Rathauspolitiker Peter Hacker und Michael Ludwig: Über lange Strecken führte der risikofreudige Gesundheitsstadtrat das Wort in der Corona-Politik, nun steht der vorsichtige Bürgermeister im Vordergrund.

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Für Michael Ludwig beginnt die Vorsorge vor dem Kleiderkasten. Wiens Bürgermeister trägt nicht nur deshalb gerne Hosenträger, weil er einen roten Farbklecks in die Eintönigkeit der Politikeruniform setzen will. Ein eingeschnürter Bauch, hat er einmal aufgeschnappt, ebne den Weg zum Herzinfarkt. Seither bleibt seine Leibesmitte weitgehend gürtelfrei.

Es ist die Rolle, in der Ludwig derzeit aufgeht: Den Gesundheitsapostel spielt der 60-Jährige auch auf offener politischer Bühne. Als einziger der sonst öffnungsfrohen Landeshauptleute hatte er Widerspruch deponiert, als die Bundesregierung für 19. Mai ein kollektives Aufsperren vom Wirtshaus bis zum Theater verkündete. Zwei Wochen wälzte Ludwig Bedenken – um dann genau so zu entscheiden, wie es die türkis-grüne Koalition vorgab.

Das rot geführte Wien als Bremser gegen übermütige Lockerungen – so war das nicht immer. Oft drangen im ersten Corona-Jahr ganz andere Töne aus dem Rathaus. Wortführer war damals allerdings nicht der Stadtchef, sondern dessen wichtigster Mann in der Pandemie: Gesundheitsstadtrat Peter Hacker.

Zwei rote Linien

Wer Lockdown-kritische Sprüche hören wollte, wurde von Hacker gut bedient. Immer wieder wetterte der 57-Jährige gegen Maßnahmen der Bundesregierung. Das Schließen der Gastronomie hielt er für unverhältnismäßig, die durchgehende Maskenpflicht in höheren Schulstufen für eine Quälerei. Weil man die Bevölkerung nicht monatelang einsperren dürfe, hatte Hacker trotz massiv gestiegener Infektionszahlen noch in der zweiten Märzhälfte des heurigen Jahres für offene Schanigärten geworben. Drei Tage später setzte Ludwig mit der Osterruhe im Osten das glatte Gegenteil durch.

Der vorsichtigere Bürgermeister habe stets eine andere Linie verkörpert als sein Stadtrat, der schon mal mit dem weniger auf Regeln gepolten schwedischen Modell liebäugelte, wird in Wiener SPÖ-Kreisen erzählt. Warum Hackers Botschaften dennoch über weite Strecken der Pandemie dominiert haben? In der Hektik der Debatte sei es unmöglich gewesen, jede Wortmeldung abzustimmen, lautet eine Erklärung. Da habe der nie um einen Sager verlegene Hacker freies Spiel gehabt.

Die politische Großwetterlage kam ihm dabei lange entgegen. Im Wien-Wahlkampf war ein Mann gefragt, der lustvoll in den Ring steigt. Während man mit Ludwig – wie ein langjähriger Bekannter versichert – überhaupt nicht streiten könne, baute Hacker im Clinch mit der Regierung seinen Ruf unter Genossen aus: Als vielleicht einziger Sozialdemokrat, der dem türkisen Propagandaapparat Paroli biete.

Das passte Ludwig, der einstweilen die Attacken des Bundes auf Wien staatsmännisch ruhig weglächeln durfte, eine Zeit lang auch ganz gut ins Programm – sofern sein Frontmann Maß hielt. Nicht jede Attacke war nach Geschmack des Chefs. Als Hacker im demonstrativen Zorn aus dem Krisenstab des Innenministeriums ausstieg, schickte ihn Ludwig wenige Stunden später genau dorthin wieder zurück.

Solange die Bundesregierung ihre – wie Sozialdemokraten schimpfen – "autistische" Politik ohne echte Absprache mit rot regierten Ländern durchzog, hatte der Hacker’sche Konfrontationskurs Konjunktur. Doch als die türkis-grüne Koalition im neuen Jahr mit der Situation immer schlechter zurande kam, bot sie plötzlich auch der ungeliebten SPÖ Kooperation an.

Neue Achsen

Hier sehen viele im Wiener Rathaus das Momentum, das die Beziehung von Ludwig und Hacker durchrüttelte. Vom Bund eingebunden wurde zuvor höchstens der Stadtrat. Bei regelmäßigen Terminen durfte Hacker dem grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober Wunschzettel für Verhandlungen mit der Restregierung mitgeben. Selten wurde viel daraus.

Nun aber luden Kanzler und Co sämtliche Landeschefs zu den Corona-Gipfeltreffen ein. Sebastian Kurz, so heißt es in der Wiener SPÖ, habe damit beigetragen, dass fortan Ludwig den obersten Corona-Bekämpfer gab. Dass sich der Stadtchef vom Bund einspannen ließ, kam nicht bei jedem Genossen gut an. Tenor: Jetzt, wo die Lage außer Kontrolle gerate, wälze Kurz die Verantwortung ab.

Doch hätte sich Ludwig drücken können? Im Herbst habe er noch keinen Grund gehabt, das Heft an sich zu reißen, weil die Bundesregierung ohnehin einen bundesweiten Lockdown verhängte, argumentiert ein Rathaus-Insider. Als dies im Frühjahr aber nicht mehr geschah, habe kein Weg daran vorbei geführt, selbst die Initiative zu ergreifen. Nicht nur die Warnungen der Experten vor der Überlastung der Intensivstationen sollen Eindruck auf den Stadtchef gemacht haben, sondern auch die schweren Erkrankungen von Kollegen: seine Weggefährtin Doris Bures, Zweite Nationalratspräsidentin, landete ebenso im Spital wie Oberösterreichs FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner.

Zurückgedrängter Stadtrat

Ob mit harten Tatsachen wie bei der Osterruhe oder eher nur rhetorisch wie in der Öffnungsdebatte: Ludwigs strenger Kurs dürfte bei den Wienern gut ankommen. Das gilt besonders für die vulnerabelste Gruppe, die nebenbei das wichtigste Wählerreservoir der SPÖ ist: die ältere Bevölkerung. Aber auch abseits der Pensionisten lässt es sich punkten. Ein durchsetzungswilliger Bürgermeister ist ein starker Kontrast zu einer um Entscheidungen ringenden Bundesregierung.

Und während Ludwig die Linie im Corona-Management der Stadt vorgibt, wird Hacker auf die Basisarbeit zurückgedrängt. Auch diese sei enorm wichtig, betont man in SPÖ-Kreisen, um ja keinen Anschein des Zwists zu erwecken: Der Stadtrat sorge dafür, dass alles in den Impf- und Teststraßen funktioniere, die operative Arbeit allein sei Auslastung genug. Doch hinter vorgehaltener Hand zeichnen manche ein anderes Bild. Eine Situation, in der er lediglich Ludwigs Pläne umsetzen dürfe, entspreche nicht dem Selbstverständnis des forschen Machers: Mit der neuen Hackordnung sei Hacker alles andere als glücklich. (Gerald John, Oona Kroisleitner, 8.5.2021)