Eineinhalb Millionen Menschen, eher sogar mehr als zwei, haben ihn Donnerstagabend gesehen: den nächsten Chef des größten österreichischen Medienkonzerns ORF. Und damit den Chef der weitaus meistgenutzten Informationsquelle des Landes von Zeit im Bild und ZiB 2 über die ORF-Radios, die gleich drei Viertel des Radiopublikums hören, bis zum Onlinemarktführer ORF.at. Eine Schlüsselfunktion in der Republik und eine für die Politik.

Roland Weißmann gilt als aussichtsreicher Kandidat für die ORF-Spitze. Titelverteidiger Alexander Wrabetz hat inzwischen auch Brillantine im Haar.
ORF / Thomas Ramstorfer

Diese Zeit im Bild und auch die ZiB 2 um 22 Uhr zeigten den amtierenden ORF-Chef Alexander Wrabetz (61). Die Nachricht: Er tat am Donnerstag nun offiziell kund, dass er sich auch für eine vierte Amtszeit an der Spitze des ORF bewerben wird. Hände schüttelnd und Rücken klopfend zieht Alexander Wrabetz da durchs Bild, am Rande einer Sitzung jenes ORF-Stiftungsrates, der am 10. August den nächsten General bestellt. Zuletzt gibt er seine Hand einem lächelnden Herrn, eher im Vorbeigehen und Vorbeisehen auf seinem Weg, und legt ihm noch rasch die Hand auf den Unterarm. Das ist Roland Weißmann (53). Der Mann, der Wrabetz’ Wiederwahl im August im Weg stehen könnte. Jedenfalls von Mai 2021 aus gesehen.

Die Zeit im Bild wählte diese Szene sehr bedacht aus Millionen Fernsehminuten, in denen der am längsten ungeschlagene Generaldirektor der ORF-Geschichte zu sehen ist. Allein die Auftritte in den vorpandemischen Jahrzehnten der Seitenblicke füllen viele heitere Stunden, seit Alexander Wrabetz 1998 als Finanzdirektor ins ORF-Management kam und 2006 aus dieser Position ORF-Chef wurde. Weißmann gilt, Stand Mai, als aussichtsreichster Gegenkandidat um den Generalsrang auf dem Küniglberg.

Roland wer?

Wer ist dieser Roland Weißmann? Längst einer der wichtigsten und gewichtigsten Manager des öffentlich-rechtlichen Milliardenkonzerns. Er verwaltet mit rund 400 Fernsehmillionen pro Jahr das größte Programmbudget im ORF – übrigens schon seit bald zehn Jahren. Er ist seit 2020 als Geschäftsführer der ORF-Onlinetochter verantwortlich für das zentrale Zukunftsprojekt des Unternehmens, die Streamingplattform ORF-Player. Und er wäre seit 2017 Finanzdirektor des ORF, hätten sich nicht entscheidende Stimmen für Wrabetz’ zweite Wiederwahl 2016 im Stiftungsrat gegen den Bürgerlichen quergelegt.

Gerade hatten sie – SPÖ samt den Betriebsräten, Grüne, Neos, Unabhängige – den ÖVP-FPÖ-Kandidaten Richard Grasl als ORF-General knapp verhindert. Da sollen sie Grasls langjährigen Wegbegleiter, seinen wichtigsten Mitstreiter, ins Direktorium bestellen?

Richard Grasl, der machtbewusste Machertyp aus dem tiefschwarzen Niederösterreich, zog seine Karriere entschlossen durch den ORF, bis zu diesem 9. August 2016, als Wrabetz ihm in die Quere kam beim letzten Schritt an die Spitze. Und stets war Weißmann an Grasls Seite oder dicht hinter ihm. Arbeitete ruhig und eifrig im Hintergrund ab, was dem viel lauteren Vormann einfiel, was der wem versprach und was er rasch erledigen wollte.

St. Pölten today

Es begann in St. Pölten, nicht nur das Duo Grasl/Weißmann, sondern eine Gruppe, die heute große Teile der bürgerlichen ORF-Besetzungsliste stellt – aber längst kein eingeschworenes Team mehr ist, eher im Gegenteil: Roland Weißmann, die heutigen Channel-Manager von ORF 2 und ORF 1, Alexander Hofer und Lisa Totzauer, und eben Grasl, inzwischen beim Kurier und dennoch immer wieder als ORF-Option gehandelt.

Sie waren in den 1990ern schon im tiefschwarzen Niederösterreich, noch bevor seine Landeshauptstadt ein eigenes ORF-Landesstudio hatte: Im Dachgeschoß der historischen Stadtsäle, in einer sogenannten "Expositur" des noch in Wien residierenden Landesstudios, machten die jungen Journalistinnen und Journalisten regionales ORF-Programm aus dem Land, in dem die ÖVP-Macht Erwin Pröll gerade Landeshauptmann geworden war. Etwa eine Sendung mit dem nur gegen Ende weltläufigen Titel St. Pölten today.

Nur vorübergehend trennen sich die Wege Weißmanns und Grasls um 2000, zu Ö3 beziehungsweise ZiB 2. 2002 wird Grasl Chefredakteur in Niederösterreich, Weißmann sein Vize. 2009 wird Grasl auf Druck der ÖVP Finanzdirektor des ORF, Weißmann sein Büroleiter auf dem Küniglberg.

400 Millionen schwer

Als Grasl (und die ÖVP) 2011 auf eine Kandidatur gegen Wrabetz verzichten, wird der Finanzdirektor zum Dank intern aufgewertet. Die Produktionswirtschaft Fernsehen geht an Grasl, und er macht Weißmann zu ihrem 400 Millionen schweren Chefproducer, wie das im ORF heißt.

Der Magister der Kommunikationswissenschaften, Zweitfach Geschichte, erarbeitet sich das neue Terrain mit einem "kleinen Wirtschaftsstudium", sagt ein Wegbegleiter. "Durchgebissen" habe er sich auch durch diese Materie, so weit, dass ihm (bürgerliche) Zahlenmenschen in der heutigen Finanzdirektion Sachkompetenz attestieren.

Die intensive Beschäftigung mit der Sache, mit Themen und Projekten des Großunternehmens ORF, verbindet Weißmann mit dem früheren Finanzdirektor Wrabetz; vielleicht war das auch ein Grund, warum etwa Stiftungsräte den Eindruck von einem vertrauten, manche sagen gar freundschaftlichen, Arbeitsverhältnis der beiden hatten.

Nach dem Showdown mit Grasl um die Generaldirektion 2016 und bevor sich Weißmann als Gegenkandidat für 2021 abzeichnete.

Für die ÖVP, damals noch Juniorpartner der SPÖ in der Regierung, war die Bestellung eines ORF-Direktoriums 2016 ganz ohne einen der Ihren gleich die nächste große Niederlage nach der Generalswahl.

Kontaktmann im Freundeskreis

Weißmann wurde nicht Finanzdirektor, doch er blieb ORF-Chefproducer. Und er wurde nach Grasls ORF-Abschied, neben Christine Lackner aus dem Grasl-Büro, ständiger Gast und Kontaktmann des bürgerlichen "Freundeskreises" im ORF-Stiftungsrat. Auch bei einer der Konferenzen im kleinen Kreis des Fraktionssprechers Thomas Zach auf dessen Chateau in Südfrankreich referierte Weißmann, wie Grasl und andere Medienmanager.

Freundeskreis nennen die laut Gesetz unabhängigen Stiftungsräte Fraktionstreffen, um sich vor Sitzungen abzustimmen, vor allem vor der Bestellung des ORF-Managements. Gerne auch mit Gästen oder Gastgebern aus der Politik, etwa ÖVP-Mediensprecher Axel Melchior oder auch Gerald Fleischmann, Medienbeauftragter von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Auch mit diesem inneren Medienzirkel um Kurz dürfte Weißmann, selbst kein Parteimitglied, gut vernetzt sein.

Die Tiroler Tageszeitung nannte ihn gerade "willfährig"; eine Rufschädigung und falsch, empört das Menschen, die ihn sehr lange kennen und nicht der ÖVP-Fraktion zuzurechnen sind. Verbindlich, verlässlich beschreibe ihn besser – persönlich und professionell, nicht allein aus politischer Perspektive.

Wenn Roland Weißmann ORF-General wird, wird ihm bewusst sein, dass er das der großen Mehrheit der ÖVP im Stiftungsrat verdankt. Wenn sich diese Fraktion bis August verständigt. Die westlichen Bundesländer schwänzten zuletzt die Freundeskreistreffen. Im Juni wollen die Länderräte ein Forderungsprogramm für die Generalswahl formulieren. Und Wrabetz weiß, wie er Stimmen angelt.

Wer einen zum General machte, weiß jeder Sieger – auch Alexander Wrabetz. Das hat er in seinen drei Bestellungen und danach stets gezeigt, je nach politischer Großwetterlage.

Auch mit der neu geschaffenen Funktion des Vize-Finanzdirektors für Weißmann 2017. Für die Gebührenerhöhung 2017 brauchte Wrabetz bald nach dem Grasl-Showdown doch die ÖVP (2022 steht die nächste an).

Und Wrabetz machte Weißmann 2020 zum Geschäftsführer von ORF.at, verantwortlich für die Streamingplattform ORF-Player. Er schickt potenzielle Konkurrenten gern in heikle Aufgaben. Über Jahre versuchte die ÖVP ohne Erfolg, den Chefredakteur von ORF.at loszuwerden. Weißmann installierte einfach und ohne Getöse einen weiteren, der nun die – hier wesentliche – tagesaktuelle Berichterstattung verantwortet. Man weiß: ORF.at und Ö3 sind Kanzler Kurz wichtig.

Das Rennen ist noch nicht gelaufen um die Führung dieses Milliardenkonzerns ORF. Es hat offiziell noch gar nicht begonnen. Wrabetz wurde oft schon verfrüht abgeschrieben. Er ist am Donnerstag losgelaufen. Weißmann äußert sich nicht, ob er sich bewirbt. Er läuft jeden Tag und trainiert seine Ausdauer. Direktor wird er sicher. Vielleicht auch General. (Harald Fidler, 8.5.2021)