Jerusalem – Auf dem Tempelberg in Jerusalem ist es am Montagmorgen erneut zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Palästinenser bewarfen die israelischen Sicherheitskräfte vor der Al-Aqsa-Moschee mit Steinen. Die Polizei ging mit Blendgranaten, Gummigeschoßen und Tränengas gegen die Palästinenser vor. 305 Menschen wurden verletzt, sieben davon lebensgefährlich. Laut dem palästinensischen Roten Halbmond wurden etwa 290 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert. Nach Polizeiangaben waren auch 21 Polizisten unter den Verletzten. Eine Polizeisprecherin erklärte, die Exekutive werde es nicht zulassen, dass "Extremisten" die öffentliche Sicherheit gefährdeten. Die Palästinenser hissten über dem Eingang der Al-Aqsa-Moschee die Fahne der islamistischen Terrororganisation Hamas.

Palästinenser hissten die Flagge der islamistischen Terrororganisation Hamas über dem Eingang der Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg.
Foto: AFP/Gharabli

Ein israelischer Autofahrer wurde in Jerusalems Altstadt von Palästinensern attackiert und verletzt, er musste von Polizisten vor den Angreifern gerettet werden. Die Angreifer hatten an einer verstopften Straße im langsam rollenden Verkehr ein Auto attackiert. Der Fahrer versuchte zunächst erfolglos, im Rückwärtsgang zu entkommen, wie auf eine Video einer Überwachungskamera zu sehen ist. Dann verlor er offenbar die Kontrolle über das Fahrzeug und blieb an einer Betonabsperrung hängen, wobei er auch einen der Angreifer rammte.

Israel begeht am Montag den Jerusalem-Tag. Das Land feiert damit die Eroberung des arabischen Ostteils von Jerusalem einschließlich der Altstadt während des Sechstagekriegs 1967. Im Jahr 1980 erklärte das Parlament den Ostteil der Stadt auch offiziell zum Teil des israelischen Staatsgebiets.

Aus Sorge um ihre Sicherheit hat die israelische Polizei Juden am Montag verboten, bei Flaggenmärschen durch die Altstadt auch den Tempelberg zu besuchen. Zahlreichen Menschen blieb der Weg zum Tempelberg verwehrt. Dagegen protestieren jüdische Organisationen.

Die Palästinenser bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen.
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Gespannte Lage im Ramadan

Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee ist für Juden wie Muslime von herausragender Bedeutung. Es ist die drittheiligste Stätte im Islam. Zugleich standen dort früher zwei jüdische Tempel, von denen der letzte im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde. Die Klagemauer ist ein Überrest jenes zerstörten Tempels und die heiligste Stätte der Juden.

Die israelische Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein.
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Israel gerät wegen der anhaltenden Gewalt in Ostjerusalem immer mehr unter Druck. Uno-Generalsekretär António Guterres hat sich am Sonntagabend "tief besorgt" wegen der Gewalt und der drohenden Zwangsräumungen von palästinensischen Häusern gezeigt. Er forderte Israel auf, "äußerste Zurückhaltung" zu üben und "das Recht auf friedliche Versammlung zu respektieren". Laut einem Sprecher rief Guterres Israel weiters dazu auf, "die Zerstörungen und Zwangsräumungen zu beenden". Der Uno-Sicherheitsrat will sich noch am Montag auf Antrag Tunesiens mit der Gewalt in Jerusalem befassen

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Tausende Juden versammelten sich am Montag zu Gebeten an der Klagemauer, dem Überrest des zerstörten Tempels.
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Kritik kam auch vom engsten internationalen Verbündeten Israels. Der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, äußerte gegenüber seinem israelischen Kollegen Meir Ben Shabbat "ernste Bedenken" wegen der Baupläne.

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Ein israelischer Autofahrer wurde von Palästinensern angegriffen und von der Polizei gerettet.
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Zwangsräumungen als Auslöser

Diese sehen die Zwangsräumung von 13 Familien aus dem Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah vor. Jüdische Siedler beanspruchen ihre Häuser. Das Gesetz macht es den Siedlern leicht. Können sie nachweisen, dass die Häuser vor 1948 einmal in jüdischem Besitz waren, geben Gerichte ihnen oft recht. Siedlerorganisationen suchen gezielt nach Immobilien, bei denen dieser Nachweis gelingt.

Dagegen protestieren die Palästinenser. Am Freitag und Samstag waren über 300 von ihnen bei Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften verletzt worden. Am Sonntagabend kamen sieben weitere verletzte Personen dazu, berichtete der Rote Halbmond. Die israelische Polizei stand an verschiedenen Orten in Ostjerusalem überwiegend jungen palästinensischen Demonstranten gegenüber. Dabei setzte sie Blendgranaten und Wasserwerfer gegen die Palästinenser am Damaskus-Tor am Rande der Altstadt ein.

Sicherheitskräfte gehen gegen einen palästinensischen Demonstranten vor dem Damaskus-Tor vor.
Foto: AFP/Menahem KAHANA

Ein für Montag geplanter Gerichtstermin zu den Zwangsräumungen wurde am Sonntag verschoben.

Raketenangriffe aus dem Gazastreifen

Die in Gaza regierende Hamas tut alles, um den Zorn angesichts der Räumungen für sich zu nutzen. Sie sagt den Protestierenden Unterstützung an allen Fronten zu – und das ganz wortwörtlich. So feuerten militante Palästinenser am Montag erneut Raketen vom Gazastreifen auf das israelische Grenzgebiet. In der Grenzstadt Sderot und anderen Ortschaften heulten nach Militärangaben am Morgen die Warnsirenen. Es seien drei Geschoße abgefeuert worden. Eines davon habe offensichtlich die Raketenabwehr Eisenkuppel abgefangen.

Am Sonntagabend hatten militante Palästinenser bereits vier Raketen in Richtung Israel abgeschossen. Außerdem wurden Spreng- und Brandballons über die Grenzanlage geschickt. Israelische Panzer beschossen daraufhin Stützpunkte der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas. Israel schloss auch den Erez-Grenzübergang zu dem Palästinensergebiet.

Schallenberg: "Volatile Situation"

"Die Situation ist brandgefährlich und sehr volatil", warnte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vor einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen. "Wir alle sind dazu aufgerufen, zu schauen, dass die Situation nicht überkocht, sondern dass wir beruhigend wirken", so Schallenberg. Sein Kollege aus Luxemburg, Jean Asselborn, forderte, den Nahostkonflikt ins Zentrum von Beratungen auf EU-Ebene zu stellen. Es gebe derzeit die Angst, "dass die Israelis im Begriff sind, Ostjerusalem zu okkupieren".

Auch der jordanische König Abdullah II. hat sich in die Diskussionen eingeschaltet. In einem Telefonat mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas habe der König "die israelischen Verstöße und die Praktiken, die zur Eskalation rund um die Al-Aqsa-Moschee führten, verurteilt", teilte das Königshaus in Amman am Sonntagabend mit. Jordanien ist Hüter der heiligen Stätten in Ostjerusalem.

Uno-Generalsekretär Guterres ruft Israel zu "äußerster Zurückhaltung" auf.
Foto: imago images/Xinhua/Eskinder Debebe

Abdullah II. kritisierte demnach auch die "Provokationen gegenüber den Bewohnern von Jerusalem, die gegen Völkerrecht und die Menschenrechte" verstießen. Zudem wies er "die Versuche der israelischen Behörden" zurück, "die demografische Lage in Ostjerusalem zu verändern".

Gemeint ist der israelische Siedlungsbau im arabischen Ostteil der Stadt, den Israel im Jahr 1967 erobert und 13 Jahre später annektiert hatte. Der Geschäftsträger der israelischen Botschaft in Amman wurde am Sonntag ins jordanische Außenministerium zitiert, um gegen die israelischen Verstöße an der Al-Aqsa-Moschee und die Angriffe gegen Bewohner Jerusalems, vor allem im Viertel Sheikh Jarrah, zu protestieren. Auch Ägypten bestellt den Vertreter Israels ein. Marokko bezeichnete die Vorkommnisse als "inakzeptabel", auch der Sudan reagierte scharf.

Netanjahu bleibt hart

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu signalisierte am Sonntag Härte, was die umstrittenen Baupläne in Ostjerusalem betrifft. "Ich sage auch den besten unserer Freunde: Jerusalem ist Israels Hauptstadt. Und so wie jede Nation in ihrer Hauptstadt baut und ihre Hauptstadt aufbaut, haben auch wir das Recht, in Jerusalem zu bauen und Jerusalem aufzubauen", sagte Netanjahu in einer Fernsehansprache zum israelischen Jerusalem-Tag. (APA, Reuters, sterk, red, 10.5.2021)