Wenn die Herren von Tirol dem Rest der Republik erklären, wie sie die Dinge "daheim" regeln, läuft es zumeist gerade nicht so gut im Westen. Etwa beim Management des frühen Pandemie-Clusters in Ischgl. Oder bei der Verteilung des Impfstoffes an eine Privatklinik ohne Corona-Patienten. Oder bei rund 200.000 aufklärungswürdigen PCR-Tests, die ein Labor durchgeführt hat, das einem Urologen mit vorübergehendem Berufsverbot gehört.

Der Tenor aus Tirol ist stets derselbe: Kein Problem, wir haben das im Griff! Oder: Wir haben keine Fehler gemacht! Oder auch: Wir lassen unser Land nicht beschmutzen! Wer uns gar – womöglich von Wien aus – Vorschriften machen möchte, der wird uns kennenlernen! So sind die Tiroler Landespolitiker in den vergangenen Monaten durch die Coronavirus-Krise gepflügt – mit viel Selbstgefälligkeit, einer Extraportion Jetzt-erst-recht-Patriotismus und fast schon feudalem Gestus. Politikerinnen traten nicht in den Vordergrund, auch das fiel auf.

Der Tenor aus Tirol ist stets derselbe: Kein Problem, wir haben das im Griff!
Foto: APA/EXPA/JFK

Was den Herren nicht klar zu sein scheint: Von außen betrachtet wirken sie nicht so stark, wie sie glauben. Von "praktizierter Hilflosigkeit" spricht etwa der Politologe Ferdinand Karlhofer von der Uni Innsbruck. Das Land stoße zunehmend an seine Grenzen, das mache viele Politiker nervös.

Bruchlinien

In der Krise werden auch andere Bruchlinien offenbar. Die Raumordnung liegt im Argen. Neben Luxus-Zweitwohngebieten wie etwa Kitzbühel oder Seefeld, die sich Einheimische kaum leisten können, wird das Land immer stärker zersiedelt. Manch ein Tal leidet wiederum unter massiver Abwanderung. Transit- und Nahverkehr sind ungelöste Probleme, der Ski-Massentourismus zeigt seine Schattenseiten für Klima und Umwelt und lässt ganze Ortschaften im Sommer veröden.

Wer daran etwas ändern wollte, müsste sich mit mächtigen Lobbys anlegen, die innerhalb der Tiroler ÖVP den Ton angeben: Seilbahnbetreiber, Hoteliers, Bauernvertreter. Ein Gegengewicht gibt es kaum. Aber sie ziehen nur selten an einem Strang, jeder ist an seinem eigenen, kurzfristigen Erfolg interessiert. Der einzige gemeinsame Nenner ist die tiefe Überzeugung, dass es gegen die ÖVP keine Mehrheit geben darf – seit 1945. Alle anderen Parteien verhalten sich wie in Geiselhaft dieses schwarzen Selbstverständnisses. Höchstes Ziel für Grüne, FPÖ und SPÖ scheint seit Jahren zu sein, den nächsten Koalitionspartner für die ÖVP zu geben.

Die schwarze Übermacht bringt mangelnde Transparenz mit sich, kaum Kontrolle – aber auch wenig Antrieb, Politik anders zu denken und das Land politisch, wirtschaftlich und infrastrukturell neu aufzustellen. Dass nach der Pandemie alles anders und vieles besser wird – diese Hoffnung bleibt vage.

In Tirol sieht man, was passiert, wenn Parteien vor allem für die "eigenen" Lobbys Politik machen, wie schwer man aus einem System gegenseitiger Verbindlichkeiten wieder herauskommt – und wie fehleranfällig man in Krisenzeiten wird.

Im Osten Österreichs sollte man aufmerksam nach Tirol schauen. Es könnte lehrreich sein – besonders für die ÖVP. (Petra Stuiber, 8.5.2021)