Bereits Anfang der Woche warnten westliche Raumfahrtexperten vor herabstürzenden Trümmerteilen durch einen "unkontrollierten" Wiedereintritt einer chinesischen 20 Tonnen schweren Raketenstufe in die Erdatmosphäre. Die neue, leistungsfähige Rakete vom Typ Langer Marsch 5B hatte am vergangenen Donnerstag das Kernmodul Tianhe (Himmlische Harmonie) der künftigen chinesischen Raumstation Tiangong ins All gebracht.

In ihrer letzten Einschätzung vermutet die Europäische Weltraumorganisation Esa den Eintrittszeitpunkt des Weltraummülls gegen 5:15 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit am morgigen Sonntag, den 9. Mai. Der Zeitrahmen ist allerdings groß, nämlich plus/minus gut 9 Stunden. Die Reste der Rakete könnten also zwischen 20 Uhr Samstagabend und 15 Uhr Sonntagnachmittag in die Atmosphäre stoßen.

Dies deckt sich grob mit den Schätzungen der US-amerikanischen Non-Profit-Organisation "The Aerospace Corporation", die vorläufig von 6:19 Uhr plus/minus 8 Stunden ausgeht. Die Esa vermerkt: Aufgrund des großen Zeitfensters und der hohen Geschwindigkeit des Flugobjekts, das aktuell rasant um die Erde kreist, ist es nicht möglich, vorauszusagen, wo der Wiedereintritt stattfinden wird und wo etwaige Trümmer landen könnten.

Verglühende Teile

China nennt als ungefähre Einschätzung die gesamte Erdoberfläche zwischen dem 41,5. Grad nördlicher und dem 41,5. Grad südlicher Breite. In Europa zählen unter anderem Teile von Spanien, Italien und Griechenland dazu. Die "Aerospace Corporation" veröffentlichte eine Karte, die die weitläufige potenzielle Landefläche darstellt:

Ob überhaupt Trümmer auf der Erdoberfläche landen, ist unklar, da sie auch beim Eintritt in die Atmosphäre vollständig verglühen könnten. Von diesem Fall scheint man in China auszugehen. Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, hält die Möglichkeit, dass Schaden angerichtet werden könne, für "sehr unwahrscheinlich". Die Raketenstufe werde beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühen und zerstört. "Das ist internationale Praxis", antwortete er am Freitag in Peking auf Journalistenfragen.

Landung in internationalen Gewässern

Auch die chinesische Ausgabe der "Global Times" schrieb am Donnerstag unter Hinweis auf eigene Raumfahrtexperten, dass die Bruchstücke "sehr wahrscheinlich in internationale Gewässer fallen" dürften und dass man sich keine Sorgen machen müsse. Dass Reste von Raketen zur Erde zurückfielen, sei "in der Luft- und Raumfahrt üblich", heißt es weiter. Das Blatt sah hinter den Warnungen "nichts anderes als westlichen Rummel um eine Bedrohung durch China" in der Raumfahrt. Der Experte Wang Ya'nan, Chefredakteur eines Luft- und Raumfahrtmagazins, wurde zitiert, dass Chinas Raumfahrtbehörden die Entwicklung herabfallender Trümmer vom Design der Rakete und der Wahl des Startplatzes bis hin zur Flugbahn und -höhe sorgfältig berücksichtigt hätten.

So könnte der Wiedereintritt in die Atmosphäre aussehen. Hier wurde im September 2008 der Wiedereintritt von ATV-1 Jules Verne fotografiert, südwestlich von Tahiti.
Foto: Nasa/Esa/Bill Moede, Jesse Carpenter

"Die meisten Trümmer werden beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verbrennen, sodass nur ein sehr kleiner Teil übrig bleibt, der auf die Erde fällt und der potenziell in Gebieten weit weg von menschlichen Aktivitäten oder im Ozean landen wird", sagte Wang Ya'nan. Der chinesische Experte Xing Qiang sagte, die Leichtmetallhülle könne leicht in der Erdatmosphäre verbrennen. "Im Vergleich zu Raumstationen oder großen Satelliten ist deswegen die Möglichkeit sehr gering, dass die Raketenreste am Boden Schaden anrichten."

Unklare Vorhersagen

Hingegen hatte das Esa-Büro für Raumfahrtrückstände mitgeteilt, es sei aktuell praktisch unmöglich, Vorhersagen darüber zu treffen, welche Teile den Wiedereintritt überstehen werden. Materialien mit hohen Schmelztemperaturen wie etwa Motor- oder Tankkonstruktionen stellten ein besonderes Risiko dar. Allgemein verglühten die meisten Objekte beim Wiedereintritt aber vollständig, so die Experten.

Der Astrophysiker Jonathan McDowell vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge (US-Staat Massachusetts) warnte, dass es "im schlimmsten Fall" wie der Absturz eines kleinen Flugzeugs werden könne, der sich über Hunderte Kilometer verteile. Wie viele Bruchstücke übrig blieben, lasse sich nicht vorhersagen. "Aber genug, um Schaden anzurichten." Auch der Raumfahrtexperte Andrew Jones warnte vor Schaden für Mensch oder Eigentum.

Beschädigungen in Côte d'Ivoire

Als Grund für die Warnung vor einem potenziellen Trümmerregen wurde genannt, dass die Rakete nicht dafür gebaut sei, um nach der Abtrennung des Kernmoduls durch Triebwerke so gesteuert zu werden, dass sie über einem unbewohnten Gebiet oder dem Meer in die Atmosphäre eintritt.

Schon nach dem ersten Flug des neuen, besonders schweren und tragfähigen chinesischen Raketentyps im Mai 2020 waren Trümmer in der westafrikanischen Elfenbeinküste niedergegangen und hatten mehrere Häuser in Dörfern beschädigt. "Das Design ist fahrlässig im Vergleich zu gegenwärtigen Standards anderer Länder", kritisierte McDowell die chinesische Rakete.

Das US-Verteidigungsministerium vermeldete derweil, dass ein Abschuss der womöglich abstürzenden Raketenteile nicht geplant sei. "Wir können eine Menge Dinge tun, aber wir haben derzeit keinen Plan, sie abzuschießen", sagte Verteidigungsminister Lloyd Austin am Donnerstag. Er forderte Anforderungen für alle im Weltraum Operierenden, "in einem sicheren und durchdachten Modus zu arbeiten". (sic, tberg, APA, 8.5.2021)