"Entscheidend ist es, dass Kunstschaffende eine solidarische Haltung entwickeln, um ihre Interessen politisch durchzusetzen, und sie werden dies wirkmächtig nur mit starken gewerkschaftlichen Vertretungen schaffen", sagt der Regisseur, Kameramann und Fotokünstler Kurt Brazda im Gastkommentar.

Es braucht eine Gewerkschaft für Künstlerinnen und Künstler.
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Mit unerbittlicher Schärfe hat uns die Pandemie die Vulnerabilität der täglichen Arbeitswelt von Künstlerinnen und Künstlern vor Augen geführt. Ihre existenzielle Not steht allerdings im krassen Gegensatz zu den Wirtschaftsdaten, die den Kunst- und Kulturbereich umreißen. So bildete der Kultur- und Kreativsektor 2019, vor der Covid-Krise, mit 643 Milliarden Euro Jahresumsatz etwa 4,4 Prozent der europäischen Gesamtwirtschaftsleistung und band 7,6 Prozent der europäischen Erwerbsbevölkerung. Das sind mehr Menschen, als die Telekommunikations- und die Autobranche zusammen beschäftigten.

Gleichzeitig empfindet die Mehrzahl der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger Kunst und Kultur als wesentlichstes Identifikationsmerkmal des europäischen Gedankens. Es wird aber gerne übersehen, dass Kunst und Kultur sowie alles, was damit zusammenhängt, erst durch die Leistung künstlerischen Wirkens zustande kommt, damit schaffen erst Künstlerinnen und Künstler ursächlich Arbeits- und Lebensbedingungen von unzähligen Menschen, sie ermöglichen ihnen regelmäßige Einkommen und damit verbunden auch Sozialprestige.

Solidarische Haltung

Darüber hinaus übernehmen Kunstschaffende umfassende Bildungsaufgaben und sind bestimmend für das Lebensgefühl des Menschseins, indem sie – als Antithese zur zeitgeistigen Brutalökonomie – von Emotion und Empathie getragene Gemeinschafts- und Glückserlebnisse ermöglichen.

In Bezug auf ihre tatsächliche Leistung für die Gesellschaft müssten Künstlerinnen und Künstler eigentlich selbst ein hohes Sozialprestige und ein gesichertes Einkommen haben sowie generell auch eine starke politische Position einnehmen. Dies alles ist bis auf ganz wenige Einzelfälle allerdings keineswegs der Fall.

Bestenfalls in Sonntagsreden

Entscheidend ist es, dass Kunstschaffende eine solidarische Haltung entwickeln, um ihre Interessen politisch durchzusetzen, und sie werden dies wirkmächtig nur mit starken gewerkschaftlichen Vertretungen schaffen. Die hybriden Beschäftigungsformen im Kunst- und Kulturbereich sind gleichsam die Blaupause der zukünftigen Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Alle Gewerkschaften werden sich daher genau darauf einlassen müssen, wenn sie nicht in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwinden wollen.

Der Kulturrat Österreich sowie zahlreiche IGs im Kunst- und Kulturbereich haben ein beachtliches Fachwissen über Arbeits- und Lebensbedingungen von Künstlerinnen und Künstlern angesammelt und auf der Basis von fundierten Studien bereits praktische Lösungsvorschläge geliefert. Bisher hat die Politik dies kaum in ausreichendem Maße gewürdigt, bestenfalls in Sonntagsreden, die aber die prekäre Situation von Künstlerinnen und Künstlern bisher nicht wesentlich verbessert haben. In der Kulturnation Österreich besitzen Kunst- und Kulturschaffende keine effiziente Lobby und daher auch kein politisches Gewicht.

Befreiung aus der Bittstellerposition

Um Künstlerinnen und Künstler endlich aus der Bittstellerposition zu befreien, bedarf es umfassender Finanzierung für künstlerische Vorhaben und Tätigkeiten anstatt gönnerhafter Förderstrukturen. Nur so gelänge es dauerhaft, dem sozialen Dilemma in der Kunst wirksam zu begegnen. Interessengemeinschaften allein sind zu schwach, um diese Forderungen politisch durchzusetzen, sie sind auch zu schwach gegenüber Sozialversicherungsträgern, denen bisher jede Fantasie fehlte, auch Künstlerinnen und Künstlern eine entsprechende soziale Absicherung zu gewähren.

Vertrauen aufbauen

Es braucht daher dringend eine Kunst- und Kulturgewerkschaft, die im sozialpartnerschaftlichen System und damit auch in der Politik das entsprechende Standing besitzt und sich die Kompetenz der IGs zunutze macht. Die Gewerkschaft Younion, die in ihrer Hauptgruppe 8 bereits Film- und Musikschaffende sowie Schauspielerinnen und Schauspieler vertritt, könnte, sofern sie es will, zu einer umfassenden Kunst- und Kulturgewerkschaft werden. Voraussetzung ist allerdings, dass sie ihre Vertretungsangebote an die Berufsrealität im Bereich der Kultur anpasst. Dazu gehört vor allem, dass sie auch Neue Selbstständige und EPUs vertritt, beides typische und vor allem abhängige Beschäftigte in der Kunst- und Kulturszene, daher keinesfalls Unternehmer im klassischen Sinn. Vielmehr eine wesentliche Beschäftigungsform der zukünftigen Arbeitswelt!

Die wichtigste Hausaufgabe

Im Bereich des Filmschaffens hat dieser gewerkschaftliche Umdenkungsprozess bereits begonnen, es fehlt allerdings noch das ausreichende Vertrauen der potenziellen Klientel, die geprägt ist durch die berechtigte Angst, dass persönliche Einforderung von Rechten sehr oft mit Jobverlust und Blacklisting einhergeht. Dieses Vertrauen aufzubauen ist die wichtigste Hausaufgabe der Gewerkschaft, es geht darum, dass eine organisierte Solidarbewegung, wie es nun einmal eine Gewerkschaft sein sollte, Abhängige vor solcher Willkür und Nötigung ausreichend schützt. Gewerkschaft und Arbeiterkammern müssen sich endlich mit ganzer politischer Kraft für faire Entlohnung und soziale Absicherung in diesem für das Gemeinwohl so wichtigen Sektor einsetzen! Das entbindet aber die Künstlerschaft nicht davon, sich selbst endlich zu solidarisieren!

Zustehende Verhandlungsmacht

Die Einrichtung von wirksamen Vertretungen für Kunst- und Kulturschaffende ist also ein Gebot der Stunde, um Künstlerinnen und Künstlern endlich die ihnen zustehende Verhandlungsmacht zu geben und damit soziale Regulative gegen ihre "Vogelfreiheit" im digitalen Dickicht zu schaffen. (Kurz Brazda, 10.5.2021)