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Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der portugiesische Premierminister Antonio Costa verließen den EU-Gipfel am Samstag mit zufriedener Miene.

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Die Europäische Union und Indien wollen angesichts der geopolitischen Umbrüche enger zusammenarbeiten. Nach einer Schaltkonferenz der 27 Staats- und Regierungschefs der EU mit Indiens Ministerpräsident Narendra Modi heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, dass man auch die Arbeit an einem Freihandels- und Investitionsabkommen wieder aufnehmen wolle. Hintergrund ist die gemeinsame Sorge über ein weiteres Erstarken Chinas.

Ein Sprecher des indischen Außenministeriums sagte, die EU und Indien planten gemeinsame Investitionen in Infrastruktur in Asien und Afrika. "Wir waren uns einig, dass die EU und Indien als die beiden größten Demokratien der Welt ein gemeinsames Interesse an der Gewährleistung von Sicherheit, Wohlstand und nachhaltiger Entwicklung in einer multipolaren Welt haben", heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Man wolle auch im Kampf gegen den Klimawandel enger zusammenarbeiten.

Neues Kapitel

Die Videokonferenz sei ein Meilenstein in den Beziehungen zwischen der EU und Indien gewesen, kommentierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. EU-Ratspräsident Charles Michel sprach von einem "neuen Kapitel" der strategischen Partnerschaft.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von neuem Schwung und äußerte die Erwartung, dass die Arbeiten jetzt mit "sehr viel mehr Tempo fortgesetzt werden". Sie sehe keine Verbindung zu der schwierigen Ratifizierung des EU-China-Investitionsabkommens, betonte sie in Berlin nach den Beratungen. Die Kanzlerin verwies auf die deutsch-indischen Regierungskonsultationen Ende des Monats. Dabei werde auch über Fragen der Impfstoffproduktion gesprochen. Indien zählt zu den am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Staaten. Viele EU-Länder haben Hilfsgüter nach Indien geschickt.

Für Merkel ergibt die Einigung der EU mit Indien neuen Schwung.
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Zölle brachten Eiszeit

Indien ist mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt nach China, aber für die EU zuletzt nur der zehntgrößte Handelspartner gewesen. 2007 begannen beide Seiten mit Diskussionen über ein breit angelegtes Handels- und Investitionsabkommen, bei dem es auch um mehr Marktzugang und weniger Zölle ging. Doch mehrere Unstimmigkeiten wie indische Zölle auf Autos und Wein sowie Arbeitsmarktbeschränkungen für Inder durch die EU brachten die Verhandlungen 2013 zu einem Ende.

Vor allem die deutsche Wirtschaft würde nach Studien von einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien kräftig profitieren. Nach Zahlen aus dem vergangenen Jahr könnte allein die Bundesrepublik einen Wohlfahrtsgewinn von etwa 2,2 Milliarden Euro erwarten. Deutschland sei der EU-Mitgliedstaat, in dem der größte Anstieg sowohl der Importe als auch der Exporte zu erwarten sei, wobei die Exporte stärker steigen dürften als die Importe, heißt es zu den Berechnungen, die allerdings noch vor dem endgültigen Ausstieg Großbritanniens aus der EU erstellt wurden.

Uneinig bei Autoindustrie

Große Gewinner dürften demnach Hersteller von Kraftfahrzeugen sowie von Maschinen und Ausrüstung sein, die ihre Wertschöpfung um je mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar im Jahr steigern könnten. Als Verlierer werden hingegen Dienstleister sowie die Textil- und Bekleidungsindustrie mit einem erwarteten Minus von jeweils mehreren Hundert Millionen Dollar im Jahr gesehen. Indien hat in diesen Bereichen – vor allem aufgrund niedrigerer Löhne – einen deutlichen Wettbewerbsvorteil.

Als große Hürden für den Abschluss eines Freihandelsabkommens gelten der Automobil- und der Pharmasektor. Wer fertig montierte Pkw nach Indien einführt, zahlte dafür zuletzt je nach Größe des Fahrzeugs einen Aufschlag in Höhe von zwischen 60 und 100 Prozent des Neupreises. Die EU würde diese Hürden auf lange Sicht gerne abschaffen. Indien sah darin jedoch bis zuletzt eine Gefahr für die heimische Produktion, auch durch ausländische Firmen, die – zum Teil abgeschreckt durch die hohen Zölle – indische Standorte aufgebaut haben.

Positive Dynamik

In der Pharmabranche hakt es besonders beim geistigen Eigentum. Indiens wichtige Industrie für Generika, also Nachahmermedikamente, die nach Ablauf des Patentschutzes von Originalmitteln günstiger auf den Markt kommen, wird geschützt durch sehr strikte Gesetze. Trotz Patentschutzes können indische Gerichte etwa anordnen, dass ausländische Konzerne Zwangslizenzen an indische Generika-Hersteller vergeben müssen. Ein anderes Gesetz erschwert, dass der Patentschutz für ein Medikament verlängert wird, obwohl der Hersteller es in der Zwischenzeit verbessert hat.

Zu den bisherigen Problemen heißt es in der gemeinsamen Erklärung vom Samstag, man sei sich einig, dass es für eine positive Dynamik bei den Verhandlungen unerlässlich sei, Lösungen für langjährige Fragen des Marktzugangs zu finden. (APA, 8.5.2021)