Blick auf das MAN-Werk in Steyr.

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München/Steyr – Ein Gutachten im Auftrag der Gewerkschaft sieht gute Chancen, dass die Kündigungen im Fall der Schließung des MAN-Werks in Steyr rechtlich nicht halten werden. Die Expertise des Grazer Uni-Professors Gert-Peter Reissner geht davon aus, dass die Belegschaft quasi einen Deal mit dem Konzern abgeschlossen und ihren Teil – Zugeständnisse bei Arbeitszeiten oder Verzicht auf Zusatzleistungen – erbracht habe. Zu ähnlichen Schlüssen kommt auch die Kanzlei Jarolim und Partner.

Verstoß gegen Standortsicherungsvereinbarung

Das Reissner-Gutachten, das der APA vorliegt, verweist unter anderem auf den Passus in der Standortsicherungsvereinbarung 2019, wonach "betriebsbedingte Beendigungskündigungen bis zum 31.12.2030 für alle Beschäftigten der MAN T&B ausgeschlossen" sind. Würde man betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, so wären diese demnach rechtsunwirksam, so die Schlussfolgerung.

Die Vereinbarung stelle nach Reissners Rechtsansicht eine echte Betriebsvereinbarung im Sinne des Arbeitsverfassungsgesetzes dar. Damit entfalte sie auch nach der erfolgten Aufkündigung durch MAN eine Nachwirkung. Das bedeutet: Solange nicht eine neue Vereinbarung getroffen wurde oder die alte durch neue Arbeitsverträge aufgehoben wurde, gelte die Kündigungsbeschränkung weiter. Darüber hinaus wäre die Frage zu klären, ob die Abmachungen nicht bereits Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge geworden seien.

Die Standortsicherungsvereinbarung 2019 beinhaltet nach Reissners Ansicht zudem einen "Deal" zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite mit dem Ziel, den Standort zu erhalten: Die Belegschaft schnallte den Gürtel enger, im Gegenzug verzichtete das Unternehmen auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2030 und sagte Investitionen in den Standort zu. Anders als der Klagenfurter Privatrechtsprofessor Christoph Kietaibl, der ein Gutachten für MAN erstellt hat, geht Reissner davon aus, dass der Betriebsrat sehr wohl die Rechtskompetenz habe, eine Vereinbarung über einen Kündigungsschutz abzuschließen.

Kritik an Unternehmenskultur

Hannes Jarolim und Sarah Meixner von der Kanzlei Jarolim und Partner haben – ebenfalls für die Arbeitnehmerseite – rechtliche Stellungnahmen zu den Standortsicherungsvereinbarungen abgegeben. Und sie kommen zu ähnlichen Schlüssen. Auch sie betonen vor allem den Deal, bei dem die Belegschaft bereits massiv in Vorleistung gegangen sei. Die Gegenleistung dafür könne nicht durch einen neuen Vorstand einfach und einseitig gestrichen werden, betonte Jarolim.

Sarah Meixner sagte im Gespräch mit der APA zudem, dass man die Vereinbarung unter Umständen sogar als "präventiven Sozialplan" interpretieren könnte. Dann wäre eine Kündigung dieser Vereinbarung gar nicht zulässig. Jedenfalls widerspreche es aber dem Grundsatz von Treu und Glauben, wenn MAN nun seine Zusage plötzlich widerrufe. "Betrachtet man die aktuelle Vorgangsweise der MAN-Führung, so stellt sich die Frage, ob das wirklich die neue Unternehmenskultur des VW-Konzerns in Österreich sein soll und wie man darauf wohl reagieren kann bzw. muss", unterstrich Jarolim.

Der Linzer Uni-Rektor Meinhard Lukas – er hat für keine Seite ein Gutachten erstellt, sich aber als Zivilrechtsexperte geäußert – liest aus der Vereinbarung von Dezember 2019 ebenfalls den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2030 heraus und geht davon aus, dass der Kündigungsverzicht mittlerweile auch Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge geworden sein könnte. Auch er argumentiert, dass die Beschäftigten ja bereits eine Gegenleistung erbracht hätten.

Juristische Uneinigkeit

Uni-Professor Wolfgang Mazal, der im Auftrag von MAN ein Gutachten erstellt hat, vertritt hingegen die Auffassung, dass die österreichische MAN-Vereinbarung an eine deutsche Rahmenvereinbarung gebunden sei, die mittlerweile aufgehoben sei.

Reissner verweist allerdings auf das Territorialitätsprinzip: Eine für ein deutsches Unternehmen abgeschlossene Betriebsvereinbarung entfalte für einen österreichischen Standort nur dann normative Wirkung, wenn sie in Österreich nochmals unter Einhaltung aller formalen Voraussetzungen beschlossen und entsprechend kundgemacht wurde. Das sei bei keiner der deutschen bzw. Gesamt-Betriebsvereinbarungen der Fall.

Zu klären ist gemäß Reissner, Jarolim und Meixner auch, ob mit der Verlagerung der Produktion ins Ausland ein grenzüberschreitender Betriebsübergang – etwa an eine polnische operative GmbH – vorliegt. Dort wären die Steyrer Arbeitnehmer dann beschäftigt. Da wohl kaum einer von ihnen im Arbeitsvertrag stehen hat, dass er auf Weisung nach Polen gehen muss, müsste die Nachfolgefirma die Beschäftigten weiter bezahlen, auch wenn es in Steyr keine Arbeit mehr für sie gibt. Angesichts dieser Rechtsfolgen sei damit zu rechnen, dass der Konzern einen Betriebsübergang vermeiden wolle, heißt es im Reissner-Gutachten, dazu müsste er aber wohl "die wirtschaftliche Einheit zerschlagen".

Appell von Siemens-Chef

Indes appellierte Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun für den Erhalt des Industriestandorts Steyr: "Es ist wichtig, Konzepte zu sehen, die soviel als möglich dieser Arbeitsplätze erhalten." Im Bezug auf das Konzept des Ex-Magna-Managers Siegfried Wolf meinte er, dass auch eine Kombination verschiedener Konzepte für ihn denkbar wäre. (APA, 9.5.2021)