Am Sonntag äußerten sich unter anderen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (links), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (Mitte) und Portugals Premier Antonio Costa (rechts) zur Zukunft der Union.

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Am Sonntag war Europatag. Wie jedes Jahr am 9. Mai ist das für EU-Institutionen, nationale Parlamente und Regierungen der inzwischen 27 Mitgliedsländer ein willkommener Anlass, die besten Vorsätze für künftig bessere Zusammenarbeit zu versprechen. Die Latte liegt historisch hoch: Am 9. Mai 1950 hatte Frankreichs Außenminister Robert Schuman mit der Deklaration des nach ihm benannten Plans in Paris die Schaffung eines gemeinsamen Europa auf den Weg gebracht. Es hieß damals Montanunion, es ging um kriegswichtige Kohle und Stahl.

Im Jahr 2021 geht es nach einem Jahr Pandemie und tiefer Wirtschaftskrise aber um ganz andere Materialien: um Impfstoffe, um Patente darauf und um grüne Pässe, die den Bürgerinnen und Bürgern spätestens im Sommer wieder das freie Reisen ohne strikte Quarantäneregeln ermöglichen sollen. Wie man damit umgeht, darüber liegen die Regierungen der 27 Mitgliedsländer heftig im Streit, wie sich beim informellen EU-Gipfel in Porto am Freitag und Samstag gezeigt hatte.

Einig ist man sich nur grundsätzlich, dass es das Reisezertifikat geben soll, aber was genau damit auf nationaler Ebene erlaubt sein soll, darüber gehen die Ansichten auseinander. Die EU-Kommission will, dass der Nachweis von Corona-Immunität den Bürgern alle Freiheiten, offene Grenzen ermöglichen soll. Vor allem die vom Tourismus abhängigen Länder – auch Österreich – unterstützen das.

Entscheidungen verschoben

In Porto hat man eine Entscheidung auf den nächsten Gipfel am 25. Mai vertagt, so wie viele andere Fragen auch. Etwa die Forderung, dass die EU-Staaten den Patentschutz für Corona-Impfstoffe aufheben sollen, wie die USA vorgeschlagen haben. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel lehnte das mit Rücksicht auf die deutsche Firma Biontech strikt ab. Nun wollen die EU-Staaten vor allem dafür sorgen, dass in der Welt möglichst viel Impfstoff produziert wird – von den Patentinhabern.

Der einzig greifbare Erfolg: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gab seinen Widerstand gegen den Ankauf von 1,8 Milliarden Impfdosen der Hersteller Pfizer/Biontech durch die EU-Kommission für die Jahre 2022 und 2023 auf. Er wollte "seine" Pharmaindustrie schützen. Im Gegenzug gab EU-Industriekommissar Thierry Breton am Sonntag bekannt, dass die Verträge mit Astra Zeneca – wie erwartet – ab Juli nicht verlängert werden.

Es schweben weiter viele nationale Unklarheiten über der EU-Corona-Strategie, die daher nicht nur den EU-Sozialgipfel und die Handelsgespräche mit Indien in Porto überschatteten, sondern auch das nächste größere EU-Projekt: die Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union.

Eine solche wurde am Sonntag bei einem Festakt im Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg gestartet. Die Verantwortlichen in Brüssel, Paris und Berlin wollen den nach dem Brexit nur noch 448 Millionen EU-Bürgern trotz allem Optimismus, Aufbruch und Reformfreude signalisieren.

Zukunft der Union

"Erfunden" hat die Konferenz bereits der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, damit die durch die EU-Erweiterung aufgeblähte und gelähmte Union durch Reformen wieder Handlungsfähigkeit gewinnt. Macron beansprucht sie seit zwei Jahren als sein Projekt.

Er war es daher auch, der die Auftaktrede hielt. Das Ziel der Konferenz: Die Union soll endlich "weltpolitikfähig" und im Inneren entscheidungsfähiger werden. Man will die Mechanismen vereinfachen, etwa die EU-Kommissare um ein Drittel reduzieren. Auch soll das zwingende Einstimmigkeitsprinzip, das die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik lähmt, infrage gestellt werden – und durch Mehrheitsabstimmungen in Räten ersetzt werden.

In einem Jahr will man das Reformprojekt erledigt haben. Möglicherweise führt das, so die Idee, zu einem neuen, besseren EU-Vertrag. Aber das ist Zukunftsmusik, die am Sonntag beim Festakt in schönsten Worten umschrieben wurde. Was den EU-Lenkern bei der diesmaligen Regierungskonferenz besonders wichtig ist: die Bürgerbeteiligung. Es soll in allen Staaten, auf allen Ebenen "Bürgerkonvente" geben, denn das künftige Europa sei ja für sie da, lautete der Tenor. Immerhin: Beim Festakt redeten (ausgesuchte) Bürger sogar länger als Macron. (Thomas Mayer, 9.5.2021)