einsatz, weil ich nicht nach Vorarlberg oder nach Eisenstadt fahren muss. Ich kann an einem Tag mehrere Treffen hintereinander machen", sagt sie. Und: "Ich werde ja auch nicht jünger und stärker, die Reisen quer durch Österreich werden mir vielleicht auch nicht immer möglich sein." Beim virtuellen Fest der Freude am Samstag hält Sturm-Schnabl die Rede. (Oona Kroisleitner, Karin Riss, 8.5.2021)