Über vier Jahre ist es her, da gab Nokia sein Comeback nach dem missglückten Jointventure mit Microsoft, um sich als Hersteller im Android-Markt zu etablieren. Das von ehemaligen Managern des finnischen Herstellers gegründete HMD Global hatte sich die Markenrechte geschnappt und sein neues Lineup mit dem Nokia 6 eröffnet. Es folgten Modelle mit allen Ziffern von 1 bis 9, teils mit jährlichen Neuauflagen.

Mit den neuesten Handys bricht man mit diesem Schema. C, G und X heißen die nun vorgestellten Reihen, die sich preislich vom Budget- bis ins Mittelklassesegment erstrecken. Das – zumindest vorläufige – Topmodell ist das Nokia X20, DER STANDARD hat es sich näher angesehen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Basics

Ab 380 Euro ist das Smartphone zu haben. Es präsentiert sich als üppig dimensioniertes Gerät. 6,7 Zoll bringt das IPS-LC-Display (2400 x 1080 Pixel) mit. Im Vergleich mit AMOLED-Bildschirmen kann es in Sachen Farbstärke und Kontrasten nicht mithalten. Die Darstellung ist aber dennoch zufriedenstellend und die Helligkeit, angegeben mit maximal 450 nits, reicht auch unter hellem Sonnenlicht aus, Inhalte gut erkennen zu können.

Das Gehäuse besteht aus Kunststoff mit einem metallenen Rahmen. Die Verarbeitung ist solide. Die Rückseite mit ihrer "gefrosteten" Optik gefällt und zeigt sich auch angenehm resistent gegen sichtbare Fingerabdrücke. Allerdings ist sie dennoch relativ glatt, was die Absturzgefahr bei unvorsichtiger Handhabe erhöht.

168,9 x 79,7 x 9,1 Millimeter misst das Telefon. Einhändige Bedienung erübrigt sich weitestgehend. Der Einschalter, der auch den recht zuverlässigen Fingerabdruckscanner beinhaltet, ist gut erreichbar. So auch der gegenüber liegende Google Assistant-Knopf. Für die Bedienung der Lautstärkewippe, die sich über dem Ein/Aus-Schalter befindet, werden die allermeisten Nutzer jedoch etwas Fingerakrobatik betreiben müssen.

Wer Angst hat, dass das Handy zu leicht entgleiten und Schaden nehmen könnte, kann zum beigelegten Cover greifen, das laut Hersteller aus recyclebaren Materialien besteht. In der Verpackung findet sich zudem auch ein USB-A auf USB-C-Kabel, allerdings kein Ladegerät. Den Verzicht darauf begründet man bei HMD mit der Vermeidung von Elektroschrott.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Performance

Unter der Haube kommt Qualcomms Snapdragon 480 zum Einsatz, der erste Prozessor der 400er-Serie, der ein 5G-Modem mitbringt. Ihm werden 8 GB RAM beigestellt, dazu gibt es 128 GB Onboardspeicher. Dieser kann per microSD-Karte erweitert werden. Zu den weiteren Merkmalen zählen Wifi 5 (802.11 ac), Bluetooth 5.0 und NFC. Der Lithium-Polymer-Akku bietet eine durchaus ordentliche Kapazität von knapp 4500 mAh. Drahtloses Aufladen wird nicht unterstützt, aber Fast Charging mit bis zu 18 Watt über den USB-C-Port (USB 2.0). Mit an Bord ist weiters ein 3,5mm-Klinkenstecker zur Verwendung entsprechender Kopfhörer und Lautsprecher.

Leistungsmäßig sollte man den Snapdragon 480 nicht unterschätzen. Er liegt in Benchmarks in etwa auf dem Performanceniveau des Snapdragon 730, der beispielsweise in Samsungs A71 aus 2020 und ist auch nicht weit entfernt vom Snapdragon 732 des von vielen aufgrund seines Preis-Leistungs-Verhältnisses geschätzten Poco X3 NFC.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Die Praxis bestätigt diese Werte. Grafisch aufwändige Games laufen in der Regel automatisch mit zumindest etwas reduzierten Einstellungen und nicht immer stabil mit 60 Frames pro Sekunde, aber dennoch flüssig genug für ein angenehmes Spielerlebnis. Lob verdient auch die Implementation eines Gyrosensors, dank dem Spiele und Programme mit einfachen Augmented-Reality-Features ohne Probleme funktionieren.

Alltags-Apps wie Webbrower, Messenger, Youtube oder Clients für diverse Social Networks starten vielleicht einen flüchtigen Moment später als auf Handys mit Qualcomms aktuellem Spitzenprozessor, dem Snapdragon 888. Ansonsten gibt es auch bei intensivem Multitasking keinen Anlass für Beschwerden.

Foto: DER STANDARD/Pichler

(Noch) mit Android One

Ein Rätsel lässt sich mit diesem Test auch lösen: Nachdem Nokia in den vergangenen Wochen – inklusive einem Presse-Event zur Vorstellung der neuen Handys – sich nur kryptisch zur möglichen Abkehr von Android One äußerte, lässt sich nun feststellen, dass man dieser Initiative zumindest vorläufig weiter treu ist, zumindest mit der X-Serie. Sicherheits- und Versionsupdates verspricht man für zumindest drei Jahre. Je nach Auslegung könnte das X20 also eines Tages auch noch eine offizielle Aktualisierung auf Android 14 erhalten, Android 12 und 13 sind laut Formulierung aber auf jeden Fall abgedeckt.

Das will man für diese Modelle auch in Zukunft beibehalten. Ob das X11 und X21 (oder wie auch immer sie heißen werden) aber noch mit dem weitgehend unveränderten Android One kommen werden, steht in den Sternen. Stellenausschreibungen deuten darauf hin, dass HMD an seiner eigenen Android-Variante basteln könnte.

Beim X20 dürfen sich Puristen jedenfalls noch freuen. Android One bringt das Standard-Interface des Google-Betriebssystems mit und kommt ohne Bloatware aus. Einige Apps aus dem Google-Angebot sind freilich vorinstalliert.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Kamera

Bei der Kamera hat man sich für ein Setup aus vier Sensoren entschieden. Ein 64-MP-Weitwinkelmodul wurde kombiniert mit einer 5-MP-Ultraweitkamera, einer 2-MP-Makrocam und einem weiteren 2-MP-Sensor, der nur zur Tiefenerfassung dient. An der Entwicklung beteiligt, so sagt jedenfalls der Schriftzug aus, war der Optikspezialist Zeiss. Die Frontkamera liefert 32 MP im Weitwinkel. Die Kamera-App bietet für die meisten Modi zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten und erlaubt auch, alle Aufnahmeparameter manuell zu konfigurieren.

Fotos unter Tageslicht fallen solide aus. Der Hauptsensor (64 MP) liefert schöne, realistische Farben und hält die meisten kleineren Details auch noch brauchbar fest. Das Postprocessing hat allerdings eine Tendenz zu etwas übertriebener Scharfzeichnung, was deutlich auf Bildern mit der 2x-Zoom-Voreinstellung auffällt, die im Prinzip einfach nur ein kleinerer Ausschnitt eines Fotos des Hauptsensors sind.

Der Ultraweitsensor enttäuscht allerdings. Er frisst Details scheinbar zum Frühstück und liefert, ganz besonders in Randbereichen, eine eher unscharfe Darbietung. Erschwerend kommt hinzu, dass die damit geschossenen Fotos Farben deutlich wärmer und unrealistischer abbilden.

Die bestehenden Defizite werden noch offensichtlicher, wenn die Lichtbedingungen schwieriger werden. Dann gerät auch der Hauptsensor an seine Grenzen, was die Kamerasoftware durch sichtbar aggressive Rauschentfernung zu kompensieren versucht. Fokussieren dauert dann auch einen kurzen Moment und es gibt auch eine kurze Verzögerung zwischen der Betätigung des Auslösers und der Speicherung der Aufnahme. Weil es auch keine optische Bildstabilisierung gibt, schlägt sich das natürlich auf das Endergebnis nieder. Dass der Nachtmodus folglich auch keine Wunder vollbringt, überrascht nicht. Man darf hoffen, dass HMD der Fotoqualität mittels Softwareupdates vielleicht noch ein bisschen auf die Sprünge helfen kann.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Die Makrokamera punktet zwar mit akkuraten Farben, verschluckt aber auch so viele Details, dass Aufnahmen teilweise wirken, wie mit dem Pinsel gezeichnet. Die Frontkamera ist etwas auf der kälteren Seite, was die Farbwiedergabe betrifft, schlägt sich aber in Sachen Detailreichtum solide. Bei Porträtaufnahmen klappt auch die Kantenerkennung zuverlässig.

Akustik und Akku

In akustischen Belangen bringt das Nokia X20 auch nicht unbedingt die größten Geschütze ins Gefecht. Das Handy verfügt über einen Mono-Lautsprecher, dessen Klang aushaltbar ist, gegen die Stereo-Lösungen vieler anderer Smartphones aber klar den Kürzeren zieht. Die Sprachqualität beim Telefonieren ist immerhin gut. Man selbst wird gut verstanden. Die Geräuschunterdrückung funktioniert prinzipiell gut, bei lauterem Hintergrundlärm kann man selbst aber stellenweise undeutlich klingen. Der Ohrhörer liefert gute Wiedergabequalität.

Definitiv eine Stärke des Handys ist aber seine Akkulaufzeit. Der Verzicht auf Bildwiedergabefrequenzen jenseits der 60 Hz und auf einen leistungsfähigeren Prozessor machen sich hier positiv bemerkbar. Anders gesagt: Selbst wenn man das Handy wirklich intensiv nutzt, reicht eine volle Ladung locker für 1,5 Tage. "Durchschnittsnutzer" könnten gar 2 bis 3 Tage auskommen, was für ein Smartphone durchaus beachtlich ist.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Fazit

Das Nokia X20 prescht in ein stark umkämpftes Preissegment vor. Denn der Mittelklassemarkt ist das größte Stücke des Smartphonemarkt-Kuchens und dementsprechend wird mit harten Bandagen gekämpft. Aufgemöbelte Kamera-Module, AMOLED-Displays mit 120 Hz-Wiedergabe, Stereo-Lautsprecher und 5G sind Features, die man hier immer öfter findet. Das neue Handy von HMD bringt nur eines davon mit.

In allen anderen Aspekten gibt es einige Konkurrenten – von Xiaomi bis Samsung -, die bessere Hardware zum gleichen Preis bieten. Damit ist Android One bzw. das dreijährige, vollumfassende Updateversprechen letzten Endes das wichtigste Alleinstellungsmerkmal des X20. Das macht das Handy zu einem gewagten Angebot.

Gerade im Hinblick auf die Vermeidung von Elektroschrott und Ressourcenverwendung sind die Updates ein gewichtiges Argument. Ob die Kundschaft bereit ist, Defizite wie die wenig überzeugende Kameraausstattung für den vergleichsweise langen, garantierten Support in Kauf zu nehmen, bleibt abzuwarten. (Georg Pichler, 10.5.2021)

Testfotos

Hinweis: Zur Ansicht des Originalbildes bitte auf die Bildbeschreibung klicken.

Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Ultraweit
Foto: DER STANDARD/Pichler
Weitwinkel
Foto: DER STANDARD/Pichler
2x-Zoom
Foto: DER STANDARD/Pichler
Ultraweit
Foto: DER STANDARD/Pichler
Weitwinkel
Foto: DER STANDARD/Pichler
2x-Zoom
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Kunstlicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Selfie
Foto: DER STANDARD/Pichler
Makro
Foto: DER STANDARD/Pichler
Nachtmodus
Foto: DER STANDARD/Pichler